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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche buchstaben. Schlußbem.
ver maße, ver zuht (mus. 1, 66.), welches in dem
neuh. jungfer f. jungfrau ganz üblich wurde, vorge-
setzt hört man jetzt nur in gemeiner volkssprache:
fer amtmännin etc. Beides sehr häufig im mittelnie-
derl., wo man sogar noch die volle form daneben
setzte, z. b. vrouwe ver conincginne, here her coninc
(Huyd. op Stoke 2. 147-149.)
2) die übergänge der vocale u und i in die halbvocale
w und j (aus diesem selbst in die med. g) sind be-
kannt, umgekehrt lösen sich g. j. w. in den vocal auf.
Unbekannt aber scheint der hochd. mundart die ent-
wickelung der liq. l aus u, der die franz. und nie-
derl. inlautende verwandlung des organ. l in u zur
seite steht (maux, sauf f. mals, salv; oud, goud f. ald,
gold) *). Indessen finde ich in der steirischen mund-
art eine spur, Ottocar sagt in und außer reim nicht
pischof, wie alle mittelh. dichter, sondern pischolf
und reimts auf wolf, ruodolf, adolf, welches sich le-
diglich aus einem alth. piscouf erklärt, vgl. oben s. 94.
und 357. Stalder hat im Aargau eine auflösung des l
in uw bemerkt (dial. 64.)
3) die mittelh. reimkunst fordert gleichheit der conso-
nanten wie der vocale, allein von dem übergange aus
der loseren regel des 12ten jahrh. bis zu der festigung
jenes grundsatzes findet eine beachtungswerthe ab-
stufung statt. Das streben nach völligem gleichlaut
war bereits im 12ten jahrh. entschieden, nur noch
häufigere ausnahmen zuläßig. So reimen z. b. Maria
15. 20. die vocale ei: au, i: u in weisen:hausen, rin-
der:under; kaiserchron. 71b sternen:warnen, 92b gal-
gen:ougen etc. nur gleiche länge oder kürze der
penult. muste gewahrt seyn, z. b. lasen:nasen wäre
unzuläßig gewesen. Ähnliche reime ungleicher con-
sonanzen lehren gedichte wie Maria, die kaiserchro-
nik (cod. pal. 361.) u. a. allenthalben. Theils ver-
schlägt im auslaut ungleichheit der verschiedenen li-
quiden nichts (sicher:michel; anger:slangen theils
stört eine über den reim hinaus laufende liq. oder
*) Unsere mittelh. dichter entlehnten ribalt, ribaldes oder
ribbalt und ähnliche wörter nicht aus dem franz. ribaud,
sondern aus einer andern rom. form ribald; freilich wie-
der ohne ahnung des deutschen ursprungs aus reginbald,
reinbald (vir fortis, hernach, wie recke, latro, fur).
I. mittelhochdeutſche buchſtaben. Schlußbem.
vër mâƷe, vër zuht (muſ. 1, 66.), welches in dem
neuh. jungfer f. jungfrau ganz üblich wurde, vorge-
ſetzt hört man jetzt nur in gemeiner volksſprache:
fer amtmännin etc. Beides ſehr häufig im mittelnie-
derl., wo man ſogar noch die volle form daneben
ſetzte, z. b. vrouwe ver conincginne, here her coninc
(Huyd. op Stoke 2. 147-149.)
2) die übergänge der vocale u und i in die halbvocale
w und j (aus dieſem ſelbſt in die med. g) ſind be-
kannt, umgekehrt löſen ſich g. j. w. in den vocal auf.
Unbekannt aber ſcheint der hochd. mundart die ent-
wickelung der liq. l aus u, der die franz. und nie-
derl. inlautende verwandlung des organ. l in u zur
ſeite ſteht (maux, ſauf f. mals, ſalv; oud, goud f. ald,
gold) *). Indeſſen finde ich in der ſteiriſchen mund-
art eine ſpur, Ottocar ſagt in und außer reim nicht
piſchof, wie alle mittelh. dichter, ſondern piſcholf
und reimts auf wolf, ruodolf, adolf, welches ſich le-
diglich aus einem alth. piſcouf erklärt, vgl. oben ſ. 94.
und 357. Stalder hat im Aargau eine auflöſung des l
in uw bemerkt (dial. 64.)
3) die mittelh. reimkunſt fordert gleichheit der conſo-
nanten wie der vocale, allein von dem übergange aus
der loſeren regel des 12ten jahrh. bis zu der feſtigung
jenes grundſatzes findet eine beachtungswerthe ab-
ſtufung ſtatt. Das ſtreben nach völligem gleichlaut
war bereits im 12ten jahrh. entſchieden, nur noch
häufigere ausnahmen zuläßig. So reimen z. b. Maria
15. 20. die vocale ei: û, i: u in weiſen:hûſen, rin-
der:under; kaiſerchron. 71b ſtërnen:warnen, 92b gal-
gen:ougen etc. nur gleiche länge oder kürze der
penult. muſte gewahrt ſeyn, z. b. lâſen:naſen wäre
unzuläßig geweſen. Ähnliche reime ungleicher con-
ſonanzen lehren gedichte wie Maria, die kaiſerchro-
nik (cod. pal. 361.) u. a. allenthalben. Theils ver-
ſchlägt im auslaut ungleichheit der verſchiedenen li-
quiden nichts (ſicher:michel; anger:ſlangen theils
ſtört eine über den reim hinaus laufende liq. oder
*) Unſere mittelh. dichter entlehnten ribalt, ribaldes oder
ribbalt und ähnliche wörter nicht aus dem franz. ribaud,
ſondern aus einer andern rom. form ribald; freilich wie-
der ohne ahnung des deutſchen urſprungs aus reginbald,
reinbald (vir fortis, hernach, wie recke, latro, fur).
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[444/0470] I. mittelhochdeutſche buchſtaben. Schlußbem. vër mâƷe, vër zuht (muſ. 1, 66.), welches in dem neuh. jungfer f. jungfrau ganz üblich wurde, vorge- ſetzt hört man jetzt nur in gemeiner volksſprache: fer amtmännin etc. Beides ſehr häufig im mittelnie- derl., wo man ſogar noch die volle form daneben ſetzte, z. b. vrouwe ver conincginne, here her coninc (Huyd. op Stoke 2. 147-149.) 2) die übergänge der vocale u und i in die halbvocale w und j (aus dieſem ſelbſt in die med. g) ſind be- kannt, umgekehrt löſen ſich g. j. w. in den vocal auf. Unbekannt aber ſcheint der hochd. mundart die ent- wickelung der liq. l aus u, der die franz. und nie- derl. inlautende verwandlung des organ. l in u zur ſeite ſteht (maux, ſauf f. mals, ſalv; oud, goud f. ald, gold) *). Indeſſen finde ich in der ſteiriſchen mund- art eine ſpur, Ottocar ſagt in und außer reim nicht piſchof, wie alle mittelh. dichter, ſondern piſcholf und reimts auf wolf, ruodolf, adolf, welches ſich le- diglich aus einem alth. piſcouf erklärt, vgl. oben ſ. 94. und 357. Stalder hat im Aargau eine auflöſung des l in uw bemerkt (dial. 64.) 3) die mittelh. reimkunſt fordert gleichheit der conſo- nanten wie der vocale, allein von dem übergange aus der loſeren regel des 12ten jahrh. bis zu der feſtigung jenes grundſatzes findet eine beachtungswerthe ab- ſtufung ſtatt. Das ſtreben nach völligem gleichlaut war bereits im 12ten jahrh. entſchieden, nur noch häufigere ausnahmen zuläßig. So reimen z. b. Maria 15. 20. die vocale ei: û, i: u in weiſen:hûſen, rin- der:under; kaiſerchron. 71b ſtërnen:warnen, 92b gal- gen:ougen etc. nur gleiche länge oder kürze der penult. muſte gewahrt ſeyn, z. b. lâſen:naſen wäre unzuläßig geweſen. Ähnliche reime ungleicher con- ſonanzen lehren gedichte wie Maria, die kaiſerchro- nik (cod. pal. 361.) u. a. allenthalben. Theils ver- ſchlägt im auslaut ungleichheit der verſchiedenen li- quiden nichts (ſicher:michel; anger:ſlangen theils ſtört eine über den reim hinaus laufende liq. oder *) Unſere mittelh. dichter entlehnten ribalt, ribaldes oder ribbalt und ähnliche wörter nicht aus dem franz. ribaud, ſondern aus einer andern rom. form ribald; freilich wie- der ohne ahnung des deutſchen urſprungs aus reginbald, reinbald (vir fortis, hernach, wie recke, latro, fur).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/470>, abgerufen am 22.11.2024.