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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. neuniederländische vocale.
werk (alauda) hieuw (caecidit) nieuw (novus), letzteres
weder nauw (wie auw, vobis) noch nuiw (wie sonst ui
für hochd. iu). --

Schlußbemerkungen. 1) der umlaut mangelt wie im
vorigen zeitraum, d. h. er dauert nur unverstanden in
gewissen wörtern fort, die er ehmahls belebte, z. b.
in wenden (vertere) mensch (homo) bed (lectus) er-
scheint aber im pl. von hand, balg etc. nicht mehr. Da
sich a und e in diesem verhältniß nahe liegen, kam
zuweilen e in umlautsunfähige formen, z. b. echter
(post) erg (pravus, wofern hier nicht e das alte ae in
aerg st. arg?). Aus ähnlichem schwanken zwischen um-
lautender und unumlautender form erkläre ich mir das
verhältniß zwischen eu und o, z. b. deun (tenax) scheint
dem mittelh. gedon (compressio, vis, s. 336.) verwandt,
deuntje (modulatio) unserm toenchen; slot, sleutel ver-
halten sich wie schloß, schlüßel, dreunen ist unser droe-
nen, heup das mittelh. huf. gen. hüffe, richtiger wäre
freilich ohne umlaut hop, wie wonen (habitare) spor
richtiger als weunen, speur. Endlich ist der diphth. oe
als umlaut eines früheren organ. o (oo) zu betrachten, das
er in der schreibung gänzlich verdrängt hat, denn roemen
(gloriari) gemoed (mens) vergleicht sich dem mittelh.
ruemen, gemuete, folglich stehen roem (gloria) moed
(animus) voet (pes) f. rom, mod, vot (mittelh. ruom,
muot, fuoß). Die unorg. ausdehnung unverstandenes
umlauts habe ich oben s. 512. gerade so im mittelengl.
nachgewiesen; der sing. voet ist ganz jenes fete. --
2) aus der verhandlung der buchstaben ergibt sich die
abänderung der s. 484. 485. (unter 3.) vorgetragenen mit-
telniederl. einrichtung. Der dortige fall a. besteht nicht
mehr, es heißt jar, jaren; er, eren; teid, teiden; or, oren;
maur, mauren. Und ob zwar im fall b. ebenso wie da-
mahls gerakt (tactus) sprekt (loquitur) etc. gilt, ist doch
diese verlängerung nicht folge der syncopierten flexion,
vielmehr schon im inf. raken, spreken vorhanden. -- 3)
tonlose und ausfallende vocale der endung sind aus den
dichtern zu lernen; sehr häufig wird z. b. das a in
vruchtbar, streidbar ausgestoßen, wenn noch ein flexions-
e folgt, dierbren f. dierbaren (eximium) d'ondragbre pein
(die unertragbare pein). -- 4) die vocale der flämischen
(flandrischen) und brabäntischen mundart (in welcher
während des 16. 17. jahrh. vieles gedruckt worden ist)
weichen verschiedentlich von der neuniederl. (holländi-
schen) einrichtung ab. Lernen läßt sich kaum etwas

I. neuniederländiſche vocale.
werk (alauda) hieuw (caecidit) nieuw (novus), letzteres
weder nûw (wie ûw, vobis) noch nuiw (wie ſonſt ui
für hochd. iu). —

Schlußbemerkungen. 1) der umlaut mangelt wie im
vorigen zeitraum, d. h. er dauert nur unverſtanden in
gewiſſen wörtern fort, die er ehmahls belebte, z. b.
in wenden (vertere) menſch (homo) bed (lectus) er-
ſcheint aber im pl. von hand, balg etc. nicht mehr. Da
ſich a und e in dieſem verhältniß nahe liegen, kam
zuweilen e in umlautsunfähige formen, z. b. echter
(poſt) erg (pravus, wofern hier nicht e das alte ae in
aerg ſt. arg?). Aus ähnlichem ſchwanken zwiſchen um-
lautender und unumlautender form erkläre ich mir das
verhältniß zwiſchen eu und ô, z. b. deun (tenax) ſcheint
dem mittelh. gedon (compreſſio, vis, ſ. 336.) verwandt,
deuntje (modulatio) unſerm tœnchen; ſlot, ſleutel ver-
halten ſich wie ſchloß, ſchlüßel, dreunen iſt unſer drœ-
nen, heup das mittelh. huf. gen. hüffe, richtiger wäre
freilich ohne umlaut hôp, wie wônen (habitare) ſpôr
richtiger als weunen, ſpeur. Endlich iſt der diphth. oe
als umlaut eines früheren organ. ô (oo) zu betrachten, das
er in der ſchreibung gänzlich verdrängt hat, denn roemen
(gloriari) gemoed (mens) vergleicht ſich dem mittelh.
ruemen, gemuete, folglich ſtehen roem (gloria) moed
(animus) voet (pes) f. rôm, môd, vôt (mittelh. ruom,
muot, fuoƷ). Die unorg. ausdehnung unverſtandenes
umlauts habe ich oben ſ. 512. gerade ſo im mittelengl.
nachgewieſen; der ſing. voet iſt ganz jenes fête. —
2) aus der verhandlung der buchſtaben ergibt ſich die
abänderung der ſ. 484. 485. (unter 3.) vorgetragenen mit-
telniederl. einrichtung. Der dortige fall α. beſteht nicht
mehr, es heißt jâr, jâren; êr, êren; tîd, tîden; ôr, ôren;
mûr, mûren. Und ob zwar im fall β. ebenſo wie da-
mahls gerâkt (tactus) ſprêkt (loquitur) etc. gilt, iſt doch
dieſe verlängerung nicht folge der ſyncopierten flexion,
vielmehr ſchon im inf. râken, ſprêken vorhanden. — 3)
tonloſe und ausfallende vocale der endung ſind aus den
dichtern zu lernen; ſehr häufig wird z. b. das â in
vruchtbâr, ſtrîdbâr ausgeſtoßen, wenn noch ein flexions-
e folgt, dierbren f. dierbâren (eximium) d’ondrâgbre pîn
(die unertragbare pein). — 4) die vocale der flämiſchen
(flandriſchen) und brabäntiſchen mundart (in welcher
während des 16. 17. jahrh. vieles gedruckt worden iſt)
weichen verſchiedentlich von der neuniederl. (holländi-
ſchen) einrichtung ab. Lernen läßt ſich kaum etwas

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[534/0560] I. neuniederländiſche vocale. werk (alauda) hieuw (caecidit) nieuw (novus), letzteres weder nûw (wie ûw, vobis) noch nuiw (wie ſonſt ui für hochd. iu). — Schlußbemerkungen. 1) der umlaut mangelt wie im vorigen zeitraum, d. h. er dauert nur unverſtanden in gewiſſen wörtern fort, die er ehmahls belebte, z. b. in wenden (vertere) menſch (homo) bed (lectus) er- ſcheint aber im pl. von hand, balg etc. nicht mehr. Da ſich a und e in dieſem verhältniß nahe liegen, kam zuweilen e in umlautsunfähige formen, z. b. echter (poſt) erg (pravus, wofern hier nicht e das alte ae in aerg ſt. arg?). Aus ähnlichem ſchwanken zwiſchen um- lautender und unumlautender form erkläre ich mir das verhältniß zwiſchen eu und ô, z. b. deun (tenax) ſcheint dem mittelh. gedon (compreſſio, vis, ſ. 336.) verwandt, deuntje (modulatio) unſerm tœnchen; ſlot, ſleutel ver- halten ſich wie ſchloß, ſchlüßel, dreunen iſt unſer drœ- nen, heup das mittelh. huf. gen. hüffe, richtiger wäre freilich ohne umlaut hôp, wie wônen (habitare) ſpôr richtiger als weunen, ſpeur. Endlich iſt der diphth. oe als umlaut eines früheren organ. ô (oo) zu betrachten, das er in der ſchreibung gänzlich verdrängt hat, denn roemen (gloriari) gemoed (mens) vergleicht ſich dem mittelh. ruemen, gemuete, folglich ſtehen roem (gloria) moed (animus) voet (pes) f. rôm, môd, vôt (mittelh. ruom, muot, fuoƷ). Die unorg. ausdehnung unverſtandenes umlauts habe ich oben ſ. 512. gerade ſo im mittelengl. nachgewieſen; der ſing. voet iſt ganz jenes fête. — 2) aus der verhandlung der buchſtaben ergibt ſich die abänderung der ſ. 484. 485. (unter 3.) vorgetragenen mit- telniederl. einrichtung. Der dortige fall α. beſteht nicht mehr, es heißt jâr, jâren; êr, êren; tîd, tîden; ôr, ôren; mûr, mûren. Und ob zwar im fall β. ebenſo wie da- mahls gerâkt (tactus) ſprêkt (loquitur) etc. gilt, iſt doch dieſe verlängerung nicht folge der ſyncopierten flexion, vielmehr ſchon im inf. râken, ſprêken vorhanden. — 3) tonloſe und ausfallende vocale der endung ſind aus den dichtern zu lernen; ſehr häufig wird z. b. das â in vruchtbâr, ſtrîdbâr ausgeſtoßen, wenn noch ein flexions- e folgt, dierbren f. dierbâren (eximium) d’ondrâgbre pîn (die unertragbare pein). — 4) die vocale der flämiſchen (flandriſchen) und brabäntiſchen mundart (in welcher während des 16. 17. jahrh. vieles gedruckt worden iſt) weichen verſchiedentlich von der neuniederl. (holländi- ſchen) einrichtung ab. Lernen läßt ſich kaum etwas

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/560>, abgerufen am 22.11.2024.