Aschenputtel die Linsen rein gelesen, waren sie böse, denn sie wollten es gern schelten, und da sie das nicht konnten, huben sie an von dem Ball zu erzählen und sagten: "Aschenputtel, das ist eine Lust gewesen, bei dem Tanz, der Prinz, der allerschönste auf der Welt hat uns dazu geführt, und eine von uns wird seine Ge- mahlin werden." -- "Ja, sagte Aschenputtel, ich habe die Lichter flimmern sehen, das mag recht prächtig gewesen seyn." -- "Ei! wie hast du das angefangen," fragte die älteste. -- "Ich hab' oben auf den Taubenstall gestan- den." -- Wie sie das hörte, trieb sie der Neid und sie befahl, daß der Taubenstall gleich sollte niedergerissen werden.
Aschenputtel aber mußte sie wieder käm- men und putzen; da sagte die jüngste, die noch ein wenig Mitleid im Herzen hatte: "Aschen- puttel, wenns dunkel ist, kannst du hinzugehen und von außen durch die Fenster gucken!" -- "Nein, sagte die älteste, das macht sie nur faul, da hast du einen Sack voll Wicken, Aschenputtel, da lese die guten und bösen aus- einander und sey fleißig, und wenn du sie mor- gen nicht rein hast, so schütte ich dir sie in die Asche und du mußt hungern, bis du sie alle herausgesucht hast."
Aschenputtel setzte sich betrübt auf den Heerd und schüttete die Wicken aus. Da flogen
Aſchenputtel die Linſen rein geleſen, waren ſie boͤſe, denn ſie wollten es gern ſchelten, und da ſie das nicht konnten, huben ſie an von dem Ball zu erzaͤhlen und ſagten: „Aſchenputtel, das iſt eine Luſt geweſen, bei dem Tanz, der Prinz, der allerſchoͤnſte auf der Welt hat uns dazu gefuͤhrt, und eine von uns wird ſeine Ge- mahlin werden.“ — „Ja, ſagte Aſchenputtel, ich habe die Lichter flimmern ſehen, das mag recht praͤchtig geweſen ſeyn.“ — „Ei! wie haſt du das angefangen,“ fragte die aͤlteſte. — „Ich hab' oben auf den Taubenſtall geſtan- den.“ — Wie ſie das hoͤrte, trieb ſie der Neid und ſie befahl, daß der Taubenſtall gleich ſollte niedergeriſſen werden.
Aſchenputtel aber mußte ſie wieder kaͤm- men und putzen; da ſagte die juͤngſte, die noch ein wenig Mitleid im Herzen hatte: „Aſchen- puttel, wenns dunkel iſt, kannſt du hinzugehen und von außen durch die Fenſter gucken!“ — „Nein, ſagte die aͤlteſte, das macht ſie nur faul, da haſt du einen Sack voll Wicken, Aſchenputtel, da leſe die guten und boͤſen aus- einander und ſey fleißig, und wenn du ſie mor- gen nicht rein haſt, ſo ſchuͤtte ich dir ſie in die Aſche und du mußt hungern, bis du ſie alle herausgeſucht haſt.“
Aſchenputtel ſetzte ſich betruͤbt auf den Heerd und ſchuͤttete die Wicken aus. Da flogen
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Aſchenputtel die Linſen rein geleſen, waren ſie
boͤſe, denn ſie wollten es gern ſchelten, und da
ſie das nicht konnten, huben ſie an von dem
Ball zu erzaͤhlen und ſagten: „Aſchenputtel,
das iſt eine Luſt geweſen, bei dem Tanz, der
Prinz, der allerſchoͤnſte auf der Welt hat uns
dazu gefuͤhrt, und eine von uns wird ſeine Ge-
mahlin werden.“ — „Ja, ſagte Aſchenputtel,
ich habe die Lichter flimmern ſehen, das mag
recht praͤchtig geweſen ſeyn.“ — „Ei! wie haſt
du das angefangen,“ fragte die aͤlteſte. —
„Ich hab' oben auf den Taubenſtall geſtan-
den.“ — Wie ſie das hoͤrte, trieb ſie der Neid
und ſie befahl, daß der Taubenſtall gleich ſollte
niedergeriſſen werden.
Aſchenputtel aber mußte ſie wieder kaͤm-
men und putzen; da ſagte die juͤngſte, die noch
ein wenig Mitleid im Herzen hatte: „Aſchen-
puttel, wenns dunkel iſt, kannſt du hinzugehen
und von außen durch die Fenſter gucken!“ —
„Nein, ſagte die aͤlteſte, das macht ſie nur
faul, da haſt du einen Sack voll Wicken,
Aſchenputtel, da leſe die guten und boͤſen aus-
einander und ſey fleißig, und wenn du ſie mor-
gen nicht rein haſt, ſo ſchuͤtte ich dir ſie in die
Aſche und du mußt hungern, bis du ſie alle
herausgeſucht haſt.“
Aſchenputtel ſetzte ſich betruͤbt auf den
Heerd und ſchuͤttete die Wicken aus. Da flogen
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/126>, abgerufen am 21.11.2024.
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