Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. althochdeutsche consonanten. labiales.
sten hochd. quellen zeigen also im inlaut gewöhn-
lich iw, seltner iuw oder die auflösung iu; hier
noch einige beispiele: siwan (suere) bispiwan (con-
sputus) irsiwan (vacuefactus) niwunga (novatio)
triwi (fidelis) thiwi (virginis) chliwa (globus) etc.
Bei O. ist iu die gewöhnliche form, N. hat dieses
gar nicht sondern schwankt zwischen iw und iuw,
doch überwiegt letzteres *), und scheint späterhin
ganz zu herrschen. Dieses iuw durch iuv auszule-
gen verbietet die offenbare schreibung dreier u
(z. b. riuuuun N. 9, 4. niuuuot 38, 3. liuuuen **)
108, 11.); eher könnte iw (geschrieben iuu) so viel
als iu-v scheinen, verwerflich aber macht eine
solche annahme der wichtigere grund des mit dem
alth. iw und aw analogen goth. iv und av.
g) die inlautenden ew sind selten aber unbedenklich
und zum theil vorhin als ersätze des iw angeführt;
merkwürdig ist das part. gisewan O. II. 12, 88. N. 47, 9.
f. gisehan, aber an das goth. gasaihvan mahnend.
d) zweifel macht der inlaut uw, welcher nach dem
organismus der conj. in dem pl. praet. von hriuwan,
bliuwan etc. erwartet werden sollte. Das nähere dort.
e) die inlaute aw, ew, eiw, auw sind oben s. 88. 90. 93. 97.
augeführt worden.
4) Zweiter fall des inlautenden w, nämlich in den wort-
endungen, die das im auslaut schon weggefallene oder
in einen vocal übergegangene w bewahrt haben. Bei-
spiele: palawes (mali) marawer (tener) garawan (pa-
rare) chalawer (calvus) falawer (fulvus) salawer (ater)
arawer frustraneus) farawa (color) zesawer (dexter)
sualawa (hirundo) helawa (palea) felawa (salix) eleawer
(flavus) serawer (aridus) horewes (luti) tresewes (the-
*) Da bei ihm der umlaut des au in iu beginnt, so zeigt er
zuweilen auch ein aus auw durch umlaut entstandenes iuw,
z. b. gebiuweda (aedificium) iuwela (noctua); formen
die in früheren alth. quellen unerhört wären.
**) Dieses part. ferliuwen (concessum) bestätigt meine ganze
ansicht, denn die conj. fordert organisch; ferliwen, so
wie im praet. pl. liw[ - 1 Zeichen fehlt]n (commodabant); da man aber
einmahl die aus iu entspringenden iw in iuw umwandelte,
musten sich auch jene iw (die aus der form eiw stammen)
fälschlich zum iuw bequemen; und so sagte man spiuwen
(spuebant) gispiuwen (sputum).
I. althochdeutſche conſonanten. labiales.
ſten hochd. quellen zeigen alſo im inlaut gewöhn-
lich iw, ſeltner iuw oder die auflöſung iu; hier
noch einige beiſpiele: ſiwan (ſuere) biſpiwan (con-
ſputus) irſiwan (vacuefactus) niwunga (novatio)
triwi (fidelis) thiwi (virginis) chliwa (globus) etc.
Bei O. iſt iu die gewöhnliche form, N. hat dieſes
gar nicht ſondern ſchwankt zwiſchen iw und iuw,
doch überwiegt letzteres *), und ſcheint ſpäterhin
ganz zu herrſchen. Dieſes iuw durch iuv auszule-
gen verbietet die offenbare ſchreibung dreier u
(z. b. ríuuuun N. 9, 4. níuuuôt 38, 3. líuuuen **)
108, 11.); eher könnte iw (geſchrieben íuu) ſo viel
als iu-v ſcheinen, verwerflich aber macht eine
ſolche annahme der wichtigere grund des mit dem
alth. iw und aw analogen goth. iv und av.
γ) die inlautenden ëw ſind ſelten aber unbedenklich
und zum theil vorhin als erſätze des iw angeführt;
merkwürdig iſt das part. giſëwan O. II. 12, 88. N. 47, 9.
f. giſëhan, aber an das goth. gaſaihvan mahnend.
δ) zweifel macht der inlaut uw, welcher nach dem
organiſmus der conj. in dem pl. praet. von hriuwan,
bliuwan etc. erwartet werden ſollte. Das nähere dort.
ε) die inlaute âw, êw, îw, ûw ſind oben ſ. 88. 90. 93. 97.
augeführt worden.
4) Zweiter fall des inlautenden w, nämlich in den wort-
endungen, die das im auslaut ſchon weggefallene oder
in einen vocal übergegangene w bewahrt haben. Bei-
ſpiele: palawes (mali) marawêr (tener) garawan (pa-
rare) chalawêr (calvus) falawêr (fulvus) ſalawêr (ater)
arawêr fruſtraneus) farawa (color) zëſawêr (dexter)
ſualawa (hirundo) hëlawa (palea) fëlawa (ſalix) ëlëawêr
(flavus) ſêrawêr (aridus) horewes (luti) trëſewes (the-
*) Da bei ihm der umlaut des û in iu beginnt, ſo zeigt er
zuweilen auch ein aus ûw durch umlaut entſtandenes iuw,
z. b. gebiuweda (aedificium) iuwela (noctua); formen
die in früheren alth. quellen unerhört wären.
**) Dieſes part. ferliuwen (conceſſum) beſtätigt meine ganze
anſicht, denn die conj. fordert organiſch; ferliwen, ſo
wie im praet. pl. liw[ – 1 Zeichen fehlt]n (commodabant); da man aber
einmahl die aus iu entſpringenden iw in iuw umwandelte,
muſten ſich auch jene iw (die aus der form îw ſtammen)
fälſchlich zum iuw bequemen; und ſo ſagte man ſpiuwen
(ſpuebant) giſpiuwen (ſputum).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item>
                  <list>
                    <item><pb facs="#f0172" n="146"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">althochdeut&#x017F;che con&#x017F;onanten. labiales.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ten hochd. quellen zeigen al&#x017F;o im inlaut gewöhn-<lb/>
lich <hi rendition="#i">iw</hi>, &#x017F;eltner <hi rendition="#i">iuw</hi> oder die auflö&#x017F;ung <hi rendition="#i">iu;</hi> hier<lb/>
noch einige bei&#x017F;piele: &#x017F;iwan (&#x017F;uere) bi&#x017F;piwan (con-<lb/>
&#x017F;putus) ir&#x017F;iwan (vacuefactus) niwunga (novatio)<lb/>
triwi (fidelis) thiwi (virginis) chliwa (globus) etc.<lb/>
Bei O. i&#x017F;t <hi rendition="#i">iu</hi> die gewöhnliche form, N. hat die&#x017F;es<lb/>
gar nicht &#x017F;ondern &#x017F;chwankt zwi&#x017F;chen <hi rendition="#i">iw</hi> und <hi rendition="#i">iuw</hi>,<lb/>
doch überwiegt letzteres <note place="foot" n="*)">Da bei ihm der umlaut des <hi rendition="#i">û</hi> in <hi rendition="#i">iu</hi> beginnt, &#x017F;o zeigt er<lb/>
zuweilen auch ein aus <hi rendition="#i">ûw</hi> durch umlaut ent&#x017F;tandenes <hi rendition="#i">iuw</hi>,<lb/>
z. b. gebiuweda (aedificium) iuwela (noctua); formen<lb/>
die in früheren alth. quellen unerhört wären.</note>, und &#x017F;cheint &#x017F;päterhin<lb/>
ganz zu herr&#x017F;chen. Die&#x017F;es <hi rendition="#i">iuw</hi> durch <hi rendition="#i">iuv</hi> auszule-<lb/>
gen verbietet die offenbare &#x017F;chreibung dreier <hi rendition="#i">u</hi><lb/>
(z. b. ríuuuun N. 9, 4. níuuuôt 38, 3. líuuuen <note place="foot" n="**)">Die&#x017F;es part. ferliuwen (conce&#x017F;&#x017F;um) be&#x017F;tätigt meine ganze<lb/>
an&#x017F;icht, denn die conj. fordert organi&#x017F;ch; ferliwen, &#x017F;o<lb/>
wie im praet. pl. liw<gap unit="chars" quantity="1"/>n (commodabant); da man aber<lb/>
einmahl die aus <hi rendition="#i">iu</hi> ent&#x017F;pringenden <hi rendition="#i">iw</hi> in <hi rendition="#i">iuw</hi> umwandelte,<lb/>
mu&#x017F;ten &#x017F;ich auch jene <hi rendition="#i">iw</hi> (die aus der form <hi rendition="#i">îw</hi> &#x017F;tammen)<lb/>
fäl&#x017F;chlich zum <hi rendition="#i">iuw</hi> bequemen; und &#x017F;o &#x017F;agte man &#x017F;piuwen<lb/>
(&#x017F;puebant) gi&#x017F;piuwen (&#x017F;putum).</note><lb/>
108, 11.); eher könnte <hi rendition="#i">iw</hi> (ge&#x017F;chrieben <hi rendition="#i">íuu</hi>) &#x017F;o viel<lb/>
als iu-v &#x017F;cheinen, verwerflich aber macht eine<lb/>
&#x017F;olche annahme der wichtigere grund des mit dem<lb/>
alth. <hi rendition="#i">iw</hi> und <hi rendition="#i">aw</hi> analogen goth. <hi rendition="#i">iv</hi> und <hi rendition="#i">av</hi>.</item><lb/>
                    <item><hi rendition="#i">&#x03B3;</hi>) die inlautenden <hi rendition="#i">ëw</hi> &#x017F;ind &#x017F;elten aber unbedenklich<lb/>
und zum theil vorhin als er&#x017F;ätze des <hi rendition="#i">iw</hi> angeführt;<lb/>
merkwürdig i&#x017F;t das part. gi&#x017F;ëwan O. II. 12, 88. N. 47, 9.<lb/>
f. gi&#x017F;ëhan, aber an das goth. ga&#x017F;aihvan mahnend.</item><lb/>
                    <item><hi rendition="#i">&#x03B4;</hi>) zweifel macht der inlaut <hi rendition="#i">uw</hi>, welcher nach dem<lb/>
organi&#x017F;mus der conj. in dem pl. praet. von hriuwan,<lb/>
bliuwan etc. erwartet werden &#x017F;ollte. Das nähere dort.</item><lb/>
                    <item><hi rendition="#i">&#x03B5;</hi>) die inlaute <hi rendition="#i">âw, êw, îw, ûw</hi> &#x017F;ind oben &#x017F;. 88. 90. 93. 97.<lb/>
augeführt worden.</item>
                  </list>
                </item><lb/>
                <item>4) <hi rendition="#i">Zweiter fall</hi> des inlautenden <hi rendition="#i">w</hi>, nämlich in den wort-<lb/>
endungen, die das im auslaut &#x017F;chon weggefallene oder<lb/>
in einen vocal übergegangene <hi rendition="#i">w</hi> bewahrt haben. Bei-<lb/>
&#x017F;piele: palawes (mali) marawêr (tener) garawan (pa-<lb/>
rare) chalawêr (calvus) falawêr (fulvus) &#x017F;alawêr (ater)<lb/>
arawêr fru&#x017F;traneus) farawa (color) zë&#x017F;awêr (dexter)<lb/>
&#x017F;ualawa (hirundo) hëlawa (palea) fëlawa (&#x017F;alix) ëlëawêr<lb/>
(flavus) &#x017F;êrawêr (aridus) horewes (luti) trë&#x017F;ewes (the-<lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0172] I. althochdeutſche conſonanten. labiales. ſten hochd. quellen zeigen alſo im inlaut gewöhn- lich iw, ſeltner iuw oder die auflöſung iu; hier noch einige beiſpiele: ſiwan (ſuere) biſpiwan (con- ſputus) irſiwan (vacuefactus) niwunga (novatio) triwi (fidelis) thiwi (virginis) chliwa (globus) etc. Bei O. iſt iu die gewöhnliche form, N. hat dieſes gar nicht ſondern ſchwankt zwiſchen iw und iuw, doch überwiegt letzteres *), und ſcheint ſpäterhin ganz zu herrſchen. Dieſes iuw durch iuv auszule- gen verbietet die offenbare ſchreibung dreier u (z. b. ríuuuun N. 9, 4. níuuuôt 38, 3. líuuuen **) 108, 11.); eher könnte iw (geſchrieben íuu) ſo viel als iu-v ſcheinen, verwerflich aber macht eine ſolche annahme der wichtigere grund des mit dem alth. iw und aw analogen goth. iv und av. γ) die inlautenden ëw ſind ſelten aber unbedenklich und zum theil vorhin als erſätze des iw angeführt; merkwürdig iſt das part. giſëwan O. II. 12, 88. N. 47, 9. f. giſëhan, aber an das goth. gaſaihvan mahnend. δ) zweifel macht der inlaut uw, welcher nach dem organiſmus der conj. in dem pl. praet. von hriuwan, bliuwan etc. erwartet werden ſollte. Das nähere dort. ε) die inlaute âw, êw, îw, ûw ſind oben ſ. 88. 90. 93. 97. augeführt worden. 4) Zweiter fall des inlautenden w, nämlich in den wort- endungen, die das im auslaut ſchon weggefallene oder in einen vocal übergegangene w bewahrt haben. Bei- ſpiele: palawes (mali) marawêr (tener) garawan (pa- rare) chalawêr (calvus) falawêr (fulvus) ſalawêr (ater) arawêr fruſtraneus) farawa (color) zëſawêr (dexter) ſualawa (hirundo) hëlawa (palea) fëlawa (ſalix) ëlëawêr (flavus) ſêrawêr (aridus) horewes (luti) trëſewes (the- *) Da bei ihm der umlaut des û in iu beginnt, ſo zeigt er zuweilen auch ein aus ûw durch umlaut entſtandenes iuw, z. b. gebiuweda (aedificium) iuwela (noctua); formen die in früheren alth. quellen unerhört wären. **) Dieſes part. ferliuwen (conceſſum) beſtätigt meine ganze anſicht, denn die conj. fordert organiſch; ferliwen, ſo wie im praet. pl. liw_n (commodabant); da man aber einmahl die aus iu entſpringenden iw in iuw umwandelte, muſten ſich auch jene iw (die aus der form îw ſtammen) fälſchlich zum iuw bequemen; und ſo ſagte man ſpiuwen (ſpuebant) giſpiuwen (ſputum).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/172
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/172>, abgerufen am 24.11.2024.