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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. uneigentliche composition.
II. substantivische uneigentliche composition.

(vgl. s. 410.)

Die uneigentliche zusammensetzung ist nie ursprünglich,
vielmehr überall erst aus einem dem zweiten wort un-
mittelbar voranstehenden casus allmählig hervorgegangen
(s. 408. 409.). Liebte die deutsche sprache dieses voraus-
stellen nicht, setzte sie gleich der lat. das abhängige no-
men öfter, gleich der französ. immer nach, so würde es
weit weniger oder gar keine deutsche uneigentliche com-
posita geben. Sie sind ein völliger gegensatz zu den ei-
gentlichen. Diese zeigen keine flexion im ersten wort,
die uneigentlichen zeigen sie immer und nothwendig. Die
eigentlichen gründen sich auf den comp. vocal, der frei-
lich in der spätern zeit verschwindet; die uneigentlichen
können ihn nie, selbst in der ältesten zeit nicht haben.
Die eigentlichen bringen eine allgemeine, vielseitige, neue
bedeutung hervor, die uneigentlichen beruhen auf dem
engen und bestimmten sinn, den die construction enthält,
aus welcher sie erwachsen sind. Gleichwohl insofern das
erste wort nach und nach der construction entzogen wird
und die composition zu stande kommt, kann sich auch
sein begriff einigermaßen verändern und es gibt puncte,
wo eigentliche und uneigentliche zus. setzungen einan-
der nahe treten, wo sie nach zeit und mundart sich ge-
genseitig vertreten.

Im goth. braucht noch höchst selten uneigentliche
zus. setzung angenommen zu werden; im altn. scheint
sie vorzüglich begünstigt; im nhd. ist sie weit gangbarer,
als im mhd. und ahd. Unter allen uneig. comp. sind die
genitivischen die wichtigsten und zahlreichsten. Näheres
ergibt die abhandlung.

Substantiv mit substantiv.

Hier kommen zwei casus in betracht, die ein verhältnis
des ersten worts zum zweiten begründen, der gen. und
der acc. Denn der nom. kann überhaupt nicht von
einem andern subst. abhängen, der dat. nur in wenigen
fällen, wo dem subst. noch die kraft eines adj. oder part.
beiwohnt. Auch die rection des acc. setzt in dem zwei-
ten wort, wenn sie anders statt findet, verbales vermö-
gen voraus; allein die fälle sind häufiger.

I. genitivische zusammensetzung.

Bei Ulf. stehet, wie in dem texte, den er verdeutscht,
der gen. fast immer nach dem fubst., das ihn regiert.

III. ſubſt. uneigentliche compoſition.
II. ſubſtantiviſche uneigentliche compoſition.

(vgl. ſ. 410.)

Die uneigentliche zuſammenſetzung iſt nie urſprünglich,
vielmehr überall erſt aus einem dem zweiten wort un-
mittelbar voranſtehenden caſus allmählig hervorgegangen
(ſ. 408. 409.). Liebte die deutſche ſprache dieſes voraus-
ſtellen nicht, ſetzte ſie gleich der lat. das abhängige no-
men öfter, gleich der franzöſ. immer nach, ſo würde es
weit weniger oder gar keine deutſche uneigentliche com-
poſita geben. Sie ſind ein völliger gegenſatz zu den ei-
gentlichen. Dieſe zeigen keine flexion im erſten wort,
die uneigentlichen zeigen ſie immer und nothwendig. Die
eigentlichen gründen ſich auf den comp. vocal, der frei-
lich in der ſpätern zeit verſchwindet; die uneigentlichen
können ihn nie, ſelbſt in der älteſten zeit nicht haben.
Die eigentlichen bringen eine allgemeine, vielſeitige, neue
bedeutung hervor, die uneigentlichen beruhen auf dem
engen und beſtimmten ſinn, den die conſtruction enthält,
aus welcher ſie erwachſen ſind. Gleichwohl inſofern das
erſte wort nach und nach der conſtruction entzogen wird
und die compoſition zu ſtande kommt, kann ſich auch
ſein begriff einigermaßen verändern und es gibt puncte,
wo eigentliche und uneigentliche zuſ. ſetzungen einan-
der nahe treten, wo ſie nach zeit und mundart ſich ge-
genſeitig vertreten.

Im goth. braucht noch höchſt ſelten uneigentliche
zuſ. ſetzung angenommen zu werden; im altn. ſcheint
ſie vorzüglich begünſtigt; im nhd. iſt ſie weit gangbarer,
als im mhd. und ahd. Unter allen uneig. comp. ſind die
genitiviſchen die wichtigſten und zahlreichſten. Näheres
ergibt die abhandlung.

Subſtantiv mit ſubſtantiv.

Hier kommen zwei caſus in betracht, die ein verhältnis
des erſten worts zum zweiten begründen, der gen. und
der acc. Denn der nom. kann überhaupt nicht von
einem andern ſubſt. abhängen, der dat. nur in wenigen
fällen, wo dem ſubſt. noch die kraft eines adj. oder part.
beiwohnt. Auch die rection des acc. ſetzt in dem zwei-
ten wort, wenn ſie anders ſtatt findet, verbales vermö-
gen voraus; allein die fälle ſind häufiger.

I. genitiviſche zuſammenſetzung.

Bei Ulf. ſtehet, wie in dem texte, den er verdeutſcht,
der gen. faſt immer nach dem fubſt., das ihn regiert.

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[597/0615] III. ſubſt. uneigentliche compoſition. II. ſubſtantiviſche uneigentliche compoſition. (vgl. ſ. 410.) Die uneigentliche zuſammenſetzung iſt nie urſprünglich, vielmehr überall erſt aus einem dem zweiten wort un- mittelbar voranſtehenden caſus allmählig hervorgegangen (ſ. 408. 409.). Liebte die deutſche ſprache dieſes voraus- ſtellen nicht, ſetzte ſie gleich der lat. das abhängige no- men öfter, gleich der franzöſ. immer nach, ſo würde es weit weniger oder gar keine deutſche uneigentliche com- poſita geben. Sie ſind ein völliger gegenſatz zu den ei- gentlichen. Dieſe zeigen keine flexion im erſten wort, die uneigentlichen zeigen ſie immer und nothwendig. Die eigentlichen gründen ſich auf den comp. vocal, der frei- lich in der ſpätern zeit verſchwindet; die uneigentlichen können ihn nie, ſelbſt in der älteſten zeit nicht haben. Die eigentlichen bringen eine allgemeine, vielſeitige, neue bedeutung hervor, die uneigentlichen beruhen auf dem engen und beſtimmten ſinn, den die conſtruction enthält, aus welcher ſie erwachſen ſind. Gleichwohl inſofern das erſte wort nach und nach der conſtruction entzogen wird und die compoſition zu ſtande kommt, kann ſich auch ſein begriff einigermaßen verändern und es gibt puncte, wo eigentliche und uneigentliche zuſ. ſetzungen einan- der nahe treten, wo ſie nach zeit und mundart ſich ge- genſeitig vertreten. Im goth. braucht noch höchſt ſelten uneigentliche zuſ. ſetzung angenommen zu werden; im altn. ſcheint ſie vorzüglich begünſtigt; im nhd. iſt ſie weit gangbarer, als im mhd. und ahd. Unter allen uneig. comp. ſind die genitiviſchen die wichtigſten und zahlreichſten. Näheres ergibt die abhandlung. Subſtantiv mit ſubſtantiv. Hier kommen zwei caſus in betracht, die ein verhältnis des erſten worts zum zweiten begründen, der gen. und der acc. Denn der nom. kann überhaupt nicht von einem andern ſubſt. abhängen, der dat. nur in wenigen fällen, wo dem ſubſt. noch die kraft eines adj. oder part. beiwohnt. Auch die rection des acc. ſetzt in dem zwei- ten wort, wenn ſie anders ſtatt findet, verbales vermö- gen voraus; allein die fälle ſind häufiger. I. genitiviſche zuſammenſetzung. Bei Ulf. ſtehet, wie in dem texte, den er verdeutſcht, der gen. faſt immer nach dem fubſt., das ihn regiert.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/615>, abgerufen am 22.11.2024.