Das alth. ß war etwas härter, dss, ein mit s ver- setztes d, oder vielmehr z; es kaun durchaus nicht als verwandt mit s und ss betrachtet werden. Noch weiter ab vom goth. z liegt das alth. z.
(S) von unterscheidung des zisch- und sauselautes war so eben die rede. Dieser ist ein einfacher, heller, spitzer; jener ein zusammengesetzter, trüber und krau- ser. Englische grammatiker pflegen den sauselaut his- sing, den zischlaut buzzing sound zu benennen nach dem schneidenden pfeifen (sibilare, siffler, sizein, fi- schiare) der schlange und dem dumpfen summen (bour- donner) der biene oder hummel. Der sauselaut wird in allen sprachen derselbe, der zischlaut aber unbestimmt und stufenmäßig seyn, wir haben gesehn, daß die alth. mundart zwei stufen, die goth. eine von beiden abwei- chende kannte. Eigenheit deutscher sprache überhaupt scheint es, daß sie, gleich der lateinischen, den leisen zischlaut (ich meine das goth. z und alth. ß) nie anlau- ten läßt *), was im slav. und französ. so häufig ge- schieht. Sollte dies nicht schon frühe der reinen aus- sprache des anlautenden s nachtheil gebracht haben? **) Wenigstens pflegen es heutigestags manche zungen zu breit und dick hervorzubringen, die wörter: sonne, sin- gen z. b. so zu sprechen, als ob sie ßonne. ßingen lau- teten. Dazu kommt, daß auch die spiranten h und w im alth. zuweilen breiter als das goth. h und v gewe- sen seyn mögen und umgekehrt das goth. inlautende s selbst in z verdickt wurde. Letzteres ist inzwischen auf die alth. mundart unanwendbar. deren inlautendes s allmäh- lig in r, nicht in ß übertritt. Und wider die vermuthung einer zischenden aussprache des anlautenden s muß im allgemeinen eingewendet werden, daß doch graphisch gar keine verwechselungen dieses s mit dem ß und eher im inlaut einige, doch höchst seltene, zu bemer- ken sind, von welchen unten bei den geminationen. Nie wird man ßal f. sal (aula) waß f. was (erat) etc.
*) Die asp. th, th, welche anlautet, ist kein eigentlicher zischlaut, obwohl sich ihm nähernd. Von dem niederl. z statt s unten.
**) Vielleicht hilft auch in andern fällen die wahrnehmung manches erklären, daß, wo eine mundart in der lautver- theilung eine lücke hat, verwandte laute in die lücke ein- zudringen pflegen. Sind alle laute vollständig besetzt, so wahrt jeder seine grenze.
I. althochdeutſche conſonanten. linguales.
Das alth. Ʒ war etwas härter, dſſ, ein mit ſ ver- ſetztes d, oder vielmehr z; es kaun durchaus nicht als verwandt mit ſ und ſſ betrachtet werden. Noch weiter ab vom goth. z liegt das alth. z.
(S) von unterſcheidung des ziſch- und ſauſelautes war ſo eben die rede. Dieſer iſt ein einfacher, heller, ſpitzer; jener ein zuſammengeſetzter, trüber und krau- ſer. Engliſche grammatiker pflegen den ſauſelaut hiſ- ſing, den ziſchlaut buzzing ſound zu benennen nach dem ſchneidenden pfeifen (ſibilare, ſiffler, σίζειν, fi- ſchiare) der ſchlange und dem dumpfen ſummen (bour- donner) der biene oder hummel. Der ſauſelaut wird in allen ſprachen derſelbe, der ziſchlaut aber unbeſtimmt und ſtufenmäßig ſeyn, wir haben geſehn, daß die alth. mundart zwei ſtufen, die goth. eine von beiden abwei- chende kannte. Eigenheit deutſcher ſprache überhaupt ſcheint es, daß ſie, gleich der lateiniſchen, den leiſen ziſchlaut (ich meine das goth. z und alth. Ʒ) nie anlau- ten läßt *), was im ſlav. und franzöſ. ſo häufig ge- ſchieht. Sollte dies nicht ſchon frühe der reinen aus- ſprache des anlautenden ſ nachtheil gebracht haben? **) Wenigſtens pflegen es heutigestags manche zungen zu breit und dick hervorzubringen, die wörter: ſonne, ſin- gen z. b. ſo zu ſprechen, als ob ſie Ʒonne. Ʒingen lau- teten. Dazu kommt, daß auch die ſpiranten h und w im alth. zuweilen breiter als das goth. h und v gewe- ſen ſeyn mögen und umgekehrt das goth. inlautende ſ ſelbſt in z verdickt wurde. Letzteres iſt inzwiſchen auf die alth. mundart unanwendbar. deren inlautendes ſ allmäh- lig in r, nicht in Ʒ übertritt. Und wider die vermuthung einer ziſchenden ausſprache des anlautenden ſ muß im allgemeinen eingewendet werden, daß doch graphiſch gar keine verwechſelungen dieſes ſ mit dem Ʒ und eher im inlaut einige, doch höchſt ſeltene, zu bemer- ken ſind, von welchen unten bei den geminationen. Nie wird man Ʒal f. ſal (aula) waƷ f. was (erat) etc.
*) Die aſp. þ, th, welche anlautet, iſt kein eigentlicher ziſchlaut, obwohl ſich ihm nähernd. Von dem niederl. z ſtatt ſ unten.
**) Vielleicht hilft auch in andern fällen die wahrnehmung manches erklären, daß, wo eine mundart in der lautver- theilung eine lücke hat, verwandte laute in die lücke ein- zudringen pflegen. Sind alle laute vollſtändig beſetzt, ſo wahrt jeder ſeine grenze.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><list><item><pbfacs="#f0192"n="166"/><fwplace="top"type="header">I. <hirendition="#i">althochdeutſche conſonanten. linguales.</hi></fw><lb/>
Das alth. Ʒ war etwas härter, dſſ, ein mit ſ ver-<lb/>ſetztes d, oder vielmehr z; es kaun durchaus nicht<lb/>
als verwandt mit ſ und ſſ betrachtet werden. Noch<lb/>
weiter ab vom goth. z liegt das alth. z.</item></list><lb/><p>(S) von unterſcheidung des ziſch- und ſauſelautes<lb/>
war ſo eben die rede. Dieſer iſt ein einfacher, heller,<lb/>ſpitzer; jener ein zuſammengeſetzter, trüber und krau-<lb/>ſer. Engliſche grammatiker pflegen den ſauſelaut <hirendition="#i">hiſ-<lb/>ſing</hi>, den ziſchlaut <hirendition="#i">buzzing</hi>ſound zu benennen nach<lb/>
dem ſchneidenden pfeifen (ſibilare, ſiffler, <hirendition="#i">σίζειν</hi>, fi-<lb/>ſchiare) der ſchlange und dem dumpfen ſummen (bour-<lb/>
donner) der biene oder hummel. Der ſauſelaut wird in<lb/>
allen ſprachen derſelbe, der ziſchlaut aber unbeſtimmt<lb/>
und ſtufenmäßig ſeyn, wir haben geſehn, daß die alth.<lb/>
mundart zwei ſtufen, die goth. eine von beiden abwei-<lb/>
chende kannte. Eigenheit deutſcher ſprache überhaupt<lb/>ſcheint es, daß ſie, gleich der lateiniſchen, den leiſen<lb/>
ziſchlaut (ich meine das goth. z und alth. Ʒ) nie anlau-<lb/>
ten läßt <noteplace="foot"n="*)">Die aſp. þ, th, welche anlautet, iſt kein eigentlicher<lb/>
ziſchlaut, obwohl ſich ihm nähernd. Von dem niederl.<lb/>
z ſtatt ſ unten.</note>, was im ſlav. und franzöſ. ſo häufig ge-<lb/>ſchieht. Sollte dies nicht ſchon frühe der reinen aus-<lb/>ſprache des anlautenden ſ nachtheil gebracht haben? <noteplace="foot"n="**)">Vielleicht hilft auch in andern fällen die wahrnehmung<lb/>
manches erklären, daß, wo eine mundart in der lautver-<lb/>
theilung eine lücke hat, verwandte laute in die lücke ein-<lb/>
zudringen pflegen. Sind alle laute vollſtändig beſetzt,<lb/>ſo wahrt jeder ſeine grenze.</note><lb/>
Wenigſtens pflegen es heutigestags manche zungen zu<lb/>
breit und dick hervorzubringen, die wörter: ſonne, ſin-<lb/>
gen z. b. ſo zu ſprechen, als ob ſie Ʒonne. Ʒingen lau-<lb/>
teten. Dazu kommt, daß auch die ſpiranten h und w<lb/>
im alth. zuweilen breiter als das goth. h und v gewe-<lb/>ſen ſeyn mögen und umgekehrt das goth. inlautende ſ<lb/>ſelbſt in z verdickt wurde. Letzteres iſt inzwiſchen auf die<lb/>
alth. mundart unanwendbar. deren inlautendes ſ allmäh-<lb/>
lig in r, nicht in Ʒ übertritt. Und wider die vermuthung<lb/>
einer ziſchenden ausſprache des anlautenden ſ muß im<lb/>
allgemeinen eingewendet werden, daß doch graphiſch<lb/>
gar keine verwechſelungen dieſes ſ mit dem Ʒ und<lb/>
eher im inlaut einige, doch höchſt ſeltene, zu bemer-<lb/>
ken ſind, von welchen unten bei den geminationen.<lb/>
Nie wird man Ʒal f. ſal (aula) waƷ f. was (erat) etc.<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[166/0192]
I. althochdeutſche conſonanten. linguales.
Das alth. Ʒ war etwas härter, dſſ, ein mit ſ ver-
ſetztes d, oder vielmehr z; es kaun durchaus nicht
als verwandt mit ſ und ſſ betrachtet werden. Noch
weiter ab vom goth. z liegt das alth. z.
(S) von unterſcheidung des ziſch- und ſauſelautes
war ſo eben die rede. Dieſer iſt ein einfacher, heller,
ſpitzer; jener ein zuſammengeſetzter, trüber und krau-
ſer. Engliſche grammatiker pflegen den ſauſelaut hiſ-
ſing, den ziſchlaut buzzing ſound zu benennen nach
dem ſchneidenden pfeifen (ſibilare, ſiffler, σίζειν, fi-
ſchiare) der ſchlange und dem dumpfen ſummen (bour-
donner) der biene oder hummel. Der ſauſelaut wird in
allen ſprachen derſelbe, der ziſchlaut aber unbeſtimmt
und ſtufenmäßig ſeyn, wir haben geſehn, daß die alth.
mundart zwei ſtufen, die goth. eine von beiden abwei-
chende kannte. Eigenheit deutſcher ſprache überhaupt
ſcheint es, daß ſie, gleich der lateiniſchen, den leiſen
ziſchlaut (ich meine das goth. z und alth. Ʒ) nie anlau-
ten läßt *), was im ſlav. und franzöſ. ſo häufig ge-
ſchieht. Sollte dies nicht ſchon frühe der reinen aus-
ſprache des anlautenden ſ nachtheil gebracht haben? **)
Wenigſtens pflegen es heutigestags manche zungen zu
breit und dick hervorzubringen, die wörter: ſonne, ſin-
gen z. b. ſo zu ſprechen, als ob ſie Ʒonne. Ʒingen lau-
teten. Dazu kommt, daß auch die ſpiranten h und w
im alth. zuweilen breiter als das goth. h und v gewe-
ſen ſeyn mögen und umgekehrt das goth. inlautende ſ
ſelbſt in z verdickt wurde. Letzteres iſt inzwiſchen auf die
alth. mundart unanwendbar. deren inlautendes ſ allmäh-
lig in r, nicht in Ʒ übertritt. Und wider die vermuthung
einer ziſchenden ausſprache des anlautenden ſ muß im
allgemeinen eingewendet werden, daß doch graphiſch
gar keine verwechſelungen dieſes ſ mit dem Ʒ und
eher im inlaut einige, doch höchſt ſeltene, zu bemer-
ken ſind, von welchen unten bei den geminationen.
Nie wird man Ʒal f. ſal (aula) waƷ f. was (erat) etc.
*) Die aſp. þ, th, welche anlautet, iſt kein eigentlicher
ziſchlaut, obwohl ſich ihm nähernd. Von dem niederl.
z ſtatt ſ unten.
**) Vielleicht hilft auch in andern fällen die wahrnehmung
manches erklären, daß, wo eine mundart in der lautver-
theilung eine lücke hat, verwandte laute in die lücke ein-
zudringen pflegen. Sind alle laute vollſtändig beſetzt,
ſo wahrt jeder ſeine grenze.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/192>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.