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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. angelsächsische consonanten. gutturales.
sicherheit wohl keine. Als die Sachsen statt der frü-
heren rune cen das lat. c zu schreiben begannen, galt
jene abänderung der aussprache noch nicht, sonst wür-
den sie nicht c, das in cirm (fragor) gezischt hätte, in
can (novi) für den unbezweifelten k. laut angenommen
haben. In so früher zeit und noch lange nachher ist
an keinen einfluß der französ. aussprache auf die angels.
zu denken. Die nord. sprachen, und in ihrem heuti-
gen stande gestatten keine unmittelbare beziehung auf
das angels.; bedeutender scheint der grund, welchen
die fries. und engl. aussprache an hand gibt. Doch kön-
nen dies später eingetretene abweichungen seyn, zumahl
man sie eben durch eine veränderte schreibung auszu-
drücken für nöthig achtete, denn hätte schon das angels.
c in gewissen fällen dem engl. ch gleichgelautet, so
würde sich wohl die ältere schreibung behauptet haben.
Es ist nicht einmahl ausgemacht, daß das heutige engl. ch
von jeher die aussprache tsch. besaß; vermuthlich lautete
es vorher milder, etwa wie sch (unten s. 262. 266.) Hat sich
nicht auch aussprache und schreibung des alth. sc. sl etc.
allmählig in sch. schl. verwandelt (oben s. 173. 174.) wer
wollte mit dem neuh. gebrauch den alth. früheren bewei-
sen? Das mit den besten angels. quellen gleichzeitige denk-
mahl der altsächs. (westphälischen) sprache bedient sich
seltner des c als des k, aber einigemahl auch vor e und
i; wollte man hier behaupten, daß in dergleichen fällen
c und k beide von dem reinen gutturallaut abgewichen
seyen, so würde aus der alliteration die beste widerlegung
folgen, indem allenthalben z. b. gicoran, kuning, keser;
cuman, cnuosle, kesures; kind, krist; kind, kunneas etc.
zusammengefügt werden. Nun alliterieren aber auch in
den angels. gedichten z. b.: cyme (adventus): cräfta:
causcne; cyning: Caines; cyst: cvealm; cynna: cvice; Cai-
nes: cynne: cvealm; cneo: cenned; ceapas: cnosle;
cear: colran (frigidiores); cen-thec: cräfte: cnihtum;
cealde: camp *) etc. Dieser grund entscheidet mir wider
die engl. aussprache des angels. c vor e, i etc., kein
dichter hätte ceap zu cnosl gebunden, wenn jenem der
laut des engl. cheap (oder ein anderer zischlaut, ds
oder das franz. z), diesem der reine k laut eigen gewe-
sen wäre. Freilich würde der alliteration die nord. oder
dän. aussprache kje, kji etc. nicht geschadet haben

*) Par. 15. 24. 37. 39. Beov, 10. 23. 93. 96.
R

I. angelſächſiſche conſonanten. gutturales.
ſicherheit wohl keine. Als die Sachſen ſtatt der frü-
heren rune cên das lat. c zu ſchreiben begannen, galt
jene abänderung der ausſprache noch nicht, ſonſt wür-
den ſie nicht c, das in cirm (fragor) geziſcht hätte, in
can (novi) für den unbezweifelten k. laut angenommen
haben. In ſo früher zeit und noch lange nachher iſt
an keinen einfluß der franzöſ. ausſprache auf die angelſ.
zu denken. Die nord. ſprachen, und in ihrem heuti-
gen ſtande geſtatten keine unmittelbare beziehung auf
das angelſ.; bedeutender ſcheint der grund, welchen
die frieſ. und engl. ausſprache an hand gibt. Doch kön-
nen dies ſpäter eingetretene abweichungen ſeyn, zumahl
man ſie eben durch eine veränderte ſchreibung auszu-
drücken für nöthig achtete, denn hätte ſchon das angelſ.
c in gewiſſen fällen dem engl. ch gleichgelautet, ſo
würde ſich wohl die ältere ſchreibung behauptet haben.
Es iſt nicht einmahl ausgemacht, daß das heutige engl. ch
von jeher die ausſprache tſch. beſaß; vermuthlich lautete
es vorher milder, etwa wie ſch (unten ſ. 262. 266.) Hat ſich
nicht auch ausſprache und ſchreibung des alth. ſc. ſl etc.
allmählig in ſch. ſchl. verwandelt (oben ſ. 173. 174.) wer
wollte mit dem neuh. gebrauch den alth. früheren bewei-
ſen? Das mit den beſten angelſ. quellen gleichzeitige denk-
mahl der altſächſ. (weſtphäliſchen) ſprache bedient ſich
ſeltner des c als des k, aber einigemahl auch vor ë und
i; wollte man hier behaupten, daß in dergleichen fällen
c und k beide von dem reinen gutturallaut abgewichen
ſeyen, ſo würde aus der alliteration die beſte widerlegung
folgen, indem allenthalben z. b. gicoran, kuning, kêſer;
cuman, cnuoſle, kêſures; kind, kriſt; kind, kunnëas etc.
zuſammengefügt werden. Nun alliterieren aber auch in
den angelſ. gedichten z. b.: cymë (adventus): cräfta:
cûſcne; cyning: Caïnes; cyſt: cvëalm; cynna: cvice; Caï-
nes: cynne: cvëalm; cnëó: cenned; ceápas: cnôſle;
cëar: côlran (frigidiores); cen-þëc: cräfte: cnihtum;
cëalde: camp *) etc. Dieſer grund entſcheidet mir wider
die engl. ausſprache des angelſ. c vor ë, i etc., kein
dichter hätte ceáp zu cnôſl gebunden, wenn jenem der
laut des engl. cheap (oder ein anderer ziſchlaut, ds
oder das franz. z), dieſem der reine k laut eigen gewe-
ſen wäre. Freilich würde der alliteration die nord. oder
dän. ausſprache kjë, kji etc. nicht geſchadet haben

*) Par. 15. 24. 37. 39. Bëov, 10. 23. 93. 96.
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[257/0283] I. angelſächſiſche conſonanten. gutturales. ſicherheit wohl keine. Als die Sachſen ſtatt der frü- heren rune cên das lat. c zu ſchreiben begannen, galt jene abänderung der ausſprache noch nicht, ſonſt wür- den ſie nicht c, das in cirm (fragor) geziſcht hätte, in can (novi) für den unbezweifelten k. laut angenommen haben. In ſo früher zeit und noch lange nachher iſt an keinen einfluß der franzöſ. ausſprache auf die angelſ. zu denken. Die nord. ſprachen, und in ihrem heuti- gen ſtande geſtatten keine unmittelbare beziehung auf das angelſ.; bedeutender ſcheint der grund, welchen die frieſ. und engl. ausſprache an hand gibt. Doch kön- nen dies ſpäter eingetretene abweichungen ſeyn, zumahl man ſie eben durch eine veränderte ſchreibung auszu- drücken für nöthig achtete, denn hätte ſchon das angelſ. c in gewiſſen fällen dem engl. ch gleichgelautet, ſo würde ſich wohl die ältere ſchreibung behauptet haben. Es iſt nicht einmahl ausgemacht, daß das heutige engl. ch von jeher die ausſprache tſch. beſaß; vermuthlich lautete es vorher milder, etwa wie ſch (unten ſ. 262. 266.) Hat ſich nicht auch ausſprache und ſchreibung des alth. ſc. ſl etc. allmählig in ſch. ſchl. verwandelt (oben ſ. 173. 174.) wer wollte mit dem neuh. gebrauch den alth. früheren bewei- ſen? Das mit den beſten angelſ. quellen gleichzeitige denk- mahl der altſächſ. (weſtphäliſchen) ſprache bedient ſich ſeltner des c als des k, aber einigemahl auch vor ë und i; wollte man hier behaupten, daß in dergleichen fällen c und k beide von dem reinen gutturallaut abgewichen ſeyen, ſo würde aus der alliteration die beſte widerlegung folgen, indem allenthalben z. b. gicoran, kuning, kêſer; cuman, cnuoſle, kêſures; kind, kriſt; kind, kunnëas etc. zuſammengefügt werden. Nun alliterieren aber auch in den angelſ. gedichten z. b.: cymë (adventus): cräfta: cûſcne; cyning: Caïnes; cyſt: cvëalm; cynna: cvice; Caï- nes: cynne: cvëalm; cnëó: cenned; ceápas: cnôſle; cëar: côlran (frigidiores); cen-þëc: cräfte: cnihtum; cëalde: camp *) etc. Dieſer grund entſcheidet mir wider die engl. ausſprache des angelſ. c vor ë, i etc., kein dichter hätte ceáp zu cnôſl gebunden, wenn jenem der laut des engl. cheap (oder ein anderer ziſchlaut, ds oder das franz. z), dieſem der reine k laut eigen gewe- ſen wäre. Freilich würde der alliteration die nord. oder dän. ausſprache kjë, kji etc. nicht geſchadet haben *) Par. 15. 24. 37. 39. Bëov, 10. 23. 93. 96. R

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/283>, abgerufen am 20.05.2024.