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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. SK.

b) zerlegungen des -isk in -is-k sind zu vermuthen,
nicht nachzuweisen. Das nhd. herschen stammt aus her-
rison und bezeugt noch keinen zus. hang dieses mit dem
nhd. adj. herrisch.

g) berührung des -sk mit -ss (oben s. 328.) scheint
unorganisch und erst späterhin einzutreten. Die ältesten
beispiele wären ratissa und ratisca. Aus der altn., dem
ss abholden mundart ließen sich leikneski (effigies) vit-
neskja (notitia) neben das ags. leicnesse, vitnesse halten.
Allein beides sind verschiedne ableitungsformen, deren
bedeutung natürlich nicht weit aus einander liegt. Die
schwed. sprache moviert fem. mit -ska, z. b. barnmoder-
ska (obstetrix) bleker-ska, twätter-ska (lotrix) danser-ska
(saltatrix) väfver-ska (textrix) etc. da aber nichts ähnli-
ches im altn., selbst nicht im dän. (wo dandserinde, ble-
gekone, väverinde) statt findet, so scheinen mir diese -ska
aus plattdeutschen -sche hergenommen, welche nach
s. 329. aus roman. -esse entspringen *). Das goth. ahd.
altn. -isk dient durchaus nicht zur motion, sondern zu
anderen begriffen.

d) im gegensatze zu -eig, das sich meist mit sächlichen,
selten mit persönlichen wörtern verbindet (s. 309.), leitet
-isc mehr persönliche als sächliche ab. Es gibt daher,
in der früheren sprache wenigstens, beinahe keine colli-
sionen beider bildungen. eli-diot-eic (peregrinus) jun. 235.
252. könnte nicht eli-diut-isc heißen, noch diut-isc (ger-
manicus) diot-eic, obwohl ihnen beiden diot (gens) zu
grunde liegt; diutisc, wegen des u, scheint länger im ge-
brauch; -isc drückt abstammung, abkunft, etwas leben-
digeres, -eic allgemeine ableitung, etwas abstracteres aus;
himil-isc entspricht dem goth. compos. himina-kunds (ou-
ranios
), für elidioteic würde auch die noch gelindere ab-
leitung elidioti, elidiotjo, goth. aljathiudja (wie aljakunja)
stehen dürfen. Erst die nhd. sprache hat neben narrig
(wenn dies nicht ganz verwerflich ist) ein närrisch, ne-
ben glaubig, gläubig ein abergläubisch und für das ahd.
mittelandeig N. 71, 8. ein mittelländisch. Erst sie legt auch
in das -isch die idee des verächtlichen oder tadelhaften:
kindisch, weibisch, knechtisch, abgöttisch, diebisch, lin-
kisch etc. im gegensatz zu den die gute bedeutung ent-
haltenden compos. mit -lich: weiblich, kindlich, göttlich.
Näher besehen liegt aber das böse nicht in dem -isch,

*) altfranzös. findet sich nicht selten -sc: noblesce, largesce etc.
III. conſonantiſche ableitungen. SK.

β) zerlegungen des -iſk in -iſ-k ſind zu vermuthen,
nicht nachzuweiſen. Das nhd. herſchen ſtammt aus hër-
riſôn und bezeugt noch keinen zuſ. hang dieſes mit dem
nhd. adj. herriſch.

γ) berührung des -ſk mit -ſſ (oben ſ. 328.) ſcheint
unorganiſch und erſt ſpäterhin einzutreten. Die älteſten
beiſpiele wären râtiſſa und râtiſca. Aus der altn., dem
ſſ abholden mundart ließen ſich lîkneſki (effigies) vit-
neſkja (notitia) neben das agſ. lîcneſſe, vitneſſe halten.
Allein beides ſind verſchiedne ableitungsformen, deren
bedeutung natürlich nicht weit aus einander liegt. Die
ſchwed. ſprache moviert fem. mit -ſka, z. b. barnmoder-
ſka (obſtetrix) blêker-ſka, twätter-ſka (lotrix) danſer-ſka
(ſaltatrix) väfver-ſka (textrix) etc. da aber nichts ähnli-
ches im altn., ſelbſt nicht im dän. (wo dandſerinde, blê-
gekone, väverinde) ſtatt findet, ſo ſcheinen mir dieſe -ſka
aus plattdeutſchen -ſche hergenommen, welche nach
ſ. 329. aus roman. -eſſe entſpringen *). Das goth. ahd.
altn. -iſk dient durchaus nicht zur motion, ſondern zu
anderen begriffen.

δ) im gegenſatze zu -îg, das ſich meiſt mit ſächlichen,
ſelten mit perſönlichen wörtern verbindet (ſ. 309.), leitet
-iſc mehr perſönliche als ſächliche ab. Es gibt daher,
in der früheren ſprache wenigſtens, beinahe keine colli-
ſionen beider bildungen. eli-diot-îc (peregrinus) jun. 235.
252. könnte nicht eli-diut-iſc heißen, noch diut-iſc (ger-
manicus) diot-îc, obwohl ihnen beiden diot (gens) zu
grunde liegt; diutiſc, wegen des u, ſcheint länger im ge-
brauch; -iſc drückt abſtammung, abkunft, etwas leben-
digeres, -îc allgemeine ableitung, etwas abſtracteres aus;
himil-iſc entſpricht dem goth. compoſ. himina-kunds (οὐ-
ράνιος
), für elidiotîc würde auch die noch gelindere ab-
leitung elidioti, elidiotjo, goth. aljaþiudja (wie aljakunja)
ſtehen dürfen. Erſt die nhd. ſprache hat neben narrig
(wenn dies nicht ganz verwerflich iſt) ein närriſch, ne-
ben glaubig, gläubig ein abergläubiſch und für das ahd.
mittelandîg N. 71, 8. ein mittelländiſch. Erſt ſie legt auch
in das -iſch die idee des verächtlichen oder tadelhaften:
kindiſch, weibiſch, knechtiſch, abgöttiſch, diebiſch, lin-
kiſch etc. im gegenſatz zu den die gute bedeutung ent-
haltenden compoſ. mit -lich: weiblich, kindlich, göttlich.
Näher beſehen liegt aber das böſe nicht in dem -iſch,

*) altfranzöſ. findet ſich nicht ſelten -ſc: nobleſce, largeſce etc.
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[378/0396] III. conſonantiſche ableitungen. SK. β) zerlegungen des -iſk in -iſ-k ſind zu vermuthen, nicht nachzuweiſen. Das nhd. herſchen ſtammt aus hër- riſôn und bezeugt noch keinen zuſ. hang dieſes mit dem nhd. adj. herriſch. γ) berührung des -ſk mit -ſſ (oben ſ. 328.) ſcheint unorganiſch und erſt ſpäterhin einzutreten. Die älteſten beiſpiele wären râtiſſa und râtiſca. Aus der altn., dem ſſ abholden mundart ließen ſich lîkneſki (effigies) vit- neſkja (notitia) neben das agſ. lîcneſſe, vitneſſe halten. Allein beides ſind verſchiedne ableitungsformen, deren bedeutung natürlich nicht weit aus einander liegt. Die ſchwed. ſprache moviert fem. mit -ſka, z. b. barnmoder- ſka (obſtetrix) blêker-ſka, twätter-ſka (lotrix) danſer-ſka (ſaltatrix) väfver-ſka (textrix) etc. da aber nichts ähnli- ches im altn., ſelbſt nicht im dän. (wo dandſerinde, blê- gekone, väverinde) ſtatt findet, ſo ſcheinen mir dieſe -ſka aus plattdeutſchen -ſche hergenommen, welche nach ſ. 329. aus roman. -eſſe entſpringen *). Das goth. ahd. altn. -iſk dient durchaus nicht zur motion, ſondern zu anderen begriffen. δ) im gegenſatze zu -îg, das ſich meiſt mit ſächlichen, ſelten mit perſönlichen wörtern verbindet (ſ. 309.), leitet -iſc mehr perſönliche als ſächliche ab. Es gibt daher, in der früheren ſprache wenigſtens, beinahe keine colli- ſionen beider bildungen. eli-diot-îc (peregrinus) jun. 235. 252. könnte nicht eli-diut-iſc heißen, noch diut-iſc (ger- manicus) diot-îc, obwohl ihnen beiden diot (gens) zu grunde liegt; diutiſc, wegen des u, ſcheint länger im ge- brauch; -iſc drückt abſtammung, abkunft, etwas leben- digeres, -îc allgemeine ableitung, etwas abſtracteres aus; himil-iſc entſpricht dem goth. compoſ. himina-kunds (οὐ- ράνιος), für elidiotîc würde auch die noch gelindere ab- leitung elidioti, elidiotjo, goth. aljaþiudja (wie aljakunja) ſtehen dürfen. Erſt die nhd. ſprache hat neben narrig (wenn dies nicht ganz verwerflich iſt) ein närriſch, ne- ben glaubig, gläubig ein abergläubiſch und für das ahd. mittelandîg N. 71, 8. ein mittelländiſch. Erſt ſie legt auch in das -iſch die idee des verächtlichen oder tadelhaften: kindiſch, weibiſch, knechtiſch, abgöttiſch, diebiſch, lin- kiſch etc. im gegenſatz zu den die gute bedeutung ent- haltenden compoſ. mit -lich: weiblich, kindlich, göttlich. Näher beſehen liegt aber das böſe nicht in dem -iſch, *) altfranzöſ. findet ſich nicht ſelten -ſc: nobleſce, largeſce etc.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/396>, abgerufen am 23.11.2024.