a) er schwindet nicht auf dieselbe weise, sondern früher; es heißt z. b. schon im ahd. himil-reihhi, vokal- weida, mhd. himel-reiche, vogel-weide, da doch der dat. sg. ahd. himila, vokala, der gen. pl. himilo, vokalo, mhd. beide casus himele, vogele lauten. Erst das nhd. himmel-reich stimmt zu dem dat. sg. und gen. pl. him- mel. Im nhd. haften noch manche flexionsvocale, der der composition fehlt lange schon.
b) wenn ihm flexionsvocale in einzelnen dialecten zufällig gleichen, so braucht man nur die übrigen zu rathe zu ziehen, um die verschiedenheit beider fälle zu finden; z. b. im mhd. tage-sterne kann tage darum nicht dem gen. pl. tage identisch sein, weil das ahd. taka-sterno und goth. daga-stairno die gen. pl. tako, dage unberührt laßen. Und wer den dat. sg. darin sehen wollte, der freilich goth. daga, ahd. taka flectiert, würde durch das ags. widerlegt, wo der dat. däge, das compositum däg- steorra (nicht däge-st.) lautet. Auch das altfränkische o statt a in dago-berct, karloman schickt sich nicht zum dativ *).
g) völlige überzeugung gewährt hierbei die compo- sition mit schwachen subst., deren oblique casus meistens n einschieben, folglich flexionen bekommen, die dem compositionsvocal und dessen wegfall gar nicht ähnlich sehen. Man halte das nhd. brunn-quell zur decl. von brunnen, das ahd. herz-pleidi, ouc-fano zu der von herza, ouka, das ags. heort-hama zu der von heorte. Im goth. würde ausa-hriggs von auso abstehen.
d) wäre die vermuthete, aber noch nicht überall er- forschte länge der flexionsvocale zur gewisheit gebracht, so müste sich der wahrscheinlich immer kurze composi- tionsvocal noch merklicher unterscheiden. Ist N.'s hello- vreisa eigentliche zus. setzung (= hella-vreisa)? oder un- eigentliche hello-vreisa?
c) daß der compos. vocal mit den ableitenden voca- len i und u nichts gemein habe, obschon beide auf sei- nen ausfall einwirken. Seine bestimmung ist, das erste mit dem zweiten worte zu verbinden, für diese idee gilt es gleichviel, ob das erste wort ein einfaches oder abgeleitetes und auf welche art abgeleitetes sei. In der
*) andere gründe gegen den dativ werden sich aus der be- deutung ergeben.
III. ſubſtantiviſche eigentl. compoſition.
α) er ſchwindet nicht auf dieſelbe weiſe, ſondern früher; es heißt z. b. ſchon im ahd. himil-rîhhi, vokal- weida, mhd. himel-rîche, vogel-weide, da doch der dat. ſg. ahd. himila, vokala, der gen. pl. himilô, vokalô, mhd. beide caſus himele, vogele lauten. Erſt das nhd. himmel-reich ſtimmt zu dem dat. ſg. und gen. pl. him- mel. Im nhd. haften noch manche flexionsvocale, der der compoſition fehlt lange ſchon.
β) wenn ihm flexionsvocale in einzelnen dialecten zufällig gleichen, ſo braucht man nur die übrigen zu rathe zu ziehen, um die verſchiedenheit beider fälle zu finden; z. b. im mhd. tage-ſtërne kann tage darum nicht dem gen. pl. tage identiſch ſein, weil das ahd. taka-ſtërno und goth. daga-ſtaírnô die gen. pl. takô, dagê unberührt laßen. Und wer den dat. ſg. darin ſehen wollte, der freilich goth. daga, ahd. taka flectiert, würde durch das agſ. widerlegt, wo der dat. däge, das compoſitum däg- ſtëorra (nicht däge-ſt.) lautet. Auch das altfränkiſche o ſtatt a in dago-bërct, karloman ſchickt ſich nicht zum dativ *).
γ) völlige überzeugung gewährt hierbei die compo- ſition mit ſchwachen ſubſt., deren oblique caſus meiſtens n einſchieben, folglich flexionen bekommen, die dem compoſitionsvocal und deſſen wegfall gar nicht ähnlich ſehen. Man halte das nhd. brunn-quell zur decl. von brunnen, das ahd. hërz-plîdi, ouc-fano zu der von hërza, ouka, das agſ. hëort-hama zu der von hëorte. Im goth. würde áuſa-hriggs von áuſô abſtehen.
δ) wäre die vermuthete, aber noch nicht überall er- forſchte länge der flexionsvocale zur gewisheit gebracht, ſo müſte ſich der wahrſcheinlich immer kurze compoſi- tionsvocal noch merklicher unterſcheiden. Iſt N.’s hello- vreiſa eigentliche zuſ. ſetzung (= hella-vreiſa)? oder un- eigentliche hellô-vreiſa?
c) daß der compoſ. vocal mit den ableitenden voca- len i und u nichts gemein habe, obſchon beide auf ſei- nen ausfall einwirken. Seine beſtimmung iſt, das erſte mit dem zweiten worte zu verbinden, für dieſe idee gilt es gleichviel, ob das erſte wort ein einfaches oder abgeleitetes und auf welche art abgeleitetes ſei. In der
*) andere gründe gegen den dativ werden ſich aus der be- deutung ergeben.
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III. ſubſtantiviſche eigentl. compoſition.
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weida, mhd. himel-rîche, vogel-weide, da doch der dat.
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mhd. beide caſus himele, vogele lauten. Erſt das nhd.
himmel-reich ſtimmt zu dem dat. ſg. und gen. pl. him-
mel. Im nhd. haften noch manche flexionsvocale, der
der compoſition fehlt lange ſchon.
β) wenn ihm flexionsvocale in einzelnen dialecten
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rathe zu ziehen, um die verſchiedenheit beider fälle zu
finden; z. b. im mhd. tage-ſtërne kann tage darum nicht
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agſ. widerlegt, wo der dat. däge, das compoſitum däg-
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γ) völlige überzeugung gewährt hierbei die compo-
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n einſchieben, folglich flexionen bekommen, die dem
compoſitionsvocal und deſſen wegfall gar nicht ähnlich
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brunnen, das ahd. hërz-plîdi, ouc-fano zu der von hërza,
ouka, das agſ. hëort-hama zu der von hëorte. Im goth.
würde áuſa-hriggs von áuſô abſtehen.
δ) wäre die vermuthete, aber noch nicht überall er-
forſchte länge der flexionsvocale zur gewisheit gebracht,
ſo müſte ſich der wahrſcheinlich immer kurze compoſi-
tionsvocal noch merklicher unterſcheiden. Iſt N.’s hello-
vreiſa eigentliche zuſ. ſetzung (= hella-vreiſa)? oder un-
eigentliche hellô-vreiſa?
c) daß der compoſ. vocal mit den ableitenden voca-
len i und u nichts gemein habe, obſchon beide auf ſei-
nen ausfall einwirken. Seine beſtimmung iſt, das erſte
mit dem zweiten worte zu verbinden, für dieſe idee
gilt es gleichviel, ob das erſte wort ein einfaches oder
abgeleitetes und auf welche art abgeleitetes ſei. In der
*) andere gründe gegen den dativ werden ſich aus der be-
deutung ergeben.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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