Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

II. neuhochd. schwache conjugation.
was auch die unorg. schreibung essen, bissen zu errei-
chen sucht), der vocal bleibt bald kurz (schaffe, schafft,
eße, ißest, ißt; biß, bißen) bald wird er lang (traf,
aß) auch vor ch schwanken länge und kürze: brach oder
brach etc. -- r statt s dringt aus den pl. waren, froren,
koren, verloren in die sg. war, fror, kor, verlor (be-
greiflich nach gleichheit der ablaute), von da in die
praesentia:friere, verliere (doch noch kiese, nicht kiere). --
h, welches in schlagen völlig verdrängt ist, dauert in
leihen, zeihen, fliehen, sehen, geschehen ohne einmen-
gung des g; ziehen aber bekommt im praet. letzteres:
zog, zogen. -- 3) (einmischung schwacher form): schwoe-
ren
(f. schweren oder schwaeren; wie mundartisch öpfel,
mönsch f. äpfel, epfel, mensch) heben, bitten, sitzen:
sg. imp. schwoere, hebe, bitte, sitze. Viele verba, die
im mittelh. noch stark conjugierten, gehen nunmehr
schwach; einige haben neben starkem part. praet. ihr
praet. geschwächt oder schwanken zwischen schwach
und stark, z. b. malte, backte, pflegte, wirrte, bellte.

Neuhochdeutsche schwache conjugation.

Die flexionen der praet. sind den mittelh. völlig gleich
und es bliebe wenig anzumerken, wenn nicht theils
das system der kürzungen des ableitungsvocals noch
mehr entstellt worden wäre, theils der rückumlaut auf-
hörte. Die einzelnen ausnahmen: kannte, nannte,
brannte, sandte, wandte kommen kaum in betracht,
schon gelten (nicht kennte, aber) nennte, brennte, sen-
dete, wendete daneben und die analogen rannte, trannte,
pfandte, schwaudte, schandte sind unzuläßig, man sagt:
rennte, trennte, pfändete, schwendete, schändete. Um
so viel mehr in allen übrigen: gällen, gällte; kämmen,
kämmte; engen, engte; senken, senkte; decken, deckte etc.;
Ein unterschied erster und zweiter conj. läßt sich nicht
mehr durchführen; alle vormahls kurzsilbigen beider conj.
sind jetzt langsilbig. Das praet. aller schwachen verba
wird in der regel syncopiert: naeren, naerte; legen, legte;
draben, drabte; salben, salbte; minnen, minnte etc. die
volle form: naerete, legete, salbete etc. klingt gezwun-
gen feierlich. Eine zahlreiche auanahme machen aber die
verba, deren wurzel mit t, d, tt, it, nt, rt, ft, st, cht, dt, ld,
nd, rd schließt, sie stellen, statt der wohllautenden mit-
telh. syncope, gerade den ableitungsvocal wieder her,
gleichviel ob sie früher der ersten oder zweiten conj.
zugehörten, als: waten, watete; hüten, hütete; leiten,

II. neuhochd. ſchwache conjugation.
was auch die unorg. ſchreibung eſſen, biſſen zu errei-
chen ſucht), der vocal bleibt bald kurz (ſchaffe, ſchafft,
eße, ißeſt, ißt; biß, bißen) bald wird er lang (trâf,
âß) auch vor ch ſchwanken länge und kürze: brach oder
brâch etc. — r ſtatt ſ dringt aus den pl. wâren, frôren,
kôren, verlôren in die ſg. wâr, frôr, kôr, verlôr (be-
greiflich nach gleichheit der ablaute), von da in die
praeſentia:friere, verliere (doch noch kieſe, nicht kiere). —
h, welches in ſchlâgen völlig verdrängt iſt, dauert in
leihen, zeihen, fliehen, ſêhen, geſchêhen ohne einmen-
gung des g; ziehen aber bekommt im praet. letzteres:
zôg, zôgen. — 3) (einmiſchung ſchwacher form): ſchwœ-
ren
(f. ſchwêren oder ſchwæren; wie mundartiſch öpfel,
mönſch f. äpfel, epfel, menſch) hêben, bitten, ſitzen:
ſg. imp. ſchwœre, hêbe, bitte, ſitze. Viele verba, die
im mittelh. noch ſtark conjugierten, gehen nunmehr
ſchwach; einige haben neben ſtarkem part. praet. ihr
praet. geſchwächt oder ſchwanken zwiſchen ſchwach
und ſtark, z. b. mâlte, backte, pflêgte, wirrte, bellte.

Neuhochdeutſche ſchwache conjugation.

Die flexionen der praet. ſind den mittelh. völlig gleich
und es bliebe wenig anzumerken, wenn nicht theils
das ſystem der kürzungen des ableitungsvocals noch
mehr entſtellt worden wäre, theils der rückumlaut auf-
hörte. Die einzelnen ausnahmen: kannte, nannte,
brannte, ſandte, wandte kommen kaum in betracht,
ſchon gelten (nicht kennte, aber) nennte, brennte, ſen-
dete, wendete daneben und die analogen rannte, trannte,
pfandte, ſchwaudte, ſchandte ſind unzuläßig, man ſagt:
rennte, trennte, pfändete, ſchwendete, ſchändete. Um
ſo viel mehr in allen übrigen: gällen, gällte; kämmen,
kämmte; engen, engte; ſenken, ſenkte; decken, deckte etc.;
Ein unterſchied erſter und zweiter conj. läßt ſich nicht
mehr durchführen; alle vormahls kurzſilbigen beider conj.
ſind jetzt langſilbig. Das praet. aller ſchwachen verba
wird in der regel ſyncopiert: næren, nærte; lêgen, lêgte;
drâben, drâbte; ſalben, ſalbte; minnen, minnte etc. die
volle form: nærete, lêgete, ſalbete etc. klingt gezwun-
gen feierlich. Eine zahlreiche auanahme machen aber die
verba, deren wurzel mit t, d, tt, it, nt, rt, ft, ſt, cht, dt, ld,
nd, rd ſchließt, ſie ſtellen, ſtatt der wohllautenden mit-
telh. ſyncope, gerade den ableitungsvocal wieder her,
gleichviel ob ſie früher der erſten oder zweiten conj.
zugehörten, als: wâten, wâtete; huͤten, huͤtete; leiten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f1013" n="987"/><fw place="top" type="header">II. <hi rendition="#i">neuhochd. &#x017F;chwache conjugation.</hi></fw><lb/>
was auch die unorg. &#x017F;chreibung e&#x017F;&#x017F;en, bi&#x017F;&#x017F;en zu errei-<lb/>
chen &#x017F;ucht), der vocal bleibt bald kurz (&#x017F;chaffe, &#x017F;chafft,<lb/>
eße, iße&#x017F;t, ißt; biß, bißen) bald wird er lang (trâf,<lb/>
âß) auch vor ch &#x017F;chwanken länge und kürze: brach oder<lb/>
brâch etc. &#x2014; r &#x017F;tatt &#x017F; dringt aus den pl. wâren, frôren,<lb/>
kôren, verlôren in die &#x017F;g. wâr, frôr, kôr, verlôr (be-<lb/>
greiflich nach gleichheit der ablaute), von da in die<lb/>
prae&#x017F;entia:friere, verliere (doch noch kie&#x017F;e, nicht kiere). &#x2014;<lb/>
h, welches in &#x017F;chlâgen völlig verdrängt i&#x017F;t, dauert in<lb/>
leihen, zeihen, fliehen, &#x017F;êhen, ge&#x017F;chêhen ohne einmen-<lb/>
gung des g; ziehen aber bekommt im praet. letzteres:<lb/>
zôg, zôgen. &#x2014; 3) (<hi rendition="#i">einmi&#x017F;chung &#x017F;chwacher form</hi>): <hi rendition="#i">&#x017F;chw&#x0153;-<lb/>
ren</hi> (f. &#x017F;chwêren oder &#x017F;chwæren; wie mundarti&#x017F;ch öpfel,<lb/>
mön&#x017F;ch f. äpfel, epfel, men&#x017F;ch) <hi rendition="#i">hêben, bitten, &#x017F;itzen:</hi><lb/>
&#x017F;g. imp. &#x017F;chw&#x0153;re, hêbe, bitte, &#x017F;itze. Viele verba, die<lb/>
im mittelh. noch &#x017F;tark conjugierten, gehen nunmehr<lb/>
&#x017F;chwach; einige haben neben &#x017F;tarkem part. praet. ihr<lb/>
praet. ge&#x017F;chwächt oder &#x017F;chwanken zwi&#x017F;chen &#x017F;chwach<lb/>
und &#x017F;tark, z. b. mâlte, backte, pflêgte, wirrte, bellte.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#i">Neuhochdeut&#x017F;che &#x017F;chwache conjugation.</hi> </head><lb/>
              <p>Die flexionen der praet. &#x017F;ind den mittelh. völlig gleich<lb/>
und es bliebe wenig anzumerken, wenn nicht theils<lb/>
das &#x017F;ystem der kürzungen des ableitungsvocals noch<lb/>
mehr ent&#x017F;tellt worden wäre, theils der rückumlaut auf-<lb/>
hörte. Die einzelnen ausnahmen: kannte, nannte,<lb/>
brannte, &#x017F;andte, wandte kommen kaum in betracht,<lb/>
&#x017F;chon gelten (nicht kennte, aber) nennte, brennte, &#x017F;en-<lb/>
dete, wendete daneben und die analogen rannte, trannte,<lb/>
pfandte, &#x017F;chwaudte, &#x017F;chandte &#x017F;ind unzuläßig, man &#x017F;agt:<lb/>
rennte, trennte, pfändete, &#x017F;chwendete, &#x017F;chändete. Um<lb/>
&#x017F;o viel mehr in allen übrigen: gällen, gällte; kämmen,<lb/>
kämmte; engen, engte; &#x017F;enken, &#x017F;enkte; decken, deckte etc.;<lb/>
Ein unter&#x017F;chied er&#x017F;ter und zweiter conj. läßt &#x017F;ich nicht<lb/>
mehr durchführen; alle vormahls kurz&#x017F;ilbigen beider conj.<lb/>
&#x017F;ind jetzt lang&#x017F;ilbig. Das praet. aller &#x017F;chwachen verba<lb/>
wird in der regel &#x017F;yncopiert: næren, nærte; lêgen, lêgte;<lb/>
drâben, drâbte; &#x017F;alben, &#x017F;albte; minnen, minnte etc. die<lb/>
volle form: nærete, lêgete, &#x017F;albete etc. klingt gezwun-<lb/>
gen feierlich. Eine zahlreiche auanahme machen aber die<lb/>
verba, deren wurzel mit t, d, tt, it, nt, rt, ft, &#x017F;t, cht, dt, ld,<lb/>
nd, rd &#x017F;chließt, &#x017F;ie &#x017F;tellen, &#x017F;tatt der wohllautenden mit-<lb/>
telh. &#x017F;yncope, gerade den ableitungsvocal wieder her,<lb/>
gleichviel ob &#x017F;ie früher der er&#x017F;ten oder zweiten conj.<lb/>
zugehörten, als: wâten, wâtete; hu&#x0364;ten, hu&#x0364;tete; leiten,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[987/1013] II. neuhochd. ſchwache conjugation. was auch die unorg. ſchreibung eſſen, biſſen zu errei- chen ſucht), der vocal bleibt bald kurz (ſchaffe, ſchafft, eße, ißeſt, ißt; biß, bißen) bald wird er lang (trâf, âß) auch vor ch ſchwanken länge und kürze: brach oder brâch etc. — r ſtatt ſ dringt aus den pl. wâren, frôren, kôren, verlôren in die ſg. wâr, frôr, kôr, verlôr (be- greiflich nach gleichheit der ablaute), von da in die praeſentia:friere, verliere (doch noch kieſe, nicht kiere). — h, welches in ſchlâgen völlig verdrängt iſt, dauert in leihen, zeihen, fliehen, ſêhen, geſchêhen ohne einmen- gung des g; ziehen aber bekommt im praet. letzteres: zôg, zôgen. — 3) (einmiſchung ſchwacher form): ſchwœ- ren (f. ſchwêren oder ſchwæren; wie mundartiſch öpfel, mönſch f. äpfel, epfel, menſch) hêben, bitten, ſitzen: ſg. imp. ſchwœre, hêbe, bitte, ſitze. Viele verba, die im mittelh. noch ſtark conjugierten, gehen nunmehr ſchwach; einige haben neben ſtarkem part. praet. ihr praet. geſchwächt oder ſchwanken zwiſchen ſchwach und ſtark, z. b. mâlte, backte, pflêgte, wirrte, bellte. Neuhochdeutſche ſchwache conjugation. Die flexionen der praet. ſind den mittelh. völlig gleich und es bliebe wenig anzumerken, wenn nicht theils das ſystem der kürzungen des ableitungsvocals noch mehr entſtellt worden wäre, theils der rückumlaut auf- hörte. Die einzelnen ausnahmen: kannte, nannte, brannte, ſandte, wandte kommen kaum in betracht, ſchon gelten (nicht kennte, aber) nennte, brennte, ſen- dete, wendete daneben und die analogen rannte, trannte, pfandte, ſchwaudte, ſchandte ſind unzuläßig, man ſagt: rennte, trennte, pfändete, ſchwendete, ſchändete. Um ſo viel mehr in allen übrigen: gällen, gällte; kämmen, kämmte; engen, engte; ſenken, ſenkte; decken, deckte etc.; Ein unterſchied erſter und zweiter conj. läßt ſich nicht mehr durchführen; alle vormahls kurzſilbigen beider conj. ſind jetzt langſilbig. Das praet. aller ſchwachen verba wird in der regel ſyncopiert: næren, nærte; lêgen, lêgte; drâben, drâbte; ſalben, ſalbte; minnen, minnte etc. die volle form: nærete, lêgete, ſalbete etc. klingt gezwun- gen feierlich. Eine zahlreiche auanahme machen aber die verba, deren wurzel mit t, d, tt, it, nt, rt, ft, ſt, cht, dt, ld, nd, rd ſchließt, ſie ſtellen, ſtatt der wohllautenden mit- telh. ſyncope, gerade den ableitungsvocal wieder her, gleichviel ob ſie früher der erſten oder zweiten conj. zugehörten, als: wâten, wâtete; huͤten, huͤtete; leiten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1013
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 987. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1013>, abgerufen am 24.11.2024.