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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. von den buchstaben insgemein.
der gravis die gegenseite gibt, allein dieser gegensatz
ist verschiedener stufen fähig von dem bloßen sinken
(tiefton) bis zum völligen weichen des tons (tonloser
laut) und von da bis zum verstummen des vocals (stum-
mer
laut).

Ausmittelung der accentuation für zeiträume und
zweige der deutschen sprachen hat beinahe unüberwind-
liche schwierigkeit zu bestehen, die schrift kommt wenig
zu hülfe. In gothischen, nordischen, sächsischen hss. be-
finden sich meines wißens gar keine tonzeichen, in bei-
den letzteren nur lautzeichen und diese sparsam und un-
genau. Gedruckte ausgaben aller dieser denkmähler
nehmen auf den accent in seinem eigentlichen sinne
nicht die mindeste rücksicht. Die alt- und mittelhoch-
deutschen hss. gewähren indessen wichtige aufschlüße,
und zumahl sind einige alth. denkmähler mit ungemei-
ner sorgfalt accentuiert. Sämmtliche abschriften des ot-
friedischen werks haben accente (und daneben keine
dehnzeichen für den doppellaut); leider hat man bei
den abdrücken diese accente für unwichtig angesehn
und ausgelaßen, bloß in den noten theilt Scherz einige
bezeichnete stellen mit, andere Rostgaard in seinen va-
rianten und daraus, so wie aus selbstgenommenen ab-
schriften verschiedener capitel der wiener und pfälzer
hss. habe ich meine unvollständige kenntniß von
Otfrieds accenten geschöpft. Wichtiger scheinen noch
die der notkerischen werke. Bei der ausgabe der psal-
men hat man sie ebenfalls unterdrückt, welchem man-
gel Füglistaller bei seiner hoffentlich bald erscheinen-
den ausgabe sämmtlicher schriften Notkers gründlich
abhelfen wird; seinen mittheilungen danke ich vorläufig
einige nachricht über diese accente; neben ihnen be-
diente sich Notker zugleich der dehnzeichen. In an-
dern alten werken, namentlich den s. galler Tatian, so-
dann bei Willeram und in einzelnen glossensammlun-
gen vom 10-12 jahrh. finden sich hin und wieder, sel-
ten genau durchgeführte, striche oder hacken, die zu-
weilen wirkliche accente, meistens für die aussprache
der diphthongen bestimmt, zuweilen dehnzeichen schei-
nen. Alle diese hülfsmittel und die wichtigsten nämlich
Otfrieds und Notkers tonzeichen, werden dennoch,
wenn sie einmahl zugänglich geworden sind, keine
hinreichende einsicht in die alte accentuation gewäh-
ren, da sie sich fast nur mit dem acutus befaßen, über

I. von den buchſtaben insgemein.
der gravis die gegenſeite gibt, allein dieſer gegenſatz
iſt verſchiedener ſtufen fähig von dem bloßen ſinken
(tiefton) bis zum völligen weichen des tons (tonloſer
laut) und von da bis zum verſtummen des vocals (ſtum-
mer
laut).

Ausmittelung der accentuation für zeiträume und
zweige der deutſchen ſprachen hat beinahe unüberwind-
liche ſchwierigkeit zu beſtehen, die ſchrift kommt wenig
zu hülfe. In gothiſchen, nordiſchen, ſächſiſchen hſſ. be-
finden ſich meines wißens gar keine tonzeichen, in bei-
den letzteren nur lautzeichen und dieſe ſparſam und un-
genau. Gedruckte ausgaben aller dieſer denkmähler
nehmen auf den accent in ſeinem eigentlichen ſinne
nicht die mindeſte rückſicht. Die alt- und mittelhoch-
deutſchen hſſ. gewähren indeſſen wichtige aufſchlüße,
und zumahl ſind einige alth. denkmähler mit ungemei-
ner ſorgfalt accentuiert. Sämmtliche abſchriften des ot-
friediſchen werks haben accente (und daneben keine
dehnzeichen für den doppellaut); leider hat man bei
den abdrücken dieſe accente für unwichtig angeſehn
und ausgelaßen, bloß in den noten theilt Scherz einige
bezeichnete ſtellen mit, andere Roſtgaard in ſeinen va-
rianten und daraus, ſo wie aus ſelbſtgenommenen ab-
ſchriften verſchiedener capitel der wiener und pfälzer
hſſ. habe ich meine unvollſtändige kenntniß von
Otfrieds accenten geſchöpft. Wichtiger ſcheinen noch
die der notkeriſchen werke. Bei der ausgabe der pſal-
men hat man ſie ebenfalls unterdrückt, welchem man-
gel Fügliſtaller bei ſeiner hoffentlich bald erſcheinen-
den ausgabe ſämmtlicher ſchriften Notkers gründlich
abhelfen wird; ſeinen mittheilungen danke ich vorläufig
einige nachricht über dieſe accente; neben ihnen be-
diente ſich Notker zugleich der dehnzeichen. In an-
dern alten werken, namentlich den ſ. galler Tatian, ſo-
dann bei Willeram und in einzelnen gloſſenſammlun-
gen vom 10-12 jahrh. finden ſich hin und wieder, ſel-
ten genau durchgeführte, ſtriche oder hacken, die zu-
weilen wirkliche accente, meiſtens für die ausſprache
der diphthongen beſtimmt, zuweilen dehnzeichen ſchei-
nen. Alle dieſe hülfsmittel und die wichtigſten nämlich
Otfrieds und Notkers tonzeichen, werden dennoch,
wenn ſie einmahl zugänglich geworden ſind, keine
hinreichende einſicht in die alte accentuation gewäh-
ren, da ſie ſich faſt nur mit dem acutus befaßen, über

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[21/0047] I. von den buchſtaben insgemein. der gravis die gegenſeite gibt, allein dieſer gegenſatz iſt verſchiedener ſtufen fähig von dem bloßen ſinken (tiefton) bis zum völligen weichen des tons (tonloſer laut) und von da bis zum verſtummen des vocals (ſtum- mer laut). Ausmittelung der accentuation für zeiträume und zweige der deutſchen ſprachen hat beinahe unüberwind- liche ſchwierigkeit zu beſtehen, die ſchrift kommt wenig zu hülfe. In gothiſchen, nordiſchen, ſächſiſchen hſſ. be- finden ſich meines wißens gar keine tonzeichen, in bei- den letzteren nur lautzeichen und dieſe ſparſam und un- genau. Gedruckte ausgaben aller dieſer denkmähler nehmen auf den accent in ſeinem eigentlichen ſinne nicht die mindeſte rückſicht. Die alt- und mittelhoch- deutſchen hſſ. gewähren indeſſen wichtige aufſchlüße, und zumahl ſind einige alth. denkmähler mit ungemei- ner ſorgfalt accentuiert. Sämmtliche abſchriften des ot- friediſchen werks haben accente (und daneben keine dehnzeichen für den doppellaut); leider hat man bei den abdrücken dieſe accente für unwichtig angeſehn und ausgelaßen, bloß in den noten theilt Scherz einige bezeichnete ſtellen mit, andere Roſtgaard in ſeinen va- rianten und daraus, ſo wie aus ſelbſtgenommenen ab- ſchriften verſchiedener capitel der wiener und pfälzer hſſ. habe ich meine unvollſtändige kenntniß von Otfrieds accenten geſchöpft. Wichtiger ſcheinen noch die der notkeriſchen werke. Bei der ausgabe der pſal- men hat man ſie ebenfalls unterdrückt, welchem man- gel Fügliſtaller bei ſeiner hoffentlich bald erſcheinen- den ausgabe ſämmtlicher ſchriften Notkers gründlich abhelfen wird; ſeinen mittheilungen danke ich vorläufig einige nachricht über dieſe accente; neben ihnen be- diente ſich Notker zugleich der dehnzeichen. In an- dern alten werken, namentlich den ſ. galler Tatian, ſo- dann bei Willeram und in einzelnen gloſſenſammlun- gen vom 10-12 jahrh. finden ſich hin und wieder, ſel- ten genau durchgeführte, ſtriche oder hacken, die zu- weilen wirkliche accente, meiſtens für die ausſprache der diphthongen beſtimmt, zuweilen dehnzeichen ſchei- nen. Alle dieſe hülfsmittel und die wichtigſten nämlich Otfrieds und Notkers tonzeichen, werden dennoch, wenn ſie einmahl zugänglich geworden ſind, keine hinreichende einſicht in die alte accentuation gewäh- ren, da ſie ſich faſt nur mit dem acutus befaßen, über

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/47>, abgerufen am 21.11.2024.