und so übt diese Poesie schon Rechte, wor- nach die spätere nur in Gleichnissen strebt. Diese unschuldige Vertraulichkeit des größ- ten und kleinsten hat eine unbeschreibliche Lieblichkeit in sich, und wir mögten lieber dem Gespräch der Sterne mit einem armen verlassenen Kind im Wald, als dem Klang der Sphären zuhören. Alles schöne ist gol- den und mit Perlen bestreut, selbst goldne Menschen leben hier, das Unglück aber eine finstere Gewalt, ein ungeheurer menschenfres- sender Riese, der doch wieder besiegt wird, da eine gute Frau zur Seite steht, welche die Noth glücklich abzuwenden weiß, und dieses Epos endigt immer, indem es eine endlose Freude aufthut. Das Böse auch ist kein kleines, nahstehendes und das schlech- teste, weil man sich daran gewöhnen könnte, sondern etwas entsetzliches, schwarzes, streng geschiedenes, dem man sich nicht nähern darf; eben so furchtbar die Strafe desselben: Schlangen und giftige Würmer verzehren ihr Opfer, oder in glühenden Eisenschuhen muß es sich zu todt tanzen. Vieles trägt auch eine eigene Bedeutung in sich: die Mutter wird ihr rechtes Kind in dem Augenblick
und ſo uͤbt dieſe Poeſie ſchon Rechte, wor- nach die ſpaͤtere nur in Gleichniſſen ſtrebt. Dieſe unſchuldige Vertraulichkeit des groͤß- ten und kleinſten hat eine unbeſchreibliche Lieblichkeit in ſich, und wir moͤgten lieber dem Geſpraͤch der Sterne mit einem armen verlaſſenen Kind im Wald, als dem Klang der Sphaͤren zuhoͤren. Alles ſchoͤne iſt gol- den und mit Perlen beſtreut, ſelbſt goldne Menſchen leben hier, das Ungluͤck aber eine finſtere Gewalt, ein ungeheurer menſchenfreſ- ſender Rieſe, der doch wieder beſiegt wird, da eine gute Frau zur Seite ſteht, welche die Noth gluͤcklich abzuwenden weiß, und dieſes Epos endigt immer, indem es eine endloſe Freude aufthut. Das Boͤſe auch iſt kein kleines, nahſtehendes und das ſchlech- teſte, weil man ſich daran gewoͤhnen koͤnnte, ſondern etwas entſetzliches, ſchwarzes, ſtreng geſchiedenes, dem man ſich nicht naͤhern darf; eben ſo furchtbar die Strafe deſſelben: Schlangen und giftige Wuͤrmer verzehren ihr Opfer, oder in gluͤhenden Eiſenſchuhen muß es ſich zu todt tanzen. Vieles traͤgt auch eine eigene Bedeutung in ſich: die Mutter wird ihr rechtes Kind in dem Augenblick
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[XI/0017]
und ſo uͤbt dieſe Poeſie ſchon Rechte, wor-
nach die ſpaͤtere nur in Gleichniſſen ſtrebt.
Dieſe unſchuldige Vertraulichkeit des groͤß-
ten und kleinſten hat eine unbeſchreibliche
Lieblichkeit in ſich, und wir moͤgten lieber
dem Geſpraͤch der Sterne mit einem armen
verlaſſenen Kind im Wald, als dem Klang
der Sphaͤren zuhoͤren. Alles ſchoͤne iſt gol-
den und mit Perlen beſtreut, ſelbſt goldne
Menſchen leben hier, das Ungluͤck aber eine
finſtere Gewalt, ein ungeheurer menſchenfreſ-
ſender Rieſe, der doch wieder beſiegt wird,
da eine gute Frau zur Seite ſteht, welche
die Noth gluͤcklich abzuwenden weiß, und
dieſes Epos endigt immer, indem es eine
endloſe Freude aufthut. Das Boͤſe auch iſt
kein kleines, nahſtehendes und das ſchlech-
teſte, weil man ſich daran gewoͤhnen koͤnnte,
ſondern etwas entſetzliches, ſchwarzes, ſtreng
geſchiedenes, dem man ſich nicht naͤhern
darf; eben ſo furchtbar die Strafe deſſelben:
Schlangen und giftige Wuͤrmer verzehren ihr
Opfer, oder in gluͤhenden Eiſenſchuhen muß
es ſich zu todt tanzen. Vieles traͤgt auch
eine eigene Bedeutung in ſich: die Mutter
wird ihr rechtes Kind in dem Augenblick
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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