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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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Vorrede.
cale würde noch deutlicher hervortreten, wenn man auch
bei ersterem absorptionen durch bildende u oder i und
den vocalischen anlaut des zweiten glieds annähme. Ue-
brigens bemerke ich, daß meines wißens alle indi-
schen zusammensetzungen nominal sind und keine verba
im ersten glied weder eigentlich, noch nach griechischer
weise uneigentlich (mit einfließender flexion) vorkommen.
Partikelcomposita sind überaus häufig, vgl. die von Bopp
§. 111-114. aufgezählten praefixa.

Ich vermag mich keiner selbsterworbenen, tiefer ein-
gehenden kenntnis der sanskritgrammatik zu rühmen;
es genügt mir die trefflichen arbeiten der forscher in die-
sem fach für allgemeine oder auffallende einzelne verglei-
chungen zu nutzen, welche man als bescheidene, unwe-
sentliche zugaben zu meiner arbeit betrachte. Die deut-
sche sprache nimmt bis jetzt noch meine angestrengten
kräfte so sehr in anspruch, daß ich nur hin und wieder
den blick über ihre grenze zu werfen wagen darf. Das
angelegenste und liebste ist mir immer, mich innerhalb
dieser schranke auszubilden, was ich darin finde und ent-
decke, fühle ich auch, wird einen dauerhafteren werth ha-
ben, als wenn ich bemüht wäre, vor der zeit die betrach-
tung unserer einheimischen quellen abzuschließen und all-
gemeineren oder höheren sätzen nachzuhängen. Wer zu
solchen geschickt ist oder geschickt werden wird, mag sich
dessen, was meine untersuchungen darbieten, mit desto
gefahrloserer sicherheit bedienen. Einen, der, ohne der
indischen noch der deutschen sprachregel vollkommen
mächtig zu sein, diese aus jener meistert, neide ich nicht
um seine dürren resultate.

Die andere ursache der unschlüßigkeit deutscher gram-
matik ist das anhaltende oder bevorstehende zuströmen
bisher unbekannter quellen. Es gehört einiger muth da-
zu, in unserer zeit, wo man jahr aus jahr ein höchst be-
deutenden ergänzungen der gothischen bibel entgegen-
harrt, an die aufführung eines gebäudes, das vor allem
auf gothische sprache gegründet werden muß, hand an
zu legen, oder in ihm ein eignes gesach für die altsäch-
sische zu zimmern, wozu das völlige material ausbleibt.
Wer hätte vor acht jahren gedacht, daß die herausgabe
dieser denkmähler heuer noch eben keinen schritt vor-
gerückt sein würde. Mit dem Ulphilas zaudern die Ita-
liener, allen wünschen und erbietungen ausweichend; es
ist doch ein kleiner ruhm, sich die erste schläfrige be-
kanntmachung eines von barbarischen Gothen herstam-

Vorrede.
cale würde noch deutlicher hervortreten, wenn man auch
bei erſterem abſorptionen durch bildende u oder i und
den vocaliſchen anlaut des zweiten glieds annähme. Ue-
brigens bemerke ich, daß meines wißens alle indi-
ſchen zuſammenſetzungen nominal ſind und keine verba
im erſten glied weder eigentlich, noch nach griechiſcher
weiſe uneigentlich (mit einfließender flexion) vorkommen.
Partikelcompoſita ſind überaus häufig, vgl. die von Bopp
§. 111-114. aufgezählten praefixa.

Ich vermag mich keiner ſelbſterworbenen, tiefer ein-
gehenden kenntnis der ſanſkritgrammatik zu rühmen;
es genügt mir die trefflichen arbeiten der forſcher in die-
ſem fach für allgemeine oder auffallende einzelne verglei-
chungen zu nutzen, welche man als beſcheidene, unwe-
ſentliche zugaben zu meiner arbeit betrachte. Die deut-
ſche ſprache nimmt bis jetzt noch meine angeſtrengten
kräfte ſo ſehr in anſpruch, daß ich nur hin und wieder
den blick über ihre grenze zu werfen wagen darf. Das
angelegenſte und liebſte iſt mir immer, mich innerhalb
dieſer ſchranke auszubilden, was ich darin finde und ent-
decke, fühle ich auch, wird einen dauerhafteren werth ha-
ben, als wenn ich bemüht wäre, vor der zeit die betrach-
tung unſerer einheimiſchen quellen abzuſchließen und all-
gemeineren oder höheren ſätzen nachzuhängen. Wer zu
ſolchen geſchickt iſt oder geſchickt werden wird, mag ſich
deſſen, was meine unterſuchungen darbieten, mit deſto
gefahrloſerer ſicherheit bedienen. Einen, der, ohne der
indiſchen noch der deutſchen ſprachregel vollkommen
mächtig zu ſein, dieſe aus jener meiſtert, neide ich nicht
um ſeine dürren reſultate.

Die andere urſache der unſchlüßigkeit deutſcher gram-
matik iſt das anhaltende oder bevorſtehende zuſtrömen
bisher unbekannter quellen. Es gehört einiger muth da-
zu, in unſerer zeit, wo man jahr aus jahr ein höchſt be-
deutenden ergänzungen der gothiſchen bibel entgegen-
harrt, an die aufführung eines gebäudes, das vor allem
auf gothiſche ſprache gegründet werden muß, hand an
zu legen, oder in ihm ein eignes geſach für die altſäch-
ſiſche zu zimmern, wozu das völlige material ausbleibt.
Wer hätte vor acht jahren gedacht, daß die herausgabe
dieſer denkmähler heuer noch eben keinen ſchritt vor-
gerückt ſein würde. Mit dem Ulphilas zaudern die Ita-
liener, allen wünſchen und erbietungen ausweichend; es
iſt doch ein kleiner ruhm, ſich die erſte ſchläfrige be-
kanntmachung eines von barbariſchen Gothen herſtam-

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[IX/0015] Vorrede. cale würde noch deutlicher hervortreten, wenn man auch bei erſterem abſorptionen durch bildende u oder i und den vocaliſchen anlaut des zweiten glieds annähme. Ue- brigens bemerke ich, daß meines wißens alle indi- ſchen zuſammenſetzungen nominal ſind und keine verba im erſten glied weder eigentlich, noch nach griechiſcher weiſe uneigentlich (mit einfließender flexion) vorkommen. Partikelcompoſita ſind überaus häufig, vgl. die von Bopp §. 111-114. aufgezählten praefixa. Ich vermag mich keiner ſelbſterworbenen, tiefer ein- gehenden kenntnis der ſanſkritgrammatik zu rühmen; es genügt mir die trefflichen arbeiten der forſcher in die- ſem fach für allgemeine oder auffallende einzelne verglei- chungen zu nutzen, welche man als beſcheidene, unwe- ſentliche zugaben zu meiner arbeit betrachte. Die deut- ſche ſprache nimmt bis jetzt noch meine angeſtrengten kräfte ſo ſehr in anſpruch, daß ich nur hin und wieder den blick über ihre grenze zu werfen wagen darf. Das angelegenſte und liebſte iſt mir immer, mich innerhalb dieſer ſchranke auszubilden, was ich darin finde und ent- decke, fühle ich auch, wird einen dauerhafteren werth ha- ben, als wenn ich bemüht wäre, vor der zeit die betrach- tung unſerer einheimiſchen quellen abzuſchließen und all- gemeineren oder höheren ſätzen nachzuhängen. Wer zu ſolchen geſchickt iſt oder geſchickt werden wird, mag ſich deſſen, was meine unterſuchungen darbieten, mit deſto gefahrloſerer ſicherheit bedienen. Einen, der, ohne der indiſchen noch der deutſchen ſprachregel vollkommen mächtig zu ſein, dieſe aus jener meiſtert, neide ich nicht um ſeine dürren reſultate. Die andere urſache der unſchlüßigkeit deutſcher gram- matik iſt das anhaltende oder bevorſtehende zuſtrömen bisher unbekannter quellen. Es gehört einiger muth da- zu, in unſerer zeit, wo man jahr aus jahr ein höchſt be- deutenden ergänzungen der gothiſchen bibel entgegen- harrt, an die aufführung eines gebäudes, das vor allem auf gothiſche ſprache gegründet werden muß, hand an zu legen, oder in ihm ein eignes geſach für die altſäch- ſiſche zu zimmern, wozu das völlige material ausbleibt. Wer hätte vor acht jahren gedacht, daß die herausgabe dieſer denkmähler heuer noch eben keinen ſchritt vor- gerückt ſein würde. Mit dem Ulphilas zaudern die Ita- liener, allen wünſchen und erbietungen ausweichend; es iſt doch ein kleiner ruhm, ſich die erſte ſchläfrige be- kanntmachung eines von barbariſchen Gothen herſtam-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/15>, abgerufen am 21.11.2024.