Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.im Stande ist und in seinen Koffern eine Menge überaus merkwürdiger Seltenheiten, die zuweilen fein und seltsam parfümirt sind, mit sich führt, denen gegenüber freilich kein gewöhnlicher Dieb, wohl aber ein Sammler von Kuriositäten in die bedenklichsten Gelüste verfallen könnte. Doch seine Freigebigkeit wäre dem sicherlich zuvorgekommen; er verschenkte nach rechts und links, und seine Schätze blieben trotzdem unerschöpflich wie sein Gedächtniß, seine Skizzenbücher und seine Liebenswürdigkeit. An diesen drei Eigenschaften zehrte man auf dem Gute nun bereits länger als vierzehn Tage. Die praktische Therese ließ sich die indischen Hütteneinrichtungen bis auf den Nagel an der Wand expliciren; Emma, das gute Kind, führte stets die verschiedenartigsten verzuckerten ausländischen Früchte in der Tasche mit herum und hing sich auf den Spaziergängen vergnügt in den Arm des Freundes von Papa, den sie zuerst ohne Umstände Onkel an geredet und geduzt haben würde, wenn nicht Theresens Vernunft diese beiden Zutraulichkeiten gleich im Keime erstickt hätte. Man langte zu Hause an. Man hatte Thee getrunken und sich müde gesprochen. Auf dem Lande sind baldige Trennungen immer angenehm; Herr von R-- packte seine chinesischen Malereien auf Reispapier zusammen, die Mädchen huschten fort, und Papa ging in seine Stube, in der alles Mögliche an den Wänden im Stande ist und in seinen Koffern eine Menge überaus merkwürdiger Seltenheiten, die zuweilen fein und seltsam parfümirt sind, mit sich führt, denen gegenüber freilich kein gewöhnlicher Dieb, wohl aber ein Sammler von Kuriositäten in die bedenklichsten Gelüste verfallen könnte. Doch seine Freigebigkeit wäre dem sicherlich zuvorgekommen; er verschenkte nach rechts und links, und seine Schätze blieben trotzdem unerschöpflich wie sein Gedächtniß, seine Skizzenbücher und seine Liebenswürdigkeit. An diesen drei Eigenschaften zehrte man auf dem Gute nun bereits länger als vierzehn Tage. Die praktische Therese ließ sich die indischen Hütteneinrichtungen bis auf den Nagel an der Wand expliciren; Emma, das gute Kind, führte stets die verschiedenartigsten verzuckerten ausländischen Früchte in der Tasche mit herum und hing sich auf den Spaziergängen vergnügt in den Arm des Freundes von Papa, den sie zuerst ohne Umstände Onkel an geredet und geduzt haben würde, wenn nicht Theresens Vernunft diese beiden Zutraulichkeiten gleich im Keime erstickt hätte. Man langte zu Hause an. Man hatte Thee getrunken und sich müde gesprochen. Auf dem Lande sind baldige Trennungen immer angenehm; Herr von R— packte seine chinesischen Malereien auf Reispapier zusammen, die Mädchen huschten fort, und Papa ging in seine Stube, in der alles Mögliche an den Wänden <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0009"/> im Stande ist und in seinen Koffern eine Menge überaus merkwürdiger Seltenheiten, die zuweilen fein und seltsam parfümirt sind, mit sich führt, denen gegenüber freilich kein gewöhnlicher Dieb, wohl aber ein Sammler von Kuriositäten in die bedenklichsten Gelüste verfallen könnte. Doch seine Freigebigkeit wäre dem sicherlich zuvorgekommen; er verschenkte nach rechts und links, und seine Schätze blieben trotzdem unerschöpflich wie sein Gedächtniß, seine Skizzenbücher und seine Liebenswürdigkeit.</p><lb/> <p>An diesen drei Eigenschaften zehrte man auf dem Gute nun bereits länger als vierzehn Tage. Die praktische Therese ließ sich die indischen Hütteneinrichtungen bis auf den Nagel an der Wand expliciren; Emma, das gute Kind, führte stets die verschiedenartigsten verzuckerten ausländischen Früchte in der Tasche mit herum und hing sich auf den Spaziergängen vergnügt in den Arm des Freundes von Papa, den sie zuerst ohne Umstände Onkel an geredet und geduzt haben würde, wenn nicht Theresens Vernunft diese beiden Zutraulichkeiten gleich im Keime erstickt hätte.</p><lb/> <p>Man langte zu Hause an. Man hatte Thee getrunken und sich müde gesprochen. Auf dem Lande sind baldige Trennungen immer angenehm; Herr von R— packte seine chinesischen Malereien auf Reispapier zusammen, die Mädchen huschten fort, und Papa ging in seine Stube, in der alles Mögliche an den Wänden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
im Stande ist und in seinen Koffern eine Menge überaus merkwürdiger Seltenheiten, die zuweilen fein und seltsam parfümirt sind, mit sich führt, denen gegenüber freilich kein gewöhnlicher Dieb, wohl aber ein Sammler von Kuriositäten in die bedenklichsten Gelüste verfallen könnte. Doch seine Freigebigkeit wäre dem sicherlich zuvorgekommen; er verschenkte nach rechts und links, und seine Schätze blieben trotzdem unerschöpflich wie sein Gedächtniß, seine Skizzenbücher und seine Liebenswürdigkeit.
An diesen drei Eigenschaften zehrte man auf dem Gute nun bereits länger als vierzehn Tage. Die praktische Therese ließ sich die indischen Hütteneinrichtungen bis auf den Nagel an der Wand expliciren; Emma, das gute Kind, führte stets die verschiedenartigsten verzuckerten ausländischen Früchte in der Tasche mit herum und hing sich auf den Spaziergängen vergnügt in den Arm des Freundes von Papa, den sie zuerst ohne Umstände Onkel an geredet und geduzt haben würde, wenn nicht Theresens Vernunft diese beiden Zutraulichkeiten gleich im Keime erstickt hätte.
Man langte zu Hause an. Man hatte Thee getrunken und sich müde gesprochen. Auf dem Lande sind baldige Trennungen immer angenehm; Herr von R— packte seine chinesischen Malereien auf Reispapier zusammen, die Mädchen huschten fort, und Papa ging in seine Stube, in der alles Mögliche an den Wänden
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