chen ganz wüthend und hackt das Hühnchen todt. Darnach aber empfindet es Reue und nun wird das Hühnchen begraben wie in No. 80.
Zum Marienkind. No. 3.
Aehnlichkeit damit hat die Legende von der heil. Ottilie, zumal, wie sie Naubert in ihren Volksmährchen Th. 1. erzählt. Die gründliche Idee von vielen erlaubten und der einen verbote- nen Thüre kehrt vielmal und unter verschiedener Einleitung, wie bei der Todtenbraut und dem Blaubart (No. 46 u. 62.) wieder. Eine andere Erzählung ist folgende: der arme Mann, da er seine Kinder nicht ernähren kann, geht in den Wald und will sich erhenken, da kommt eine schwar- ze Kutsche mit vier schwarzen Pferden und eine schöne schwarzgekleidete Jungfrau steigt aus und sagt ihm, er werde in einem Busch vor seinem Haus einen Sack mit Geld finden, dafür solle er ihr geben, was im Hause verborgen sey. Der Mann willigt ein, findet das Geld, das verborgene aber ist das Kind im Mutterleib; und wie das ge- boren ist, kommt die Jungfrau und will es abho- len, doch, weil die Mutter so viel bittet, läßt sie es noch bis zum zwölften Jahr. Da aber führt sie es fort zu einem schwarzen Schloß, alles ist prächtig darin, es darf an alle Orte hin, nur nicht in eine Kammer. Vier Jahre gehorcht das Mädchen, da kann es der Qual der Neugierde nicht länger widerstehen und guckt durch einen Ritz hinein. Es sieht vier schwarze Jungfrauen, die, in Bücherlesen vertieft, in dem Augenblick zu erschrecken scheinen, seine Pflegemutter aber kommt heraus und sagt: "ich muß dich verstoßen, was willst du am liebsten verlieren?" -- "Die Spra- che, antwortete das Mädchen. Da schlägt sie ihm auf den Mund, daß das Blut hervor quillt, und treibt es fort. Es muß unter einem Baum über- nachten, da findet es am Morgen der Königssohn, führt es mit sich fort und vermählt sich, gegen seiner Mutter Willen, mit der stummen Schönheit. Als das erste Kind zur Welt kommt, nimmt es die
chen ganz wuͤthend und hackt das Huͤhnchen todt. Darnach aber empfindet es Reue und nun wird das Huͤhnchen begraben wie in No. 80.
Zum Marienkind. No. 3.
Aehnlichkeit damit hat die Legende von der heil. Ottilie, zumal, wie ſie Naubert in ihren Volksmaͤhrchen Th. 1. erzaͤhlt. Die gruͤndliche Idee von vielen erlaubten und der einen verbote- nen Thuͤre kehrt vielmal und unter verſchiedener Einleitung, wie bei der Todtenbraut und dem Blaubart (No. 46 u. 62.) wieder. Eine andere Erzaͤhlung iſt folgende: der arme Mann, da er ſeine Kinder nicht ernaͤhren kann, geht in den Wald und will ſich erhenken, da kommt eine ſchwar- ze Kutſche mit vier ſchwarzen Pferden und eine ſchoͤne ſchwarzgekleidete Jungfrau ſteigt aus und ſagt ihm, er werde in einem Buſch vor ſeinem Haus einen Sack mit Geld finden, dafuͤr ſolle er ihr geben, was im Hauſe verborgen ſey. Der Mann willigt ein, findet das Geld, das verborgene aber iſt das Kind im Mutterleib; und wie das ge- boren iſt, kommt die Jungfrau und will es abho- len, doch, weil die Mutter ſo viel bittet, laͤßt ſie es noch bis zum zwoͤlften Jahr. Da aber fuͤhrt ſie es fort zu einem ſchwarzen Schloß, alles iſt praͤchtig darin, es darf an alle Orte hin, nur nicht in eine Kammer. Vier Jahre gehorcht das Maͤdchen, da kann es der Qual der Neugierde nicht laͤnger widerſtehen und guckt durch einen Ritz hinein. Es ſieht vier ſchwarze Jungfrauen, die, in Buͤcherleſen vertieft, in dem Augenblick zu erſchrecken ſcheinen, ſeine Pflegemutter aber kommt heraus und ſagt: „ich muß dich verſtoßen, was willſt du am liebſten verlieren?“ — „Die Spra- che, antwortete das Maͤdchen. Da ſchlaͤgt ſie ihm auf den Mund, daß das Blut hervor quillt, und treibt es fort. Es muß unter einem Baum uͤber- nachten, da findet es am Morgen der Koͤnigsſohn, fuͤhrt es mit ſich fort und vermaͤhlt ſich, gegen ſeiner Mutter Willen, mit der ſtummen Schoͤnheit. Als das erſte Kind zur Welt kommt, nimmt es die
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Darnach aber empfindet es Reue und nun wird
das Huͤhnchen begraben wie in No. 80.
Zum Marienkind. No. 3.
Aehnlichkeit damit hat die Legende von der
heil. Ottilie, zumal, wie ſie Naubert in ihren
Volksmaͤhrchen Th. 1. erzaͤhlt. Die gruͤndliche
Idee von vielen erlaubten und der einen verbote-
nen Thuͤre kehrt vielmal und unter verſchiedener
Einleitung, wie bei der Todtenbraut und dem
Blaubart (No. 46 u. 62.) wieder. Eine andere
Erzaͤhlung iſt folgende: der arme Mann, da er
ſeine Kinder nicht ernaͤhren kann, geht in den
Wald und will ſich erhenken, da kommt eine ſchwar-
ze Kutſche mit vier ſchwarzen Pferden und eine
ſchoͤne ſchwarzgekleidete Jungfrau ſteigt aus und
ſagt ihm, er werde in einem Buſch vor ſeinem
Haus einen Sack mit Geld finden, dafuͤr ſolle er
ihr geben, was im Hauſe verborgen ſey. Der
Mann willigt ein, findet das Geld, das verborgene
aber iſt das Kind im Mutterleib; und wie das ge-
boren iſt, kommt die Jungfrau und will es abho-
len, doch, weil die Mutter ſo viel bittet, laͤßt ſie
es noch bis zum zwoͤlften Jahr. Da aber fuͤhrt
ſie es fort zu einem ſchwarzen Schloß, alles iſt
praͤchtig darin, es darf an alle Orte hin, nur
nicht in eine Kammer. Vier Jahre gehorcht das
Maͤdchen, da kann es der Qual der Neugierde
nicht laͤnger widerſtehen und guckt durch einen
Ritz hinein. Es ſieht vier ſchwarze Jungfrauen,
die, in Buͤcherleſen vertieft, in dem Augenblick zu
erſchrecken ſcheinen, ſeine Pflegemutter aber kommt
heraus und ſagt: „ich muß dich verſtoßen, was
willſt du am liebſten verlieren?“ — „Die Spra-
che, antwortete das Maͤdchen. Da ſchlaͤgt ſie ihm
auf den Mund, daß das Blut hervor quillt, und
treibt es fort. Es muß unter einem Baum uͤber-
nachten, da findet es am Morgen der Koͤnigsſohn,
fuͤhrt es mit ſich fort und vermaͤhlt ſich, gegen
ſeiner Mutter Willen, mit der ſtummen Schoͤnheit.
Als das erſte Kind zur Welt kommt, nimmt es die
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/427>, abgerufen am 24.11.2024.
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