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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allg. vergleichung der declination.
welcher tenuis ich keine berührung des h mit s (etwa
nach s. 318. 416.) muthmaße. Das altn. ver (? ver)
vor, oss, oss schickt sich zu den goth. alth. formen,
der pl. zweiter pers. zeigt wieder ein abweichendes
ydhr, wobei vielleicht an das altn. dd = goth. zd,
alth. rt (oben s. 319.) zu denken wäre. --
35) der numerus dualis, für subst. und adj. längst un-
tergegangen, ist bloß am pron. der ersten und zwei-
ten person erhalten worden (s. 780. 781.) auch da ließ
ihn die schriftsprache bald vergehen. In mittelh. ge-
dichten, wo häufiger anlaß zum dual. wäre, erscheint
er nicht, ausgenommen bei dem steirischen Ottocar,
der sich verschiedentlich (z. b. cap. 450. 451.) der dual-
form zweiter person nom: ez, dat. acc. ench, auch
des poss. encher bedient. Gemeine volksmundarten
hingegen haben hin und wieder den uralten dualis
bis heute fortgeführt, als rohen stoff, ohne sich auf
die lebendige, syntactische verwendung desselben zu
verstehen, d. h. sie gebrauchen ihn für den plur. und
mengen ihn mit pluralformen. Ich will hier die
volksdialecte anführen, in denen der dualis fortdauert:
a) auf den zwischen Island, Schottland und Norwe-
gen liegenden Faer-eyjar (d. h. schaafinseln, dän.
faeroeer) lautet der dual. erster person: veit. okkara.
okkun. okur; zweiter: teit. tikkara. tikkun. tikur
[Rask veiledn. p. 277.) -- b) norwegische volkssprache:
erster pers. gen. aakons (kons) dat. acc. aakon; zw.
pers. gen. dekan oder dokkers, dat. acc. dekan [Halla-
ger forerindr. XII.] vermuthlich findet sich der nom.
ebenfalls. -- c) manche schwedische mundart, viel-
leicht auch die schottländische wird bei näherer auf-
merksamkeit ähnliche formen ergeben. Vorhandenseyn
des dual. nom. vit in Westbotnien bezeugt Ihre unter
wi; dualformen in dem upländ. und westmanl. gesetz
derselbe unter okar. -- d) nordfriesische volkssprache:
erster pers.: wet. unker. unk. unk; zweiter: jet. jun-
ker. junk. junk [mitgetheilt von Hr. Prof. Falck zu
Kiel] -- e) westphäl. mundart der grafschaft mark und
des herzogth. westph. bloß für die zweite pers. gätt
(iät, ät) inker. ink. ink [mitgeth. von Hr. Conr. Holt-
haus zu Schwelm] -- f) bairisch-oestr. mundart, bloß
für zweite pers. eß (iß, ez, tiz) enker. enk. enk;
andere schreiben: ös (dös, döz) önger. öng. öng [vgl.
Höfer 1, 187. 188. Schmeller §. 718. 721. wonach ink
auch als nom., inkß, enkß als dat. acc. vorkommt]. --
II. allg. vergleichung der declination.
welcher tenuis ich keine berührung des h mit ſ (etwa
nach ſ. 318. 416.) muthmaße. Das altn. vër (? vêr)
vor, oſſ, oſſ ſchickt ſich zu den goth. alth. formen,
der pl. zweiter perſ. zeigt wieder ein abweichendes
ydhr, wobei vielleicht an das altn. dd = goth. zd,
alth. rt (oben ſ. 319.) zu denken wäre. —
35) der numerus dualis, für ſubſt. und adj. längſt un-
tergegangen, iſt bloß am pron. der erſten und zwei-
ten perſon erhalten worden (ſ. 780. 781.) auch da ließ
ihn die ſchriftſprache bald vergehen. In mittelh. ge-
dichten, wo häufiger anlaß zum dual. wäre, erſcheint
er nicht, ausgenommen bei dem ſteiriſchen Ottocar,
der ſich verſchiedentlich (z. b. cap. 450. 451.) der dual-
form zweiter perſon nom: ëz, dat. acc. ënch, auch
des poſſ. ëncher bedient. Gemeine volksmundarten
hingegen haben hin und wieder den uralten dualis
bis heute fortgeführt, als rohen ſtoff, ohne ſich auf
die lebendige, ſyntactiſche verwendung deſſelben zu
verſtehen, d. h. ſie gebrauchen ihn für den plur. und
mengen ihn mit pluralformen. Ich will hier die
volksdialecte anführen, in denen der dualis fortdauert:
a) auf den zwiſchen Island, Schottland und Norwe-
gen liegenden Fær-eyjar (d. h. ſchaafinſeln, dän.
færœer) lautet der dual. erſter perſon: vît. okkara.
okkun. okur; zweiter: tît. tikkara. tikkun. tikur
[Raſk veiledn. p. 277.) — b) norwegiſche volksſprache:
erſter perſ. gen. aakons (kons) dat. acc. aakon; zw.
perſ. gen. dekan oder dokkers, dat. acc. dekan [Halla-
ger forerindr. XII.] vermuthlich findet ſich der nom.
ebenfalls. — c) manche ſchwediſche mundart, viel-
leicht auch die ſchottländiſche wird bei näherer auf-
merkſamkeit ähnliche formen ergeben. Vorhandenſeyn
des dual. nom. vit in Weſtbotnien bezeugt Ihre unter
wi; dualformen in dem upländ. und weſtmanl. geſetz
derſelbe unter okar. — d) nordfrieſiſche volksſprache:
erſter perſ.: wet. unker. unk. unk; zweiter: jet. jun-
ker. junk. junk [mitgetheilt von Hr. Prof. Falck zu
Kiel] — e) weſtphäl. mundart der grafſchaft mark und
des herzogth. weſtph. bloß für die zweite perſ. gätt
(iät, ät) inker. ink. ink [mitgeth. von Hr. Conr. Holt-
haus zu Schwelm] — f) bairiſch-oeſtr. mundart, bloß
für zweite perſ. eß (iß, éz, tiz) enker. enk. enk;
andere ſchreiben: ös (dös, döz) önger. öng. öng [vgl.
Höfer 1, 187. 188. Schmeller §. 718. 721. wonach ink
auch als nom., inkß, enkß als dat. acc. vorkommt]. —
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[814/0840] II. allg. vergleichung der declination. welcher tenuis ich keine berührung des h mit ſ (etwa nach ſ. 318. 416.) muthmaße. Das altn. vër (? vêr) vor, oſſ, oſſ ſchickt ſich zu den goth. alth. formen, der pl. zweiter perſ. zeigt wieder ein abweichendes ydhr, wobei vielleicht an das altn. dd = goth. zd, alth. rt (oben ſ. 319.) zu denken wäre. — 35) der numerus dualis, für ſubſt. und adj. längſt un- tergegangen, iſt bloß am pron. der erſten und zwei- ten perſon erhalten worden (ſ. 780. 781.) auch da ließ ihn die ſchriftſprache bald vergehen. In mittelh. ge- dichten, wo häufiger anlaß zum dual. wäre, erſcheint er nicht, ausgenommen bei dem ſteiriſchen Ottocar, der ſich verſchiedentlich (z. b. cap. 450. 451.) der dual- form zweiter perſon nom: ëz, dat. acc. ënch, auch des poſſ. ëncher bedient. Gemeine volksmundarten hingegen haben hin und wieder den uralten dualis bis heute fortgeführt, als rohen ſtoff, ohne ſich auf die lebendige, ſyntactiſche verwendung deſſelben zu verſtehen, d. h. ſie gebrauchen ihn für den plur. und mengen ihn mit pluralformen. Ich will hier die volksdialecte anführen, in denen der dualis fortdauert: a) auf den zwiſchen Island, Schottland und Norwe- gen liegenden Fær-eyjar (d. h. ſchaafinſeln, dän. færœer) lautet der dual. erſter perſon: vît. okkara. okkun. okur; zweiter: tît. tikkara. tikkun. tikur [Raſk veiledn. p. 277.) — b) norwegiſche volksſprache: erſter perſ. gen. aakons (kons) dat. acc. aakon; zw. perſ. gen. dekan oder dokkers, dat. acc. dekan [Halla- ger forerindr. XII.] vermuthlich findet ſich der nom. ebenfalls. — c) manche ſchwediſche mundart, viel- leicht auch die ſchottländiſche wird bei näherer auf- merkſamkeit ähnliche formen ergeben. Vorhandenſeyn des dual. nom. vit in Weſtbotnien bezeugt Ihre unter wi; dualformen in dem upländ. und weſtmanl. geſetz derſelbe unter okar. — d) nordfrieſiſche volksſprache: erſter perſ.: wet. unker. unk. unk; zweiter: jet. jun- ker. junk. junk [mitgetheilt von Hr. Prof. Falck zu Kiel] — e) weſtphäl. mundart der grafſchaft mark und des herzogth. weſtph. bloß für die zweite perſ. gätt (iät, ät) inker. ink. ink [mitgeth. von Hr. Conr. Holt- haus zu Schwelm] — f) bairiſch-oeſtr. mundart, bloß für zweite perſ. eß (iß, éz, tiz) enker. enk. enk; andere ſchreiben: ös (dös, döz) önger. öng. öng [vgl. Höfer 1, 187. 188. Schmeller §. 718. 721. wonach ink auch als nom., inkß, enkß als dat. acc. vorkommt]. —

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/840>, abgerufen am 28.07.2024.