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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Nacht neben dem Schlafzimmer des Königs
zubrächte. Die Königin sagte es zu, und das
Mädchen ward hinaufgeführt, was aber in der
Stube gesprochen wurde, das konnte man alles
in dem Schlafzimmer hören. Wie es nun Nacht
ward, und der König im Bett lag, sang es:

"Denkt der König Schwan
noch an seine versprochene Braut Julian'?
die ist gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,
durch Löwen und durch Drachen:
will der König Schwan denn gar nicht erwa-
chen?"

Aber der König hörte es nicht, denn die listige
Königin hatte sich vor dem Mädchen gefürchtet,
und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da schlief
er so fest, und hätte das Mädchen nicht gehört,
und wenn es vor ihm gestanden wäre. Am
Morgen war alles verloren, und es mußte wie-
der vor das Thor, da setzte es sich hin und
spann mit seiner Spindel, die gefiel der Köni-
gin auch, und es gab sie unter derselben Be-
dingung weg, daß es eine Nacht neben des
Königs Schlafzimmer zubringen dürfe. Da
sang es wieder:
Denkt der König Schwan
nicht an seine versprochene Braut Julian'?
die ist gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,

Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs
zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das
Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der
Stube geſprochen wurde, das konnte man alles
in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht
ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es:

„Denkt der Koͤnig Schwan
noch an ſeine verſprochene Braut Julian'?
die iſt gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,
durch Loͤwen und durch Drachen:
will der Koͤnig Schwan denn gar nicht erwa-
chen?“

Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige
Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet,
und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief
er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt,
und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am
Morgen war alles verloren, und es mußte wie-
der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und
ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni-
gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be-
dingung weg, daß es eine Nacht neben des
Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da
ſang es wieder:
Denkt der Koͤnig Schwan
nicht an ſeine verſprochene Braut Julian'?
die iſt gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,

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[276/0310] Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der Stube geſprochen wurde, das konnte man alles in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es: „Denkt der Koͤnig Schwan noch an ſeine verſprochene Braut Julian'? die iſt gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch Loͤwen und durch Drachen: will der Koͤnig Schwan denn gar nicht erwa- chen?“ Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet, und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt, und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am Morgen war alles verloren, und es mußte wie- der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni- gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be- dingung weg, daß es eine Nacht neben des Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da ſang es wieder: Denkt der Koͤnig Schwan nicht an ſeine verſprochene Braut Julian'? die iſt gegangen durch Sonne, Mond und Stern,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/310>, abgerufen am 23.11.2024.