semen und alth. samo. Daher deutsche wörter von zwei kurzen silben, z. b. gibit, lisit, saman, fater, völ- lig wie petit, legit, simul. pater; von zwei langen, steina wie nodos; das gesetz der position in bindan, fal- lan etc wie in findere, fallere etc. endlich. überflüßige position bei schon an sich langem vocal. stuontun wie mons. Gehen dem vocal zwei oder mehr consonanten voraus, so stören sie seine kürze nicht, z. b. pflegan, stelan, stredan, (fervere) stritun (pugnabant) etc. wie im lat. plico, precor, scrobis, stropha, stimulus etc. die erste silbe kurz bleibt. Alles dies, wenn es sich völlig erwei- sen ließe, gewährt eine ähnliche, günstige vertheilung oder mannigfaltigkeit der quantität im deutschen.
2) Als im verlauf der sprache die endungen sich ab- nutzten und die früherhin langlautigen ihre länge ein- büßten, muste dies dem auf der wurzel ruhenden ton ein übergewicht geben, welches die darin befindliche kürze drückte und allmählig überhören machte. Das gefühl für die langen laute der flexion, für die kurzen der wurzel stumpfte sich, kurzlautige endungen aber und langlautige wurzeln fielen mit der tonlosigkeit jener und der betonung dieser in den meisten fällen zusammen. Dem ohre musten eine zeitlang und während der über- gänge manche ehdem kurze laute zweifelhaft (ancipites) scheinen, bis diese zweifel nach und nach die gewalt des tones in dem sinne seiner regel entschied. Und die wirkung fieng bald an sich sogar in der äußerlichen schrift zu zeigen Die schrift der meisten sprachen pflegt die quantität der laute, vielleicht eben, weil sich diese schon verdunkelt, selten genau zu bezeichnen, ge- wöhnlich thut sie halbe schritte oder kann nichts anders thun. Die griech. schrift unterscheidet die langen und kurzen a, i, u nicht mehr, die lateinische ihre längen und kürzen nirgends. Die altdeutschen dehn- oder vielmehr längezeichen wurden von den wenigsten und fast nie ge- nau befolgt; in der bloßen aussprache beruhte die fort- dauer oder spur der quantität. Endlich trat die schrei- bung sogar auf die seite des tons und strebte, verschwin- dende kürzen als tönende silben darzustellen. Hierzu dienten zweierlei mittel: gemination des auf den kur- zen vocal folgenden consonanten und einschaltung eines dehnenden e. oder h. In jenem fall entsprang position, in diesem doppelvocal, in beiden eigentlich war es bloß der ton, dem es galt. Von wichtigkeit aber ist es zu
I. von den buchſtaben insgemein.
ſèmen und alth. ſâmo. Daher deutſche wörter von zwei kurzen ſilben, z. b. gibit, liſit, ſaman, fater, völ- lig wie petit, legit, ſimul. pater; von zwei langen, ſteinà wie nôdôs; das geſetz der poſition in bindan, fal- lan etc wie in findere, fallere etc. endlich. überflüßige poſition bei ſchon an ſich langem vocal. ſtuontun wie môns. Gehen dem vocal zwei oder mehr conſonanten voraus, ſo ſtören ſie ſeine kürze nicht, z. b. pflëgan, ſtëlan, ſtrëdan, (fervere) ſtritun (pugnabant) etc. wie im lat. plico, precor, ſcrobis, ſtropha, ſtimulus etc. die erſte ſilbe kurz bleibt. Alles dies, wenn es ſich völlig erwei- ſen ließe, gewährt eine ähnliche, günſtige vertheilung oder mannigfaltigkeit der quantität im deutſchen.
2) Als im verlauf der ſprache die endungen ſich ab- nutzten und die früherhin langlautigen ihre länge ein- büßten, muſte dies dem auf der wurzel ruhenden ton ein übergewicht geben, welches die darin befindliche kürze drückte und allmählig überhören machte. Das gefühl für die langen laute der flexion, für die kurzen der wurzel ſtumpfte ſich, kurzlautige endungen aber und langlautige wurzeln fielen mit der tonloſigkeit jener und der betonung dieſer in den meiſten fällen zuſammen. Dem ohre muſten eine zeitlang und während der über- gänge manche ehdem kurze laute zweifelhaft (ancipites) ſcheinen, bis dieſe zweifel nach und nach die gewalt des tones in dem ſinne ſeiner regel entſchied. Und die wirkung fieng bald an ſich ſogar in der äußerlichen ſchrift zu zeigen Die ſchrift der meiſten ſprachen pflegt die quantität der laute, vielleicht eben, weil ſich dieſe ſchon verdunkelt, ſelten genau zu bezeichnen, ge- wöhnlich thut ſie halbe ſchritte oder kann nichts anders thun. Die griech. ſchrift unterſcheidet die langen und kurzen α, ι, υ nicht mehr, die lateiniſche ihre längen und kürzen nirgends. Die altdeutſchen dehn- oder vielmehr längezeichen wurden von den wenigſten und faſt nie ge- nau befolgt; in der bloßen ausſprache beruhte die fort- dauer oder ſpur der quantität. Endlich trat die ſchrei- bung ſogar auf die ſeite des tons und ſtrebte, verſchwin- dende kürzen als tönende ſilben darzuſtellen. Hierzu dienten zweierlei mittel: gemination des auf den kur- zen vocal folgenden conſonanten und einſchaltung eines dehnenden e. oder h. In jenem fall entſprang poſition, in dieſem doppelvocal, in beiden eigentlich war es bloß der ton, dem es galt. Von wichtigkeit aber iſt es zu
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I. von den buchſtaben insgemein.
ſèmen und alth. ſâmo. Daher deutſche wörter von zwei
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lig wie petit, legit, ſimul. pater; von zwei langen,
ſteinà wie nôdôs; das geſetz der poſition in bindan, fal-
lan etc wie in findere, fallere etc. endlich. überflüßige
poſition bei ſchon an ſich langem vocal. ſtuontun wie
môns. Gehen dem vocal zwei oder mehr conſonanten
voraus, ſo ſtören ſie ſeine kürze nicht, z. b. pflëgan,
ſtëlan, ſtrëdan, (fervere) ſtritun (pugnabant) etc. wie im
lat. plico, precor, ſcrobis, ſtropha, ſtimulus etc. die erſte
ſilbe kurz bleibt. Alles dies, wenn es ſich völlig erwei-
ſen ließe, gewährt eine ähnliche, günſtige vertheilung
oder mannigfaltigkeit der quantität im deutſchen.
2) Als im verlauf der ſprache die endungen ſich ab-
nutzten und die früherhin langlautigen ihre länge ein-
büßten, muſte dies dem auf der wurzel ruhenden ton
ein übergewicht geben, welches die darin befindliche
kürze drückte und allmählig überhören machte. Das
gefühl für die langen laute der flexion, für die kurzen
der wurzel ſtumpfte ſich, kurzlautige endungen aber und
langlautige wurzeln fielen mit der tonloſigkeit jener und
der betonung dieſer in den meiſten fällen zuſammen.
Dem ohre muſten eine zeitlang und während der über-
gänge manche ehdem kurze laute zweifelhaft (ancipites)
ſcheinen, bis dieſe zweifel nach und nach die gewalt
des tones in dem ſinne ſeiner regel entſchied. Und die
wirkung fieng bald an ſich ſogar in der äußerlichen
ſchrift zu zeigen Die ſchrift der meiſten ſprachen
pflegt die quantität der laute, vielleicht eben, weil ſich
dieſe ſchon verdunkelt, ſelten genau zu bezeichnen, ge-
wöhnlich thut ſie halbe ſchritte oder kann nichts anders
thun. Die griech. ſchrift unterſcheidet die langen und
kurzen α, ι, υ nicht mehr, die lateiniſche ihre längen und
kürzen nirgends. Die altdeutſchen dehn- oder vielmehr
längezeichen wurden von den wenigſten und faſt nie ge-
nau befolgt; in der bloßen ausſprache beruhte die fort-
dauer oder ſpur der quantität. Endlich trat die ſchrei-
bung ſogar auf die ſeite des tons und ſtrebte, verſchwin-
dende kürzen als tönende ſilben darzuſtellen. Hierzu
dienten zweierlei mittel: gemination des auf den kur-
zen vocal folgenden conſonanten und einſchaltung eines
dehnenden e. oder h. In jenem fall entſprang poſition,
in dieſem doppelvocal, in beiden eigentlich war es bloß
der ton, dem es galt. Von wichtigkeit aber iſt es zu
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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