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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihre schlanke Gestalt schritt so sicher dahin, nicht mehr wie ein Nymphchen, das durch die Baumstämme schlüpft und nur die Grashalme mit den Fußspitzen streift, sondern jetzt in festem Gange, und jede Falte ihres Kleides war ein Theil ihrer Schönheit.

Er führte sie an seinem Arme das Forum hinunter. Die gefangenen Könige fielen ihm ein, als er durch die Triumphbögen schritt, es kam ihm eine Ahnung von dem, was sie empfanden, als sie gefesselt dem Wagen dessen folgten, der sie besiegt. Kalt sah er die Tempel und Bildsäulen am Wege stehen. Was waren sie ihm, die er mit Enthusiasmus zuerst, mit Ehrfurcht später betrachtet hatte! Steine waren es, die nichts von ihm wußten; mochten rohe Menschen an ihnen hämmern und kratzen, kein Gedanke wäre ihm aufgestiegen, es ihnen zu wehren.

Nun traten sie in die weitausgedehnten Ringmauern, in deren Mitte einst auf Leben und Tod gekämpft worden war. Jahrhunderte hatten den Platz von Mord gereinigt und seine Pracht herabgerissen. Von den hohen Pfeilern, die sich düster gewaltig über einander aufthürmten, wallte der stille Epheu hernieder, zarte Farrenkräuter sproßten aus ihren Ritzen, Rosen und Feigen wurzelten auf ihren Vorsprüngen, friedliches Dunkel lag in den Vertiefungen, nur die Vögel flatterten da umher, und die Sonne streckte ihre Hand weit aus und milde über die Trümmer.

Die Beiden gingen da einsam, es war Niemand

ihre schlanke Gestalt schritt so sicher dahin, nicht mehr wie ein Nymphchen, das durch die Baumstämme schlüpft und nur die Grashalme mit den Fußspitzen streift, sondern jetzt in festem Gange, und jede Falte ihres Kleides war ein Theil ihrer Schönheit.

Er führte sie an seinem Arme das Forum hinunter. Die gefangenen Könige fielen ihm ein, als er durch die Triumphbögen schritt, es kam ihm eine Ahnung von dem, was sie empfanden, als sie gefesselt dem Wagen dessen folgten, der sie besiegt. Kalt sah er die Tempel und Bildsäulen am Wege stehen. Was waren sie ihm, die er mit Enthusiasmus zuerst, mit Ehrfurcht später betrachtet hatte! Steine waren es, die nichts von ihm wußten; mochten rohe Menschen an ihnen hämmern und kratzen, kein Gedanke wäre ihm aufgestiegen, es ihnen zu wehren.

Nun traten sie in die weitausgedehnten Ringmauern, in deren Mitte einst auf Leben und Tod gekämpft worden war. Jahrhunderte hatten den Platz von Mord gereinigt und seine Pracht herabgerissen. Von den hohen Pfeilern, die sich düster gewaltig über einander aufthürmten, wallte der stille Epheu hernieder, zarte Farrenkräuter sproßten aus ihren Ritzen, Rosen und Feigen wurzelten auf ihren Vorsprüngen, friedliches Dunkel lag in den Vertiefungen, nur die Vögel flatterten da umher, und die Sonne streckte ihre Hand weit aus und milde über die Trümmer.

Die Beiden gingen da einsam, es war Niemand

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[0071] ihre schlanke Gestalt schritt so sicher dahin, nicht mehr wie ein Nymphchen, das durch die Baumstämme schlüpft und nur die Grashalme mit den Fußspitzen streift, sondern jetzt in festem Gange, und jede Falte ihres Kleides war ein Theil ihrer Schönheit. Er führte sie an seinem Arme das Forum hinunter. Die gefangenen Könige fielen ihm ein, als er durch die Triumphbögen schritt, es kam ihm eine Ahnung von dem, was sie empfanden, als sie gefesselt dem Wagen dessen folgten, der sie besiegt. Kalt sah er die Tempel und Bildsäulen am Wege stehen. Was waren sie ihm, die er mit Enthusiasmus zuerst, mit Ehrfurcht später betrachtet hatte! Steine waren es, die nichts von ihm wußten; mochten rohe Menschen an ihnen hämmern und kratzen, kein Gedanke wäre ihm aufgestiegen, es ihnen zu wehren. Nun traten sie in die weitausgedehnten Ringmauern, in deren Mitte einst auf Leben und Tod gekämpft worden war. Jahrhunderte hatten den Platz von Mord gereinigt und seine Pracht herabgerissen. Von den hohen Pfeilern, die sich düster gewaltig über einander aufthürmten, wallte der stille Epheu hernieder, zarte Farrenkräuter sproßten aus ihren Ritzen, Rosen und Feigen wurzelten auf ihren Vorsprüngen, friedliches Dunkel lag in den Vertiefungen, nur die Vögel flatterten da umher, und die Sonne streckte ihre Hand weit aus und milde über die Trümmer. Die Beiden gingen da einsam, es war Niemand

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/71>, abgerufen am 19.05.2024.