steller und dichter bleibt es überlassen, auf die feinere darstellung ihrer eigenthümlichkeiten bedacht zu neh- men. Doch mit dem höheren alter eines denkmahls steigt seine ehrwürdigkeit, ja unverletzlichkeit; was wir uns bei der herstellung eines textes aus dem dreizehnten jahrhundert erlauben, würde an einem aus dem achten übel angewandt seyn, wo unser maßstab dürftiger, jeder fehlschritt störender ist. In der heutigen sprache stören die sichtbaren mängel der geltenden orthographie am al- lerwenigsten.
2) Zur darstellung der laute in sämmtlichen deutschen sprachen bediene ich mich meistentheils der heutigen gangbaren buchstaben, deren unzulänglichkeit für alle fälle leicht einzusehen ist. Sie würden ausreichen, wenn es bloß auf die einfachen oder grundlaute ankäme; aber in der mischung und zusammenfügung pflegt sich gerade die mannigfaltigkeit der mundarten zu erweisen. Für diejenigen mischlaute, welche der eine oder der andere dialect liebt, schafft er sich zuweilen besondere zeichen, und wenn auch solche zeichen graphisch erwogen eine mischgestalt verrathen, haben sie doch ein einfacheres ansehen und sind wirklich im gebrauche behülflicher, als die einzeln aufgelösten und nebeneinander gestellten bestandtheile der zusammensetzung. In unserm worte: schrift z. b. drücken wir acht laute mit sieben zeichen aus, f. nämlich stehet für ph. Das sch würde der Russe ebenfalls mit einem einzigen zeichen, folglich jenes wort mit fünf buchstaben schreiben können. Dergleichen eigene buchstaben zu sp. st. und andern lieblingslauten unserer sprache wären ihr so dienlich, als es dem Grie- chen sein ps für ps. ist. Sie mangeln nun einmahl. Die adspirierten b. d. t. sind mit den sächsischen alten zeichen b. d. th. dargestellt, letzteres ist auch für den go- thischen, unleugbar selbst formell identischen buchstab ver- wendet worden. Die gothischen hv. und qv. erscheinen hingegen aufgelöst; der gleichförmigkeit mit den übri- gen alten mundarten wegen, bei denen die zeichen doch zu sehr befremdet hätten, und weil der Gothe selbst für die ähnlichen hl. hn. hr. kein eignes zeichen hat, son- dern sie auflöst. Das wichtigste schien, die mannigfal- tigkeit der vocalmischungen aufzufaßen, und zu diesem ende sind theils mehrere übliche zeichen gebraucht, theils da sie immer nicht hinreichten. einige neue er- funden, wenigstens neu bestimmt worden. Strenge gra-
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I. von den buchſtaben insgemein.
ſteller und dichter bleibt es überlaſſen, auf die feinere darſtellung ihrer eigenthümlichkeiten bedacht zu neh- men. Doch mit dem höheren alter eines denkmahls ſteigt ſeine ehrwürdigkeit, ja unverletzlichkeit; was wir uns bei der herſtellung eines textes aus dem dreizehnten jahrhundert erlauben, würde an einem aus dem achten übel angewandt ſeyn, wo unſer maßſtab dürftiger, jeder fehlſchritt ſtörender iſt. In der heutigen ſprache ſtören die ſichtbaren mängel der geltenden orthographie am al- lerwenigſten.
2) Zur darſtellung der laute in ſämmtlichen deutſchen ſprachen bediene ich mich meiſtentheils der heutigen gangbaren buchſtaben, deren unzulänglichkeit für alle fälle leicht einzuſehen iſt. Sie würden ausreichen, wenn es bloß auf die einfachen oder grundlaute ankäme; aber in der miſchung und zuſammenfügung pflegt ſich gerade die mannigfaltigkeit der mundarten zu erweiſen. Für diejenigen miſchlaute, welche der eine oder der andere dialect liebt, ſchafft er ſich zuweilen beſondere zeichen, und wenn auch ſolche zeichen graphiſch erwogen eine miſchgeſtalt verrathen, haben ſie doch ein einfacheres anſehen und ſind wirklich im gebrauche behülflicher, als die einzeln aufgelöſten und nebeneinander geſtellten beſtandtheile der zuſammenſetzung. In unſerm worte: ſchrift z. b. drücken wir acht laute mit ſieben zeichen aus, f. nämlich ſtehet für ph. Das ſch würde der Ruſſe ebenfalls mit einem einzigen zeichen, folglich jenes wort mit fünf buchſtaben ſchreiben können. Dergleichen eigene buchſtaben zu ſp. ſt. und andern lieblingslauten unſerer ſprache wären ihr ſo dienlich, als es dem Grie- chen ſein ψ für ps. iſt. Sie mangeln nun einmahl. Die adſpirierten b. d. t. ſind mit den ſächſiſchen alten zeichen ƀ. ð. þ. dargeſtellt, letzteres iſt auch für den go- thiſchen, unleugbar ſelbſt formell identiſchen buchſtab ver- wendet worden. Die gothiſchen hv. und qv. erſcheinen hingegen aufgelöſt; der gleichförmigkeit mit den übri- gen alten mundarten wegen, bei denen die zeichen doch zu ſehr befremdet hätten, und weil der Gothe ſelbſt für die ähnlichen hl. hn. hr. kein eignes zeichen hat, ſon- dern ſie auflöſt. Das wichtigſte ſchien, die mannigfal- tigkeit der vocalmiſchungen aufzufaßen, und zu dieſem ende sind theils mehrere übliche zeichen gebraucht, theils da ſie immer nicht hinreichten. einige neue er- funden, wenigſtens neu beſtimmt worden. Strenge gra-
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I. von den buchſtaben insgemein.
ſteller und dichter bleibt es überlaſſen, auf die feinere
darſtellung ihrer eigenthümlichkeiten bedacht zu neh-
men. Doch mit dem höheren alter eines denkmahls
ſteigt ſeine ehrwürdigkeit, ja unverletzlichkeit; was wir
uns bei der herſtellung eines textes aus dem dreizehnten
jahrhundert erlauben, würde an einem aus dem achten
übel angewandt ſeyn, wo unſer maßſtab dürftiger, jeder
fehlſchritt ſtörender iſt. In der heutigen ſprache ſtören
die ſichtbaren mängel der geltenden orthographie am al-
lerwenigſten.
2) Zur darſtellung der laute in ſämmtlichen deutſchen
ſprachen bediene ich mich meiſtentheils der heutigen
gangbaren buchſtaben, deren unzulänglichkeit für alle
fälle leicht einzuſehen iſt. Sie würden ausreichen, wenn
es bloß auf die einfachen oder grundlaute ankäme; aber
in der miſchung und zuſammenfügung pflegt ſich gerade
die mannigfaltigkeit der mundarten zu erweiſen. Für
diejenigen miſchlaute, welche der eine oder der andere
dialect liebt, ſchafft er ſich zuweilen beſondere zeichen,
und wenn auch ſolche zeichen graphiſch erwogen eine
miſchgeſtalt verrathen, haben ſie doch ein einfacheres
anſehen und ſind wirklich im gebrauche behülflicher,
als die einzeln aufgelöſten und nebeneinander geſtellten
beſtandtheile der zuſammenſetzung. In unſerm worte:
ſchrift z. b. drücken wir acht laute mit ſieben zeichen
aus, f. nämlich ſtehet für ph. Das ſch würde der Ruſſe
ebenfalls mit einem einzigen zeichen, folglich jenes wort
mit fünf buchſtaben ſchreiben können. Dergleichen
eigene buchſtaben zu ſp. ſt. und andern lieblingslauten
unſerer ſprache wären ihr ſo dienlich, als es dem Grie-
chen ſein ψ für ps. iſt. Sie mangeln nun einmahl.
Die adſpirierten b. d. t. ſind mit den ſächſiſchen alten
zeichen ƀ. ð. þ. dargeſtellt, letzteres iſt auch für den go-
thiſchen, unleugbar ſelbſt formell identiſchen buchſtab ver-
wendet worden. Die gothiſchen hv. und qv. erſcheinen
hingegen aufgelöſt; der gleichförmigkeit mit den übri-
gen alten mundarten wegen, bei denen die zeichen doch
zu ſehr befremdet hätten, und weil der Gothe ſelbſt für
die ähnlichen hl. hn. hr. kein eignes zeichen hat, ſon-
dern ſie auflöſt. Das wichtigſte ſchien, die mannigfal-
tigkeit der vocalmiſchungen aufzufaßen, und zu dieſem
ende sind theils mehrere übliche zeichen gebraucht,
theils da ſie immer nicht hinreichten. einige neue er-
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/29>, abgerufen am 09.11.2024.
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