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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.
ahn, ur-bild, ur-quell, ur-anfang etc. g) beraubend, sel-
ten vor subst. (ur-chust, häufig vor adj., die aber zum
theil erst dadurch aus subst. gebildet werden, oft für
schwache substantiva gelten können: us-litha, us-fairina,
us-stiuris (zügellos), ur-herzi, ur-hloßi, ur-seli, ur-sprahhi,
ur-muoti, ur-ougi, ur-sinni, ur-wani, ur-weihi, ur-wicgi,
ur-wiri, or-blede, or-haer, or-mod, or-savle, or-sorg,
or-vena, aur-kynja, ör-magna, ör-qvisi, ör-vita, ör-vaenn;
im mhd. hört dieser privative begriff beinahe auf (vgl.
ur-waere), im nhd. völlig. d) die natürliche bedeutung
der partikel (bewegung aus dem innern) herrscht in: ur-
rists, ur-runs, us-staß, ur-sprinc, ur-guse, ur-riuto, ur-
ganc und endlich e) eine gewisse abstraction dieser bedeu-
tung in: ur-chundi, ur-chumft, ur-druß, ur-heiß, ur-
suoh, ur-loup, ur-bor. 4) die verschiedenheiten erläu-
tern sich folgendergestalt. In g und d gilt das nämliche
aus aber in g bezieht es sich auf das zweite wort, nicht
in d; anders gesaßt: in g ist das zweite wort der begriff,
aus dem die bewegung erfolgt, dessen sich entäußert
wird, in d ist das zweite wort das sich bewegende (z. b.
ursprung, das aus dem fels springende, us-staß das aus
dem tod erstehen). Daher können bei d verba parallel
laufen (ur-rinnan, ur-springan, ur-reisan, us-standan),
nicht bei g, aber in den verbis wird der sinn schneller
abstract und die form der partikel veränderlich (daher
z. b. ahd. ar-springan, ar-rinnan, nhd. er-stehen). Die
fälle a und b liegen dem d wiederum ganz nahe, ihr ur-
deutet das ausgehen und beginnen an, nur stärker und
frischer als bei d, da ihnen keine verba zur seite stehen,
wenigstens den meisten nicht. Doch könnte man ur-hap,
ur-heber mit dem verwandten er-heben, ur-alt mit er-
alten zus. stellen und umgekehrt dem ur- in ur-sprung
denselben sinn einräumen, der ihm in ur-bild zusteht.
5) us- ist eigentlich einerlei mit ar-, ir-, er- (die in der
composition mit nominibus nicht erscheinen) und mit
a- (s. 704-707.), welches im ags. bloß verba, im ahd.
aber auch nomina vor sich haben. Dieses ahd. a- stehet
nur privativ, trifft also mit der bedeutung g von ur-
zusammen. In der regel bekommen die ahd, subst. a-, die
adj. ur-, ausnahmsweise adj. a- (a-herzer, a-riup, a-teilo)
und subst. ur- (ur-chust, geschwächt ar-chust). Daher
z. b. a-herzer, a-wiegi mit ur-herzer, ur-wicgi gleichviel
find, man miiste denn die letztern für etwas stärker hal-
ten, weil ihre partikelform lebendiger, ungeschwächter ist.
6) die bedeutungen des ur- berühren sich mit dem po-

III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
ahn, ur-bild, ur-quell, ur-anfang etc. γ) beraubend, ſel-
ten vor ſubſt. (ur-chuſt, häufig vor adj., die aber zum
theil erſt dadurch aus ſubſt. gebildet werden, oft für
ſchwache ſubſtantiva gelten können: us-liþa, us-faírina,
us-ſtiuris (zügellos), ur-hërzi, ur-hloƷi, ur-ſêli, ur-ſprâhhi,
ur-muoti, ur-ougi, ur-ſinni, ur-wâni, ur-wîhi, ur-wicgi,
ur-wiri, or-blêde, or-hær, or-môd, or-ſâvle, or-ſorg,
or-vêna, ûr-kynja, ör-magna, ör-qviſi, ör-vita, ör-vænn;
im mhd. hört dieſer privative begriff beinahe auf (vgl.
ur-wære), im nhd. völlig. δ) die natürliche bedeutung
der partikel (bewegung aus dem innern) herrſcht in: ur-
riſts, ur-runs, us-ſtaß, ur-ſprinc, ur-guſe, ur-riuto, ur-
ganc und endlich ε) eine gewiſſe abſtraction dieſer bedeu-
tung in: ur-chundi, ur-chumft, ur-druƷ, ur-heiƷ, ur-
ſuoh, ur-loup, ur-bor. 4) die verſchiedenheiten erläu-
tern ſich folgendergeſtalt. In γ und δ gilt das nämliche
aus aber in γ bezieht es ſich auf das zweite wort, nicht
in δ; anders geſaßt: in γ iſt das zweite wort der begriff,
aus dem die bewegung erfolgt, deſſen ſich entäußert
wird, in δ iſt das zweite wort das ſich bewegende (z. b.
urſprung, das aus dem fels ſpringende, us-ſtaß das aus
dem tod erſtehen). Daher können bei δ verba parallel
laufen (ur-rinnan, ur-ſpringan, ur-reiſan, us-ſtandan),
nicht bei γ, aber in den verbis wird der ſinn ſchneller
abſtract und die form der partikel veränderlich (daher
z. b. ahd. ar-ſpringan, ar-rinnan, nhd. er-ſtehen). Die
fälle α und β liegen dem δ wiederum ganz nahe, ihr ur-
deutet das ausgehen und beginnen an, nur ſtärker und
friſcher als bei δ, da ihnen keine verba zur ſeite ſtehen,
wenigſtens den meiſten nicht. Doch könnte man ur-hap,
ur-heber mit dem verwandten er-heben, ur-alt mit er-
alten zuſ. ſtellen und umgekehrt dem ur- in ur-ſprung
denſelben ſinn einräumen, der ihm in ur-bild zuſteht.
5) us- iſt eigentlich einerlei mit ar-, ir-, ër- (die in der
compoſition mit nominibus nicht erſcheinen) und mit
â- (ſ. 704-707.), welches im agſ. bloß verba, im ahd.
aber auch nomina vor ſich haben. Dieſes ahd. â- ſtehet
nur privativ, trifft alſo mit der bedeutung γ von ur-
zuſammen. In der regel bekommen die ahd, ſubſt. â-, die
adj. ur-, ausnahmsweiſe adj. â- (â-hërzêr, â-riup, â-teilo)
und ſubſt. ur- (ur-chuſt, geſchwächt ar-chuſt). Daher
z. b. â-hërzêr, â-wiegi mit ur-hërzêr, ur-wicgi gleichviel
find, man miiſte denn die letztern für etwas ſtärker hal-
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6) die bedeutungen des ur- berühren ſich mit dem po-

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[791/0809] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. ahn, ur-bild, ur-quell, ur-anfang etc. γ) beraubend, ſel- ten vor ſubſt. (ur-chuſt, häufig vor adj., die aber zum theil erſt dadurch aus ſubſt. gebildet werden, oft für ſchwache ſubſtantiva gelten können: us-liþa, us-faírina, us-ſtiuris (zügellos), ur-hërzi, ur-hloƷi, ur-ſêli, ur-ſprâhhi, ur-muoti, ur-ougi, ur-ſinni, ur-wâni, ur-wîhi, ur-wicgi, ur-wiri, or-blêde, or-hær, or-môd, or-ſâvle, or-ſorg, or-vêna, ûr-kynja, ör-magna, ör-qviſi, ör-vita, ör-vænn; im mhd. hört dieſer privative begriff beinahe auf (vgl. ur-wære), im nhd. völlig. δ) die natürliche bedeutung der partikel (bewegung aus dem innern) herrſcht in: ur- riſts, ur-runs, us-ſtaß, ur-ſprinc, ur-guſe, ur-riuto, ur- ganc und endlich ε) eine gewiſſe abſtraction dieſer bedeu- tung in: ur-chundi, ur-chumft, ur-druƷ, ur-heiƷ, ur- ſuoh, ur-loup, ur-bor. 4) die verſchiedenheiten erläu- tern ſich folgendergeſtalt. In γ und δ gilt das nämliche aus aber in γ bezieht es ſich auf das zweite wort, nicht in δ; anders geſaßt: in γ iſt das zweite wort der begriff, aus dem die bewegung erfolgt, deſſen ſich entäußert wird, in δ iſt das zweite wort das ſich bewegende (z. b. urſprung, das aus dem fels ſpringende, us-ſtaß das aus dem tod erſtehen). Daher können bei δ verba parallel laufen (ur-rinnan, ur-ſpringan, ur-reiſan, us-ſtandan), nicht bei γ, aber in den verbis wird der ſinn ſchneller abſtract und die form der partikel veränderlich (daher z. b. ahd. ar-ſpringan, ar-rinnan, nhd. er-ſtehen). Die fälle α und β liegen dem δ wiederum ganz nahe, ihr ur- deutet das ausgehen und beginnen an, nur ſtärker und friſcher als bei δ, da ihnen keine verba zur ſeite ſtehen, wenigſtens den meiſten nicht. Doch könnte man ur-hap, ur-heber mit dem verwandten er-heben, ur-alt mit er- alten zuſ. ſtellen und umgekehrt dem ur- in ur-ſprung denſelben ſinn einräumen, der ihm in ur-bild zuſteht. 5) us- iſt eigentlich einerlei mit ar-, ir-, ër- (die in der compoſition mit nominibus nicht erſcheinen) und mit â- (ſ. 704-707.), welches im agſ. bloß verba, im ahd. aber auch nomina vor ſich haben. Dieſes ahd. â- ſtehet nur privativ, trifft alſo mit der bedeutung γ von ur- zuſammen. In der regel bekommen die ahd, ſubſt. â-, die adj. ur-, ausnahmsweiſe adj. â- (â-hërzêr, â-riup, â-teilo) und ſubſt. ur- (ur-chuſt, geſchwächt ar-chuſt). Daher z. b. â-hërzêr, â-wiegi mit ur-hërzêr, ur-wicgi gleichviel find, man miiſte denn die letztern für etwas ſtärker hal- ten, weil ihre partikelform lebendiger, ungeſchwächter iſt. 6) die bedeutungen des ur- berühren ſich mit dem po-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 791. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/809>, abgerufen am 22.11.2024.