Mehrfache zusammensetzung ist vorhanden, wenn über zwei wörter miteinander verbunden sind. Der gewöhn- liche fall ist die composition von dreien; die von vieren ist nicht zahlreich, die von fünfen gehört zu den selten- heiten.
I. drei wörter zusammengesetzt. Die doppelte com- position geschieht kaum zu gleicher zeit, sondern es sind schon zwei wörter früher miteinander verbunden, denen sich hernach das dritte beigesellt. Bloß von einigen be- schreibenden farbenzusammenstellungen, z. b. die roth- blau-weiße cocarde ließe sich sagen, daß sie auf einmahl gebildet seien; es ist aber auch mehr apposition, als com- position. In der regel tritt nun entw. ein einfaches wort zu einem composito (gold-bergwerk, zell-gewebe) oder ein compositum zum einfachen (erdbeer-strauch, gewinn- sucht). Mit hinsicht auf die zusammensetzungsweise selbst find entw. beide compositionen eigentlich (feder-meßer- stiel) oder beide uneigentlich (bundes-tags-sitzung) oder die eine eigentlich, die andere uneigentlich (kuh-pocken- impfung).
1) decomposita, beidemahl eigentlich; hier liegt der bindungsvocal zweimahl zu grunde und müste in der äl- testen sprache zweimahl erscheinen, etwa in hova-bota- scaf, hova-taga-dinc, allein diese beispiele sind erfunden, ich weiß keine zu belegen. Die goth. sprache liefert überhaupt kein solches decompositum und die ahd. wenige.
a) simplex und compositum: ahd. poum-werah-mei- star (abietarius) mons. 321. eigentlich faber lignarius, vgl. werc-meistar (faber) T. 78. trev. 42b; mhd. kar-frei-tac Parc. 108c; nhd. gold-berg-werk, kirsch-lor-beer, hof-silber- schmid, hof-mar-schall, hof-küchen-meister, stadt-vieh-hirt, stadt-bau-meister, rhein-schif-fahrt; hierher auch die adj. verstärkungen wie funkel-nagel-neu, splitter-fasel-nackt etc.
b) compositum und simplex; dieser gibt es weit meh- rere: ahd. e-wart-tuam (sacerdotium) K. 55b; heri-ginoß- scaf (contubernium); puoh-stap-zeila (chirographum) hrab. 965b; wei-rouh-faß mons. 331; suoß-stanch-perg (liba- nus) N. 91, 13; sito-vang-irre (schismaticus) N. 22, 4; manac-falt-leih, gota-chund-leih (divinus), kipaur-scaf-leih (domesticus) ker. 48. und ähnliche adj. Mhd. kran-wit- staude (juniperus) Rud. weltchr.; blei-erz-berc Frib. Trist. Nhd. heidel-beer-staude; holz-apfel-baum, kern-obst-baum,
III. decompoſita.
§. 5. Decompoſita (ſ. 410.).
Mehrfache zuſammenſetzung iſt vorhanden, wenn über zwei wörter miteinander verbunden ſind. Der gewöhn- liche fall iſt die compoſition von dreien; die von vieren iſt nicht zahlreich, die von fünfen gehört zu den ſelten- heiten.
I. drei wörter zuſammengeſetzt. Die doppelte com- poſition geſchieht kaum zu gleicher zeit, ſondern es ſind ſchon zwei wörter früher miteinander verbunden, denen ſich hernach das dritte beigeſellt. Bloß von einigen be- ſchreibenden farbenzuſammenſtellungen, z. b. die roth- blau-weiße cocarde ließe ſich ſagen, daß ſie auf einmahl gebildet ſeien; es iſt aber auch mehr appoſition, als com- poſition. In der regel tritt nun entw. ein einfaches wort zu einem compoſito (gold-bergwerk, zell-gewebe) oder ein compoſitum zum einfachen (erdbeer-ſtrauch, gewinn- ſucht). Mit hinſicht auf die zuſammenſetzungsweiſe ſelbſt find entw. beide compoſitionen eigentlich (feder-meßer- ſtiel) oder beide uneigentlich (bundes-tags-ſitzung) oder die eine eigentlich, die andere uneigentlich (kuh-pocken- impfung).
1) decompoſita, beidemahl eigentlich; hier liegt der bindungsvocal zweimahl zu grunde und müſte in der äl- teſten ſprache zweimahl erſcheinen, etwa in hova-bota- ſcaf, hova-taga-dinc, allein dieſe beiſpiele ſind erfunden, ich weiß keine zu belegen. Die goth. ſprache liefert überhaupt kein ſolches decompoſitum und die ahd. wenige.
α) ſimplex und compoſitum: ahd. poum-wërah-mei- ſtar (abietarius) monſ. 321. eigentlich faber lignarius, vgl. wërc-meiſtar (faber) T. 78. trev. 42b; mhd. kar-frî-tac Parc. 108c; nhd. gold-berg-werk, kirſch-lor-beer, hof-ſilber- ſchmid, hof-mar-ſchall, hof-küchen-meiſter, ſtadt-vieh-hirt, ſtadt-bau-meiſter, rhein-ſchif-fahrt; hierher auch die adj. verſtärkungen wie funkel-nagel-neu, ſplitter-faſel-nackt etc.
β) compoſitum und ſimplex; dieſer gibt es weit meh- rere: ahd. ê-wart-tuam (ſacerdotium) K. 55b; heri-ginôƷ- ſcaf (contubernium); puoh-ſtap-zîla (chirographum) hrab. 965b; wî-rouh-faƷ monſ. 331; ſuoƷ-ſtanch-përg (liba- nus) N. 91, 13; ſito-vang-irre (ſchiſmaticus) N. 22, 4; manac-falt-lîh, gota-chund-lîh (divinus), kipûr-ſcaf-lîh (domeſticus) ker. 48. und ähnliche adj. Mhd. krân-wit- ſtûde (juniperus) Rud. weltchr.; blî-ërz-bërc Frib. Triſt. Nhd. heidel-beer-ſtaude; holz-apfel-baum, kern-obſt-baum,
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zwei wörter miteinander verbunden ſind. Der gewöhn-
liche fall iſt die compoſition von dreien; die von vieren
iſt nicht zahlreich, die von fünfen gehört zu den ſelten-
heiten.
I. drei wörter zuſammengeſetzt. Die doppelte com-
poſition geſchieht kaum zu gleicher zeit, ſondern es ſind
ſchon zwei wörter früher miteinander verbunden, denen
ſich hernach das dritte beigeſellt. Bloß von einigen be-
ſchreibenden farbenzuſammenſtellungen, z. b. die roth-
blau-weiße cocarde ließe ſich ſagen, daß ſie auf einmahl
gebildet ſeien; es iſt aber auch mehr appoſition, als com-
poſition. In der regel tritt nun entw. ein einfaches wort
zu einem compoſito (gold-bergwerk, zell-gewebe) oder
ein compoſitum zum einfachen (erdbeer-ſtrauch, gewinn-
ſucht). Mit hinſicht auf die zuſammenſetzungsweiſe ſelbſt
find entw. beide compoſitionen eigentlich (feder-meßer-
ſtiel) oder beide uneigentlich (bundes-tags-ſitzung) oder
die eine eigentlich, die andere uneigentlich (kuh-pocken-
impfung).
1) decompoſita, beidemahl eigentlich; hier liegt der
bindungsvocal zweimahl zu grunde und müſte in der äl-
teſten ſprache zweimahl erſcheinen, etwa in hova-bota-
ſcaf, hova-taga-dinc, allein dieſe beiſpiele ſind erfunden,
ich weiß keine zu belegen. Die goth. ſprache liefert
überhaupt kein ſolches decompoſitum und die ahd.
wenige.
α) ſimplex und compoſitum: ahd. poum-wërah-mei-
ſtar (abietarius) monſ. 321. eigentlich faber lignarius, vgl.
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108c; nhd. gold-berg-werk, kirſch-lor-beer, hof-ſilber-
ſchmid, hof-mar-ſchall, hof-küchen-meiſter, ſtadt-vieh-hirt,
ſtadt-bau-meiſter, rhein-ſchif-fahrt; hierher auch die adj.
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β) compoſitum und ſimplex; dieſer gibt es weit meh-
rere: ahd. ê-wart-tuam (ſacerdotium) K. 55b; heri-ginôƷ-
ſcaf (contubernium); puoh-ſtap-zîla (chirographum) hrab.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 924. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/942>, abgerufen am 22.11.2024.
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