Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich erklärte ihm, daß ich von Natur keine Stimme hätte. Oder schlagen Klavierzimbel, wie die vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich sagte, daß ich die Geige spiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt auf der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich unwillkürlich auf das Mädchen hin und sah, daß sie ganz spöttisch lächelte, was mich sehr verdroß.

Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das in der Musik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo soll's herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wiederholt übereinander schob. Ich war ganz beschämt, daß man mir unverdienter Weise so bedeutende musikalische Kenntnisse zutraute, und wollte eben den wahren Stand der Sache auseinander setzen, als ein außen Vorübergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend alle miteinander! Ich erschrak, denn es war die Stimme eines der Bedienten unseres Hauses. Auch der Griesler hatte sie erkannt. Die Spitze der Zunge vorschiebend und die Schulter emporgehoben, flüsterte er: Waren einer der Bedienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht erkennen, standen mit dem Rücken gegen die Thüre. Letzteres verhielt sich wirklich so. Aber das Gefühl des Heimlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich stammelte nur ein Paar Worte zum Abschiede und ging. Ja selbst mein Lied hätte ich vergessen, wäre mir nicht der Alte auf die Straße nachgesprungen, wo er mir's in die Hand steckte.

Ich erklärte ihm, daß ich von Natur keine Stimme hätte. Oder schlagen Klavierzimbel, wie die vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich sagte, daß ich die Geige spiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt auf der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich unwillkürlich auf das Mädchen hin und sah, daß sie ganz spöttisch lächelte, was mich sehr verdroß.

Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das in der Musik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo soll's herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wiederholt übereinander schob. Ich war ganz beschämt, daß man mir unverdienter Weise so bedeutende musikalische Kenntnisse zutraute, und wollte eben den wahren Stand der Sache auseinander setzen, als ein außen Vorübergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend alle miteinander! Ich erschrak, denn es war die Stimme eines der Bedienten unseres Hauses. Auch der Griesler hatte sie erkannt. Die Spitze der Zunge vorschiebend und die Schulter emporgehoben, flüsterte er: Waren einer der Bedienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht erkennen, standen mit dem Rücken gegen die Thüre. Letzteres verhielt sich wirklich so. Aber das Gefühl des Heimlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich stammelte nur ein Paar Worte zum Abschiede und ging. Ja selbst mein Lied hätte ich vergessen, wäre mir nicht der Alte auf die Straße nachgesprungen, wo er mir's in die Hand steckte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0045"/>
Ich erklärte ihm, daß                ich von Natur keine Stimme hätte. Oder schlagen Klavierzimbel, wie die vornehmen                Leute zu thun pflegen? Ich sagte, daß ich die Geige spiele. Habe auch in meiner                Jugend gekratzt auf der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich                unwillkürlich auf das Mädchen hin und sah, daß sie ganz spöttisch lächelte, was mich                sehr verdroß.</p><lb/>
        <p>Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das in der Musik, fuhr er fort. Singt eine                gute Stimme, hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo soll's                herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wiederholt übereinander                schob. Ich war ganz beschämt, daß man mir unverdienter Weise so bedeutende                musikalische Kenntnisse zutraute, und wollte eben den wahren Stand der Sache                auseinander setzen, als ein außen Vorübergehender in den Laden hereinrief: Guten                Abend alle miteinander! Ich erschrak, denn es war die Stimme eines der Bedienten                unseres Hauses. Auch der Griesler hatte sie erkannt. Die Spitze der Zunge                vorschiebend und die Schulter emporgehoben, flüsterte er: Waren einer der Bedienten                des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht erkennen, standen mit dem Rücken gegen die                Thüre. Letzteres verhielt sich wirklich so. Aber das Gefühl des Heimlichen, Unrechten                ergriff mich qualvoll. Ich stammelte nur ein Paar Worte zum Abschiede und ging. Ja                selbst mein Lied hätte ich vergessen, wäre mir nicht der Alte auf die Straße                nachgesprungen, wo er mir's in die Hand steckte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Ich erklärte ihm, daß ich von Natur keine Stimme hätte. Oder schlagen Klavierzimbel, wie die vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich sagte, daß ich die Geige spiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt auf der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich unwillkürlich auf das Mädchen hin und sah, daß sie ganz spöttisch lächelte, was mich sehr verdroß. Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das in der Musik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo soll's herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wiederholt übereinander schob. Ich war ganz beschämt, daß man mir unverdienter Weise so bedeutende musikalische Kenntnisse zutraute, und wollte eben den wahren Stand der Sache auseinander setzen, als ein außen Vorübergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend alle miteinander! Ich erschrak, denn es war die Stimme eines der Bedienten unseres Hauses. Auch der Griesler hatte sie erkannt. Die Spitze der Zunge vorschiebend und die Schulter emporgehoben, flüsterte er: Waren einer der Bedienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht erkennen, standen mit dem Rücken gegen die Thüre. Letzteres verhielt sich wirklich so. Aber das Gefühl des Heimlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich stammelte nur ein Paar Worte zum Abschiede und ging. Ja selbst mein Lied hätte ich vergessen, wäre mir nicht der Alte auf die Straße nachgesprungen, wo er mir's in die Hand steckte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:14:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:14:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/45
Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/45>, abgerufen am 23.11.2024.