macht, springt eine andere wieder auf und so fort, daß er die ganze Nacht nichts zu thun hat, als Thüren zuzumachen. Der König ist dadurch ge- kränkt, kommt nicht wieder, und will sich mit der Prinzessin, die seine Braut ist, vermählen. Die Königin macht ihre erste Goldnuß auf, da ist das prächtigste Nähzeug und Nähkästchen darin, damit geht sie zum Schloß, setzt sich den Fenstern der Prinzessin gegenüber und näht. Die Prinzessin sieht sie und trägt großen Gefallen an dem Näh- zeug, sie tauscht es für das Recht ein, die erste Nacht bei dem König zubringen zu dürfen. Am andern Tag öffnet diese die zweite Nuß, findet ei- ne köstliche Spindel darin, spinnt damit vor der Prinzessin und vertauscht sie für die zweite Nacht, endlich auch das Geschmeide, welches die dritte Nuß in sich faßte, für die dritte Nacht. Wie der Hochzeitstag nun vorbei ist, wird die Königin zum König geführt, da entdeckt sie sich als seine Gemahlin; am dritten Morgen beruft er einen Rath und legt die Frage von dem Schlüssel vor, den er zu einem goldnen Vorlegeschloß verloren, und wiedergefunden, ob er den alten oder den neuen gebrauchen solle. Die Prinzessin entschei- det selber für den alten und demnach für ihre Trennung.
Zu dem Goldei. No. 60.
In der Erfurter Sammlung S. 1 -- 58. aber schlecht erzählt: der Vogel, der jeden Morgen ein Goldei legt entflieht dem Prinzen Gunild, ein Bauer fängt ihn und von diesem bekommt ihn ein Goldschmidt, der auf den Flügeln liest: "wer mei- nen Kopf ißt unter dessen Kopfkissen werden täg- lich tausend Ducaten liegen; wer mein Herz ißt, wird König in Akindilla werden," und ihn dar- um dem Ynkas, seinem Schwestersohn zum Bra- ten giebt; dieser ißt unschuldig beides und ent- flieht dann bei den Drohungen des zornigen Goldschmidts, der sich getäuscht sieht. Indeß geht der Ausspruch in Erfüllung; hineingezogen ist die dem Fortunat ähnliche Sage von den zweierlei
macht, ſpringt eine andere wieder auf und ſo fort, daß er die ganze Nacht nichts zu thun hat, als Thuͤren zuzumachen. Der Koͤnig iſt dadurch ge- kraͤnkt, kommt nicht wieder, und will ſich mit der Prinzeſſin, die ſeine Braut iſt, vermaͤhlen. Die Koͤnigin macht ihre erſte Goldnuß auf, da iſt das praͤchtigſte Naͤhzeug und Naͤhkaͤſtchen darin, damit geht ſie zum Schloß, ſetzt ſich den Fenſtern der Prinzeſſin gegenuͤber und naͤht. Die Prinzeſſin ſieht ſie und traͤgt großen Gefallen an dem Naͤh- zeug, ſie tauſcht es fuͤr das Recht ein, die erſte Nacht bei dem Koͤnig zubringen zu duͤrfen. Am andern Tag oͤffnet dieſe die zweite Nuß, findet ei- ne koͤſtliche Spindel darin, ſpinnt damit vor der Prinzeſſin und vertauſcht ſie fuͤr die zweite Nacht, endlich auch das Geſchmeide, welches die dritte Nuß in ſich faßte, fuͤr die dritte Nacht. Wie der Hochzeitstag nun vorbei iſt, wird die Koͤnigin zum Koͤnig gefuͤhrt, da entdeckt ſie ſich als ſeine Gemahlin; am dritten Morgen beruft er einen Rath und legt die Frage von dem Schluͤſſel vor, den er zu einem goldnen Vorlegeſchloß verloren, und wiedergefunden, ob er den alten oder den neuen gebrauchen ſolle. Die Prinzeſſin entſchei- det ſelber fuͤr den alten und demnach fuͤr ihre Trennung.
Zu dem Goldei. No. 60.
In der Erfurter Sammlung S. 1 — 58. aber ſchlecht erzaͤhlt: der Vogel, der jeden Morgen ein Goldei legt entflieht dem Prinzen Gunild, ein Bauer faͤngt ihn und von dieſem bekommt ihn ein Goldſchmidt, der auf den Fluͤgeln lieſt: „wer mei- nen Kopf ißt unter deſſen Kopfkiſſen werden taͤg- lich tauſend Ducaten liegen; wer mein Herz ißt, wird Koͤnig in Akindilla werden,“ und ihn dar- um dem Ynkas, ſeinem Schweſterſohn zum Bra- ten giebt; dieſer ißt unſchuldig beides und ent- flieht dann bei den Drohungen des zornigen Goldſchmidts, der ſich getaͤuſcht ſieht. Indeß geht der Ausſpruch in Erfuͤllung; hineingezogen iſt die dem Fortunat aͤhnliche Sage von den zweierlei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0460"n="XXXVIII"/>
macht, ſpringt eine andere wieder auf und ſo fort,<lb/>
daß er die ganze Nacht nichts zu thun hat, als<lb/>
Thuͤren zuzumachen. Der Koͤnig iſt dadurch ge-<lb/>
kraͤnkt, kommt nicht wieder, und will ſich mit der<lb/>
Prinzeſſin, die ſeine Braut iſt, vermaͤhlen. Die<lb/>
Koͤnigin macht ihre erſte Goldnuß auf, da iſt das<lb/>
praͤchtigſte Naͤhzeug und Naͤhkaͤſtchen darin, damit<lb/>
geht ſie zum Schloß, ſetzt ſich den Fenſtern der<lb/>
Prinzeſſin gegenuͤber und naͤht. Die Prinzeſſin<lb/>ſieht ſie und traͤgt großen Gefallen an dem Naͤh-<lb/>
zeug, ſie tauſcht es fuͤr das Recht ein, die erſte<lb/>
Nacht bei dem Koͤnig zubringen zu duͤrfen. Am<lb/>
andern Tag oͤffnet dieſe die zweite Nuß, findet ei-<lb/>
ne koͤſtliche Spindel darin, ſpinnt damit vor der<lb/>
Prinzeſſin und vertauſcht ſie fuͤr die zweite Nacht,<lb/>
endlich auch das Geſchmeide, welches die dritte<lb/>
Nuß in ſich faßte, fuͤr die dritte Nacht. Wie der<lb/>
Hochzeitstag nun vorbei iſt, wird die Koͤnigin<lb/>
zum Koͤnig gefuͤhrt, da entdeckt ſie ſich als ſeine<lb/>
Gemahlin; am dritten Morgen beruft er einen<lb/>
Rath und legt die Frage von dem Schluͤſſel vor,<lb/>
den er zu einem goldnen Vorlegeſchloß verloren,<lb/>
und wiedergefunden, ob er den alten oder den<lb/>
neuen gebrauchen ſolle. Die Prinzeſſin entſchei-<lb/>
det ſelber fuͤr den alten und demnach fuͤr ihre<lb/>
Trennung.</p></div><lb/><divn="2"><head>Zu dem Goldei. No. 60.</head><lb/><p>In der Erfurter Sammlung S. 1 — 58. aber<lb/>ſchlecht erzaͤhlt: der Vogel, der jeden Morgen ein<lb/>
Goldei legt entflieht dem Prinzen Gunild, ein<lb/>
Bauer faͤngt ihn und von dieſem bekommt ihn ein<lb/>
Goldſchmidt, der auf den Fluͤgeln lieſt: „wer mei-<lb/>
nen Kopf ißt unter deſſen Kopfkiſſen werden taͤg-<lb/>
lich tauſend Ducaten liegen; wer mein Herz ißt,<lb/>
wird Koͤnig in Akindilla werden,“ und ihn dar-<lb/>
um dem Ynkas, ſeinem Schweſterſohn zum Bra-<lb/>
ten giebt; dieſer ißt unſchuldig beides und ent-<lb/>
flieht dann bei den Drohungen des zornigen<lb/>
Goldſchmidts, der ſich getaͤuſcht ſieht. Indeß geht<lb/>
der Ausſpruch in Erfuͤllung; hineingezogen iſt die<lb/>
dem Fortunat aͤhnliche Sage von den zweierlei<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[XXXVIII/0460]
macht, ſpringt eine andere wieder auf und ſo fort,
daß er die ganze Nacht nichts zu thun hat, als
Thuͤren zuzumachen. Der Koͤnig iſt dadurch ge-
kraͤnkt, kommt nicht wieder, und will ſich mit der
Prinzeſſin, die ſeine Braut iſt, vermaͤhlen. Die
Koͤnigin macht ihre erſte Goldnuß auf, da iſt das
praͤchtigſte Naͤhzeug und Naͤhkaͤſtchen darin, damit
geht ſie zum Schloß, ſetzt ſich den Fenſtern der
Prinzeſſin gegenuͤber und naͤht. Die Prinzeſſin
ſieht ſie und traͤgt großen Gefallen an dem Naͤh-
zeug, ſie tauſcht es fuͤr das Recht ein, die erſte
Nacht bei dem Koͤnig zubringen zu duͤrfen. Am
andern Tag oͤffnet dieſe die zweite Nuß, findet ei-
ne koͤſtliche Spindel darin, ſpinnt damit vor der
Prinzeſſin und vertauſcht ſie fuͤr die zweite Nacht,
endlich auch das Geſchmeide, welches die dritte
Nuß in ſich faßte, fuͤr die dritte Nacht. Wie der
Hochzeitstag nun vorbei iſt, wird die Koͤnigin
zum Koͤnig gefuͤhrt, da entdeckt ſie ſich als ſeine
Gemahlin; am dritten Morgen beruft er einen
Rath und legt die Frage von dem Schluͤſſel vor,
den er zu einem goldnen Vorlegeſchloß verloren,
und wiedergefunden, ob er den alten oder den
neuen gebrauchen ſolle. Die Prinzeſſin entſchei-
det ſelber fuͤr den alten und demnach fuͤr ihre
Trennung.
Zu dem Goldei. No. 60.
In der Erfurter Sammlung S. 1 — 58. aber
ſchlecht erzaͤhlt: der Vogel, der jeden Morgen ein
Goldei legt entflieht dem Prinzen Gunild, ein
Bauer faͤngt ihn und von dieſem bekommt ihn ein
Goldſchmidt, der auf den Fluͤgeln lieſt: „wer mei-
nen Kopf ißt unter deſſen Kopfkiſſen werden taͤg-
lich tauſend Ducaten liegen; wer mein Herz ißt,
wird Koͤnig in Akindilla werden,“ und ihn dar-
um dem Ynkas, ſeinem Schweſterſohn zum Bra-
ten giebt; dieſer ißt unſchuldig beides und ent-
flieht dann bei den Drohungen des zornigen
Goldſchmidts, der ſich getaͤuſcht ſieht. Indeß geht
der Ausſpruch in Erfuͤllung; hineingezogen iſt die
dem Fortunat aͤhnliche Sage von den zweierlei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. XXXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/460>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.