ihm eine goldne Feder ausschoß, worauf er schnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum König gebracht, der alsbald seinen Rath versammelte. Jeder- mann erklärte aber einmüthig, daß diese Feder allein mehr werth wäre, als das gesammte Kö- nigreich. So sprach der König: "nun hilft mir die eine Feder zu nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben."
Da machte sich der älteste Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel schon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald saß ein Fuchs, gleich nahm er seine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: "schieß mich nicht, so will ich dir guten Rath geben, ich weiß schon, wo du hin willst, du denkst den goldenen Vo- gel zu suchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommst, wirst du zwei Wirthshäuser stehen sehen, gegeneinander über, im einem gehts hell und lustig her, geh aber nicht in das hinein, sondern ins andere, wenn es dich schon schlecht ansieht!" Der Sohn aber dach- te: was kann mir ein Thier ordentliches ra- then, nahm die Flinte und drückte ab, aber er fehlte den Fuchs, der nahm den Schwanz auf den Rücken und lief schnell zum Wald hinein. Der älteste Sohn setzte seine Reise fort, und Abends kam er in das Dorf, wo die beiden
ihm eine goldne Feder ausſchoß, worauf er ſchnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht, der alsbald ſeinen Rath verſammelte. Jeder- mann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß dieſe Feder allein mehr werth waͤre, als das geſammte Koͤ- nigreich. So ſprach der Koͤnig: „nun hilft mir die eine Feder zu nichts, ſondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.“
Da machte ſich der aͤlteſte Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel ſchon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald ſaß ein Fuchs, gleich nahm er ſeine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: „ſchieß mich nicht, ſo will ich dir guten Rath geben, ich weiß ſchon, wo du hin willſt, du denkſt den goldenen Vo- gel zu ſuchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommſt, wirſt du zwei Wirthshaͤuſer ſtehen ſehen, gegeneinander uͤber, im einem gehts hell und luſtig her, geh aber nicht in das hinein, ſondern ins andere, wenn es dich ſchon ſchlecht anſieht!“ Der Sohn aber dach- te: was kann mir ein Thier ordentliches ra- then, nahm die Flinte und druͤckte ab, aber er fehlte den Fuchs, der nahm den Schwanz auf den Ruͤcken und lief ſchnell zum Wald hinein. Der aͤlteſte Sohn ſetzte ſeine Reiſe fort, und Abends kam er in das Dorf, wo die beiden
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ihm eine goldne Feder ausſchoß, worauf er
ſchnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun
des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht,
der alsbald ſeinen Rath verſammelte. Jeder-
mann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß dieſe Feder
allein mehr werth waͤre, als das geſammte Koͤ-
nigreich. So ſprach der Koͤnig: „nun hilft
mir die eine Feder zu nichts, ſondern ich will
und muß den ganzen Vogel haben.“
Da machte ſich der aͤlteſte Sohn auf, und
gedachte den goldenen Vogel ſchon zu finden.
Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er
an einen Wald; vor dem Wald ſaß ein Fuchs,
gleich nahm er ſeine Flinte und zielte auf ihn.
Da hub der Fuchs an: „ſchieß mich nicht, ſo
will ich dir guten Rath geben, ich weiß ſchon,
wo du hin willſt, du denkſt den goldenen Vo-
gel zu ſuchen, wenn du nun heut Abend in
ein Dorf kommſt, wirſt du zwei Wirthshaͤuſer
ſtehen ſehen, gegeneinander uͤber, im einem
gehts hell und luſtig her, geh aber nicht in
das hinein, ſondern ins andere, wenn es dich
ſchon ſchlecht anſieht!“ Der Sohn aber dach-
te: was kann mir ein Thier ordentliches ra-
then, nahm die Flinte und druͤckte ab, aber er
fehlte den Fuchs, der nahm den Schwanz auf
den Ruͤcken und lief ſchnell zum Wald hinein.
Der aͤlteſte Sohn ſetzte ſeine Reiſe fort, und
Abends kam er in das Dorf, wo die beiden
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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