Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

ben, die ihm zugesagt wurde. Indeß hörte die
erste Braut, daß der Prinz um eine andere ge-
freit, da grämte sie sich so sehr, daß sie fast
verging. Ihr Vater fragte, warum sie so trau-
rig sey, sie solle fordern, was sie wolle, es solle
ihr gewährt seyn; da bedachte sich die Prin-
zessin einen Augenblick, dann bat sie sich elf
Mädchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch
an Größe und Wuchs. Der König ließ die elf
Jungfrauen im ganzen Königreich aufsuchen,
und als sie beisammen waren, kleidete sie die
Prinzessin in Jäger, sich selber eben so, so daß
ihrer zwölf vollkommen, eine wie die andere,
waren. Darauf ritt sie zu dem König ihrem
ehemaligen Bräutigam, und verlangte für sich
und die übrigen Dienst als Jäger. Der König
erkannte sie nicht, und weil es so schöne Leute
waren, gewährte er ihnen gern die Bitte, und
nahm sie an seinen Hof.

Der König hatte aber einen Löwen, dem
war nichts verborgen, und er wußte alles, was
heimlich am Hofe geschah. Der sagte eines
Abends zu ihm: "du glaubst, du hättest da
zwölf Jäger, das sind aber lauter Mädchen."
Der König wollte es nicht glauben, da sagte
der Löwe weiter: "laß nur einmal Erbsen in
dein Vorzimmer streuen, Männer, die haben
einen festen Tritt, wenn die darüber hingehen,
regt sich keine, Mädchen aber die trippeln und

Kindermärchen. X

ben, die ihm zugeſagt wurde. Indeß hoͤrte die
erſte Braut, daß der Prinz um eine andere ge-
freit, da graͤmte ſie ſich ſo ſehr, daß ſie faſt
verging. Ihr Vater fragte, warum ſie ſo trau-
rig ſey, ſie ſolle fordern, was ſie wolle, es ſolle
ihr gewaͤhrt ſeyn; da bedachte ſich die Prin-
zeſſin einen Augenblick, dann bat ſie ſich elf
Maͤdchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch
an Groͤße und Wuchs. Der Koͤnig ließ die elf
Jungfrauen im ganzen Koͤnigreich aufſuchen,
und als ſie beiſammen waren, kleidete ſie die
Prinzeſſin in Jaͤger, ſich ſelber eben ſo, ſo daß
ihrer zwoͤlf vollkommen, eine wie die andere,
waren. Darauf ritt ſie zu dem Koͤnig ihrem
ehemaligen Braͤutigam, und verlangte fuͤr ſich
und die uͤbrigen Dienſt als Jaͤger. Der Koͤnig
erkannte ſie nicht, und weil es ſo ſchoͤne Leute
waren, gewaͤhrte er ihnen gern die Bitte, und
nahm ſie an ſeinen Hof.

Der Koͤnig hatte aber einen Loͤwen, dem
war nichts verborgen, und er wußte alles, was
heimlich am Hofe geſchah. Der ſagte eines
Abends zu ihm: „du glaubſt, du haͤtteſt da
zwoͤlf Jaͤger, das ſind aber lauter Maͤdchen.“
Der Koͤnig wollte es nicht glauben, da ſagte
der Loͤwe weiter: „laß nur einmal Erbſen in
dein Vorzimmer ſtreuen, Maͤnner, die haben
einen feſten Tritt, wenn die daruͤber hingehen,
regt ſich keine, Maͤdchen aber die trippeln und

Kindermärchen. X
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0355" n="321"/>
ben, die ihm zuge&#x017F;agt wurde. Indeß ho&#x0364;rte die<lb/>
er&#x017F;te Braut, daß der Prinz um eine andere ge-<lb/>
freit, da gra&#x0364;mte &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr, daß &#x017F;ie fa&#x017F;t<lb/>
verging. Ihr Vater fragte, warum &#x017F;ie &#x017F;o trau-<lb/>
rig &#x017F;ey, &#x017F;ie &#x017F;olle fordern, was &#x017F;ie wolle, es &#x017F;olle<lb/>
ihr gewa&#x0364;hrt &#x017F;eyn; da bedachte &#x017F;ich die Prin-<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;in einen Augenblick, dann bat &#x017F;ie &#x017F;ich elf<lb/>
Ma&#x0364;dchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch<lb/>
an Gro&#x0364;ße und Wuchs. Der Ko&#x0364;nig ließ die elf<lb/>
Jungfrauen im ganzen Ko&#x0364;nigreich auf&#x017F;uchen,<lb/>
und als &#x017F;ie bei&#x017F;ammen waren, kleidete &#x017F;ie die<lb/>
Prinze&#x017F;&#x017F;in in Ja&#x0364;ger, &#x017F;ich &#x017F;elber eben &#x017F;o, &#x017F;o daß<lb/>
ihrer zwo&#x0364;lf vollkommen, eine wie die andere,<lb/>
waren. Darauf ritt &#x017F;ie zu dem Ko&#x0364;nig ihrem<lb/>
ehemaligen Bra&#x0364;utigam, und verlangte fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
und die u&#x0364;brigen Dien&#x017F;t als Ja&#x0364;ger. Der Ko&#x0364;nig<lb/>
erkannte &#x017F;ie nicht, und weil es &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;ne Leute<lb/>
waren, gewa&#x0364;hrte er ihnen gern die Bitte, und<lb/>
nahm &#x017F;ie an &#x017F;einen Hof.</p><lb/>
        <p>Der Ko&#x0364;nig hatte aber einen Lo&#x0364;wen, dem<lb/>
war nichts verborgen, und er wußte alles, was<lb/>
heimlich am Hofe ge&#x017F;chah. Der &#x017F;agte eines<lb/>
Abends zu ihm: &#x201E;du glaub&#x017F;t, du ha&#x0364;tte&#x017F;t da<lb/>
zwo&#x0364;lf Ja&#x0364;ger, das &#x017F;ind aber lauter Ma&#x0364;dchen.&#x201C;<lb/>
Der Ko&#x0364;nig wollte es nicht glauben, da &#x017F;agte<lb/>
der Lo&#x0364;we weiter: &#x201E;laß nur einmal Erb&#x017F;en in<lb/>
dein Vorzimmer &#x017F;treuen, Ma&#x0364;nner, die haben<lb/>
einen fe&#x017F;ten Tritt, wenn die daru&#x0364;ber hingehen,<lb/>
regt &#x017F;ich keine, Ma&#x0364;dchen aber die trippeln und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Kindermärchen. X</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0355] ben, die ihm zugeſagt wurde. Indeß hoͤrte die erſte Braut, daß der Prinz um eine andere ge- freit, da graͤmte ſie ſich ſo ſehr, daß ſie faſt verging. Ihr Vater fragte, warum ſie ſo trau- rig ſey, ſie ſolle fordern, was ſie wolle, es ſolle ihr gewaͤhrt ſeyn; da bedachte ſich die Prin- zeſſin einen Augenblick, dann bat ſie ſich elf Maͤdchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch an Groͤße und Wuchs. Der Koͤnig ließ die elf Jungfrauen im ganzen Koͤnigreich aufſuchen, und als ſie beiſammen waren, kleidete ſie die Prinzeſſin in Jaͤger, ſich ſelber eben ſo, ſo daß ihrer zwoͤlf vollkommen, eine wie die andere, waren. Darauf ritt ſie zu dem Koͤnig ihrem ehemaligen Braͤutigam, und verlangte fuͤr ſich und die uͤbrigen Dienſt als Jaͤger. Der Koͤnig erkannte ſie nicht, und weil es ſo ſchoͤne Leute waren, gewaͤhrte er ihnen gern die Bitte, und nahm ſie an ſeinen Hof. Der Koͤnig hatte aber einen Loͤwen, dem war nichts verborgen, und er wußte alles, was heimlich am Hofe geſchah. Der ſagte eines Abends zu ihm: „du glaubſt, du haͤtteſt da zwoͤlf Jaͤger, das ſind aber lauter Maͤdchen.“ Der Koͤnig wollte es nicht glauben, da ſagte der Loͤwe weiter: „laß nur einmal Erbſen in dein Vorzimmer ſtreuen, Maͤnner, die haben einen feſten Tritt, wenn die daruͤber hingehen, regt ſich keine, Maͤdchen aber die trippeln und Kindermärchen. X

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/355
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/355>, abgerufen am 24.11.2024.