nur, die grenze des scheinbar sicheren von dem wirk- lich sicheren zu treffen. Ich habe zwar das schwierige und zweifelhafte mit anführungen zu stützen gestrebt, ungern viele aus mangel an raum unterdrückt. Noch wichtiger war es freilich, die beispiele selbst, auch ohne hinzugegebnen beleg zu mehren, und so beträchtlich diese vermehrung von der magerkeit der ersten ausgabe abstechen wird, genüge ich mir hierin noch lange nicht. Grammatische gewähr kann nicht anders geleistet wer- den, als durch vollständige aufzählung aller beispiele, die unter jede einzelne regel der laut- und flexions- lehre gehören; nicht bloß zum erweis der einzelnheit selbst, sondern weil der überblick der maße unberechen- bare vortheile hat. Solche vollendung der deutschen grammatik ist aber natürlich nicht auf einmahl von einem zu erreichen; wir sollen ihr mit vereinten kräften nach- eifern und es wird sich durch geschickte anordnung selbst auf beschränktem raume weit mehr erreichen laßen, als ich gegenwärtig liefere.
Das verzeichnis der quellen und hülfsmittel ist weg- geblieben, weil es nicht in die grammatik gehört, son- dern in die geschichte der literatur unserer sprache und poesie. Ich habe einige althochd. denkmähler mehr brauchen können, als zu der ersten ausgabe, namentlich die glossae augustanae (bei Braun vol. 2. p. 117-127); glossae trevirenses (wovon mir Hr. Prof. Wyttenbach be- reitwillig die hs. geliehen hat; es sind die auch von Gerbert herausg. glossae sanblasianae, welchen sie jedoch berichtigung, hin und wieder ergänzung gewähren); bedauernswerth ist der verlust der im achten jahrh. über- setzten kirchengesänge. Vossius hatte die pergamenthand- schrift beseßen, Fr. Junius davon copie genommen, er sagt in der vorrede zum goth. glossar: hos XXVI. anti- quae ecclesiae alamannicae hymnos transscripsimus ex membranis vossianis. Aus dieser abschrift sind bekannt- lich nur vier hymni (bei Hickes und Eckhart) im druck erschienen, die 22 fehlenden müßen für grammatik und lexicon nicht wenig wichtiges enthalten, ein satz aus hymn. 25. stehet in den gl. jun. 182; einer aus 21, 3. bei Schilter v. kapot, aus 25, 4. v. kiosun sewes [ich kann nicht erklären, wie Schilter oder Scherz zu diesen stellen gelangt ist?] In der ersten hälfte des vorigen jahrh. wurde Junius abschrift noch zu Oxford bewahrt (v. catal. mss. angl. p.255. n° 5221.), jetzt fehlt sie und soll laut eingezogener erkundigung schon vor 60 jahren
Vorrede.
nur, die grenze des ſcheinbar ſicheren von dem wirk- lich ſicheren zu treffen. Ich habe zwar das ſchwierige und zweifelhafte mit anführungen zu ſtützen geſtrebt, ungern viele aus mangel an raum unterdrückt. Noch wichtiger war es freilich, die beiſpiele ſelbſt, auch ohne hinzugegebnen beleg zu mehren, und ſo beträchtlich dieſe vermehrung von der magerkeit der erſten ausgabe abſtechen wird, genüge ich mir hierin noch lange nicht. Grammatiſche gewähr kann nicht anders geleiſtet wer- den, als durch vollſtändige aufzählung aller beiſpiele, die unter jede einzelne regel der laut- und flexions- lehre gehören; nicht bloß zum erweis der einzelnheit ſelbſt, ſondern weil der überblick der maße unberechen- bare vortheile hat. Solche vollendung der deutſchen grammatik iſt aber natürlich nicht auf einmahl von einem zu erreichen; wir ſollen ihr mit vereinten kräften nach- eifern und es wird ſich durch geſchickte anordnung ſelbſt auf beſchränktem raume weit mehr erreichen laßen, als ich gegenwärtig liefere.
Das verzeichnis der quellen und hülfsmittel iſt weg- geblieben, weil es nicht in die grammatik gehört, ſon- dern in die geſchichte der literatur unſerer ſprache und poeſie. Ich habe einige althochd. denkmähler mehr brauchen können, als zu der erſten ausgabe, namentlich die gloſſae auguſtanae (bei Braun vol. 2. p. 117-127); gloſſae trevirenſes (wovon mir Hr. Prof. Wyttenbach be- reitwillig die hſ. geliehen hat; es ſind die auch von Gerbert herausg. gloſſae ſanblaſianae, welchen ſie jedoch berichtigung, hin und wieder ergänzung gewähren); bedauernswerth iſt der verluſt der im achten jahrh. über- ſetzten kirchengeſänge. Voſſius hatte die pergamenthand- ſchrift beſeßen, Fr. Junius davon copie genommen, er ſagt in der vorrede zum goth. gloſſar: hos XXVI. anti- quae eccleſiae alamannicae hymnos transſcripſimus ex membranis voſſianis. Aus dieſer abſchrift ſind bekannt- lich nur vier hymni (bei Hickes und Eckhart) im druck erſchienen, die 22 fehlenden müßen für grammatik und lexicon nicht wenig wichtiges enthalten, ein ſatz aus hymn. 25. ſtehet in den gl. jun. 182; einer aus 21, 3. bei Schilter v. kapot, aus 25, 4. v. kioſun ſewes [ich kann nicht erklären, wie Schilter oder Scherz zu dieſen ſtellen gelangt iſt?] In der erſten hälfte des vorigen jahrh. wurde Junius abſchrift noch zu Oxford bewahrt (v. catal. mſſ. angl. p.255. n° 5221.), jetzt fehlt ſie und ſoll laut eingezogener erkundigung ſchon vor 60 jahren
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[XVI/0022]
Vorrede.
nur, die grenze des ſcheinbar ſicheren von dem wirk-
lich ſicheren zu treffen. Ich habe zwar das ſchwierige
und zweifelhafte mit anführungen zu ſtützen geſtrebt,
ungern viele aus mangel an raum unterdrückt. Noch
wichtiger war es freilich, die beiſpiele ſelbſt, auch ohne
hinzugegebnen beleg zu mehren, und ſo beträchtlich
dieſe vermehrung von der magerkeit der erſten ausgabe
abſtechen wird, genüge ich mir hierin noch lange nicht.
Grammatiſche gewähr kann nicht anders geleiſtet wer-
den, als durch vollſtändige aufzählung aller beiſpiele,
die unter jede einzelne regel der laut- und flexions-
lehre gehören; nicht bloß zum erweis der einzelnheit
ſelbſt, ſondern weil der überblick der maße unberechen-
bare vortheile hat. Solche vollendung der deutſchen
grammatik iſt aber natürlich nicht auf einmahl von einem
zu erreichen; wir ſollen ihr mit vereinten kräften nach-
eifern und es wird ſich durch geſchickte anordnung
ſelbſt auf beſchränktem raume weit mehr erreichen laßen,
als ich gegenwärtig liefere.
Das verzeichnis der quellen und hülfsmittel iſt weg-
geblieben, weil es nicht in die grammatik gehört, ſon-
dern in die geſchichte der literatur unſerer ſprache und
poeſie. Ich habe einige althochd. denkmähler mehr
brauchen können, als zu der erſten ausgabe, namentlich
die gloſſae auguſtanae (bei Braun vol. 2. p. 117-127);
gloſſae trevirenſes (wovon mir Hr. Prof. Wyttenbach be-
reitwillig die hſ. geliehen hat; es ſind die auch von
Gerbert herausg. gloſſae ſanblaſianae, welchen ſie jedoch
berichtigung, hin und wieder ergänzung gewähren);
bedauernswerth iſt der verluſt der im achten jahrh. über-
ſetzten kirchengeſänge. Voſſius hatte die pergamenthand-
ſchrift beſeßen, Fr. Junius davon copie genommen, er
ſagt in der vorrede zum goth. gloſſar: hos XXVI. anti-
quae eccleſiae alamannicae hymnos transſcripſimus ex
membranis voſſianis. Aus dieſer abſchrift ſind bekannt-
lich nur vier hymni (bei Hickes und Eckhart) im druck
erſchienen, die 22 fehlenden müßen für grammatik und
lexicon nicht wenig wichtiges enthalten, ein ſatz aus
hymn. 25. ſtehet in den gl. jun. 182; einer aus 21, 3.
bei Schilter v. kapot, aus 25, 4. v. kioſun ſewes [ich
kann nicht erklären, wie Schilter oder Scherz zu dieſen
ſtellen gelangt iſt?] In der erſten hälfte des vorigen
jahrh. wurde Junius abſchrift noch zu Oxford bewahrt
(v. catal. mſſ. angl. p.255. n° 5221.), jetzt fehlt ſie und
ſoll laut eingezogener erkundigung ſchon vor 60 jahren
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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