Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. mittelhochdeutsche consonanten. labiales.
ken die roman. mundarten selbst zwischen v und b,
als prouver, probar, prueven; diavolo, diable, tiuvel,
tievel; tabula, tavola, tavel. Zu bischof, -ves, halte
man nicht das lat. episcopus, vielmehr das ital. ves-
covo, zu steven (Wilh. 2, 40b 102b) nicht das lat.
stephanus, sondern das rom. esteve, estevenon (Ro-
quef. h. v.).

(W) da die schreiber die vocale u, iu, ou, uo, ue
häufig durch v, iv, ov, vo, ve bezeichneten, war ihnen
auch st. der alth. schreibung des spiranten uu ein unver-
schlungenes vv geläufig. Beßer unterscheiden grammatik
und ausgaben durchgehends vocal von der consonanz
und ziehen jene vv in w zusammen. Ferner sparen
die schreiber gerne vor w und nach w ein u, indem
sie z. b. niwe setzen, wo offenbar (im klingreim) ninwe
stehen muß, oder wnne, swnge f. wunne, swunge.
Hat die s. 138-140. entwickelte ansicht grund, so muß
man sie gleichwohl im mittelh. anfgeben und für alle
und jede w dieselbe aussprache, folglich schreibung an-
nehmen, wie denn auch nach s. t. z die bewährtesten
hss. w und kein u setzen.

1) der anlaut w ist unbedenklich, daher überall von
der anl. zweiten asp. zu scheiden; war (cura) win-
den, want, wunden von var (eat) vinden, vant, vun-
den; zugleich wohl ein grund für die schreibung vun-
den st. funden.
2) das inlautende w stehet a) in der regel zwischen
zwein vocalen, z. b. frouwe, riuwe, senewe, doch
kann der vordere voc. den umständen nach wegfallen,
als senwe, melwe, varwe, nie aber der hintere, ohne
daß sich w entw. ganz verlöre oder in den voc. u
auflöste. -- b) in der wurzel macht w nach langen
vocalen keinen anstoß, vgl. grawen (canescere) bra-
wen (superciliis) clawen (ungulis) pfawe (pavo) gawan
(n. pr.) ewen (seculis) snewes (nivis) klewes (trifolii)
wewen (malis) sewen (undare) [zweifelhaft lewe, leo
und kewe, faux, eigentlich os hiulcum; in jenem,
als fremden wort follte man ein e vermuthen und
die mons. gl. 329. 339. 345. haben gewon, oscitare,
lewinchili, leunculus, wo wieder ein langes, kein
kurzes e, weil diese gl. für ew-, wenn ich nicht irre,
immer ow oder onw gebrauchen] getrauwen, bauwen;
nach o ist mir kein w. bekannt, es müste in fremden
namen seyn; nach ei in dem fremden eiwein, eiwan
C c
I. mittelhochdeutſche conſonanten. labiales.
ken die roman. mundarten ſelbſt zwiſchen v und b,
als prouver, probar, prueven; diavolo, diable, tiuvel,
tievel; tabula, tavola, tâvel. Zu biſchof, -ves, halte
man nicht das lat. epiſcopus, vielmehr das ital. veſ-
covo, zu ſtëven (Wilh. 2, 40b 102b) nicht das lat.
ſtephanus, ſondern das rom. eſteve, eſtevenon (Ro-
quef. h. v.).

(W) da die ſchreiber die vocale u, iu, ou, uo, ue
häufig durch v, iv, ov, vo, ve bezeichneten, war ihnen
auch ſt. der alth. ſchreibung des ſpiranten uu ein unver-
ſchlungenes vv geläufig. Beßer unterſcheiden grammatik
und ausgaben durchgehends vocal von der conſonanz
und ziehen jene vv in w zuſammen. Ferner ſparen
die ſchreiber gerne vor w und nach w ein u, indem
ſie z. b. niwe ſetzen, wo offenbar (im klingreim) ninwe
ſtehen muß, oder wnne, ſwnge f. wunne, ſwunge.
Hat die ſ. 138-140. entwickelte anſicht grund, ſo muß
man ſie gleichwohl im mittelh. anfgeben und für alle
und jede w dieſelbe ausſprache, folglich ſchreibung an-
nehmen, wie denn auch nach ſ. t. z die bewährteſten
hſſ. w und kein u ſetzen.

1) der anlaut w iſt unbedenklich, daher überall von
der anl. zweiten aſp. zu ſcheiden; war (cura) win-
den, want, wunden von var (eat) vinden, vant, vun-
den; zugleich wohl ein grund für die ſchreibung vun-
den ſt. funden.
2) das inlautende w ſtehet a) in der regel zwiſchen
zwein vocalen, z. b. frouwe, riuwe, ſënewe, doch
kann der vordere voc. den umſtänden nach wegfallen,
als ſënwe, mëlwe, varwe, nie aber der hintere, ohne
daß ſich w entw. ganz verlöre oder in den voc. u
auflöſte. — b) in der wurzel macht w nach langen
vocalen keinen anſtoß, vgl. grâwen (caneſcere) brâ-
wen (ſuperciliis) clâwen (ungulis) pfàwe (pavo) gâwân
(n. pr.) êwen (ſeculis) ſnêwes (nivis) klêwes (trifolii)
wêwen (malis) ſêwen (undare) [zweifelhaft lêwe, leo
und kêwe, faux, eigentlich os hiulcum; in jenem,
als fremden wort follte man ein ê vermuthen und
die monſ. gl. 329. 339. 345. haben gêwôn, oſcitare,
lêwinchilì, leunculus, wo wieder ein langes, kein
kurzes e, weil dieſe gl. für ew-, wenn ich nicht irre,
immer ôw oder onw gebrauchen] getrûwen, bûwen;
nach ô iſt mir kein w. bekannt, es müſte in fremden
namen ſeyn; nach î in dem fremden îwein, îwân
C c
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item><pb facs="#f0427" n="401"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelhochdeut&#x017F;che con&#x017F;onanten. labiales.</hi></fw><lb/>
ken die roman. mundarten &#x017F;elb&#x017F;t zwi&#x017F;chen v und b,<lb/>
als prouver, probar, prueven; diavolo, diable, tiuvel,<lb/>
tievel; tabula, tavola, tâvel. Zu bi&#x017F;chof, -ves, halte<lb/>
man nicht das lat. epi&#x017F;copus, vielmehr das ital. ve&#x017F;-<lb/>
covo, zu &#x017F;tëven (Wilh. 2, 40<hi rendition="#sup">b</hi> 102<hi rendition="#sup">b</hi>) nicht das lat.<lb/>
&#x017F;tephanus, &#x017F;ondern das rom. e&#x017F;teve, e&#x017F;tevenon (Ro-<lb/>
quef. h. v.).</item>
              </list><lb/>
              <p>(W) da die &#x017F;chreiber die vocale u, iu, ou, uo, ue<lb/>
häufig durch v, iv, ov, vo, ve bezeichneten, war ihnen<lb/>
auch &#x017F;t. der alth. &#x017F;chreibung des &#x017F;piranten uu ein unver-<lb/>
&#x017F;chlungenes vv geläufig. Beßer unter&#x017F;cheiden grammatik<lb/>
und ausgaben durchgehends vocal von der con&#x017F;onanz<lb/>
und ziehen jene vv in w zu&#x017F;ammen. Ferner &#x017F;paren<lb/>
die &#x017F;chreiber gerne vor w und nach w ein u, indem<lb/>
&#x017F;ie z. b. niwe &#x017F;etzen, wo offenbar (im klingreim) ninwe<lb/>
&#x017F;tehen muß, oder wnne, &#x017F;wnge f. wunne, &#x017F;wunge.<lb/>
Hat die &#x017F;. 138-140. entwickelte an&#x017F;icht grund, &#x017F;o muß<lb/>
man &#x017F;ie gleichwohl im mittelh. anfgeben und für alle<lb/>
und jede w die&#x017F;elbe aus&#x017F;prache, folglich &#x017F;chreibung an-<lb/>
nehmen, wie denn auch nach &#x017F;. t. z die bewährte&#x017F;ten<lb/>
h&#x017F;&#x017F;. w und kein u &#x017F;etzen.</p><lb/>
              <list>
                <item>1) der <hi rendition="#i">anlaut</hi> w i&#x017F;t unbedenklich, daher überall von<lb/>
der anl. zweiten a&#x017F;p. zu &#x017F;cheiden; war (cura) win-<lb/>
den, want, wunden von var (eat) vinden, vant, vun-<lb/>
den; zugleich wohl ein grund für die &#x017F;chreibung vun-<lb/>
den &#x017F;t. funden.</item><lb/>
                <item>2) das <hi rendition="#i">inlautende</hi> w &#x017F;tehet a) in der regel zwi&#x017F;chen<lb/>
zwein vocalen, z. b. frouwe, riuwe, &#x017F;ënewe, doch<lb/>
kann der vordere voc. den um&#x017F;tänden nach wegfallen,<lb/>
als &#x017F;ënwe, mëlwe, varwe, nie aber der hintere, ohne<lb/>
daß &#x017F;ich w entw. ganz verlöre oder in den voc. u<lb/>
auflö&#x017F;te. &#x2014; b) in der wurzel macht w nach langen<lb/>
vocalen keinen an&#x017F;toß, vgl. grâwen (cane&#x017F;cere) brâ-<lb/>
wen (&#x017F;uperciliis) clâwen (ungulis) pfàwe (pavo) gâwân<lb/>
(n. pr.) êwen (&#x017F;eculis) &#x017F;nêwes (nivis) klêwes (trifolii)<lb/>
wêwen (malis) &#x017F;êwen (undare) [zweifelhaft lêwe, leo<lb/>
und kêwe, faux, eigentlich os hiulcum; in jenem,<lb/>
als fremden wort follte man ein ê vermuthen und<lb/>
die mon&#x017F;. gl. 329. 339. 345. haben gêwôn, o&#x017F;citare,<lb/>
lêwinchilì, leunculus, wo wieder ein langes, kein<lb/>
kurzes e, weil die&#x017F;e gl. für ew-, wenn ich nicht irre,<lb/>
immer ôw oder onw gebrauchen] getrûwen, bûwen;<lb/>
nach ô i&#x017F;t mir kein w. bekannt, es mü&#x017F;te in fremden<lb/>
namen &#x017F;eyn; nach î in dem fremden îwein, îwân<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c</fw><lb/></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0427] I. mittelhochdeutſche conſonanten. labiales. ken die roman. mundarten ſelbſt zwiſchen v und b, als prouver, probar, prueven; diavolo, diable, tiuvel, tievel; tabula, tavola, tâvel. Zu biſchof, -ves, halte man nicht das lat. epiſcopus, vielmehr das ital. veſ- covo, zu ſtëven (Wilh. 2, 40b 102b) nicht das lat. ſtephanus, ſondern das rom. eſteve, eſtevenon (Ro- quef. h. v.). (W) da die ſchreiber die vocale u, iu, ou, uo, ue häufig durch v, iv, ov, vo, ve bezeichneten, war ihnen auch ſt. der alth. ſchreibung des ſpiranten uu ein unver- ſchlungenes vv geläufig. Beßer unterſcheiden grammatik und ausgaben durchgehends vocal von der conſonanz und ziehen jene vv in w zuſammen. Ferner ſparen die ſchreiber gerne vor w und nach w ein u, indem ſie z. b. niwe ſetzen, wo offenbar (im klingreim) ninwe ſtehen muß, oder wnne, ſwnge f. wunne, ſwunge. Hat die ſ. 138-140. entwickelte anſicht grund, ſo muß man ſie gleichwohl im mittelh. anfgeben und für alle und jede w dieſelbe ausſprache, folglich ſchreibung an- nehmen, wie denn auch nach ſ. t. z die bewährteſten hſſ. w und kein u ſetzen. 1) der anlaut w iſt unbedenklich, daher überall von der anl. zweiten aſp. zu ſcheiden; war (cura) win- den, want, wunden von var (eat) vinden, vant, vun- den; zugleich wohl ein grund für die ſchreibung vun- den ſt. funden. 2) das inlautende w ſtehet a) in der regel zwiſchen zwein vocalen, z. b. frouwe, riuwe, ſënewe, doch kann der vordere voc. den umſtänden nach wegfallen, als ſënwe, mëlwe, varwe, nie aber der hintere, ohne daß ſich w entw. ganz verlöre oder in den voc. u auflöſte. — b) in der wurzel macht w nach langen vocalen keinen anſtoß, vgl. grâwen (caneſcere) brâ- wen (ſuperciliis) clâwen (ungulis) pfàwe (pavo) gâwân (n. pr.) êwen (ſeculis) ſnêwes (nivis) klêwes (trifolii) wêwen (malis) ſêwen (undare) [zweifelhaft lêwe, leo und kêwe, faux, eigentlich os hiulcum; in jenem, als fremden wort follte man ein ê vermuthen und die monſ. gl. 329. 339. 345. haben gêwôn, oſcitare, lêwinchilì, leunculus, wo wieder ein langes, kein kurzes e, weil dieſe gl. für ew-, wenn ich nicht irre, immer ôw oder onw gebrauchen] getrûwen, bûwen; nach ô iſt mir kein w. bekannt, es müſte in fremden namen ſeyn; nach î in dem fremden îwein, îwân C c

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/427
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/427>, abgerufen am 22.11.2024.