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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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fett machen, und wann er fett ist, dann will
ich ihn essen, jetzt sollst du ihn füttern. Gre-
tel erschrack und weinte, mußte aber thun, was
die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage
dem Hänsel das beste Essen gekocht, daß er
fett werden sollte, Gretel aber bekam nichts,
als die Krebsschalen, und alle Tage kam die
Alte und sagte: "Hänsel, streck deine Finger
heraus, daß ich fühle, ob du bald fett genug
bist." Hänsel streckte ihr aber immer ein Knöch-
lein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar
nicht zunehmen wolle.

Nach vier Wochen sagte sie eines Abends
zu Gretel: "sey flink, geh und trag Wasser
herbei, dein Brüderchen mag nun fett genug
seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten
und sieden, ich will derweile den Teig anma-
chen, daß wir auch dazu backen können. Da
ging Gretel mit traurigem Herzen und trug
das Wasser, worin Hänsel sollte gesotten wer-
den. Früh Morgens mußte Gretel aufstehen,
Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser
aufhängen. "Gieb nun Acht, bis es siedet, sag-
te die Hexe, ich will Feuer in den Backofen
machen und das Brod hineinschieben;" Gretel
stand in der Küche und weinte blutige Thrä-
nen, und dachte, hätten uns lieber die wilden
Thiere im Walde gefressen, so wären wir zu-
sammen gestorben und müßten nun nicht das

fett machen, und wann er fett iſt, dann will
ich ihn eſſen, jetzt ſollſt du ihn fuͤttern. Gre-
tel erſchrack und weinte, mußte aber thun, was
die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage
dem Haͤnſel das beſte Eſſen gekocht, daß er
fett werden ſollte, Gretel aber bekam nichts,
als die Krebsſchalen, und alle Tage kam die
Alte und ſagte: „Haͤnſel, ſtreck deine Finger
heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug
biſt.“ Haͤnſel ſtreckte ihr aber immer ein Knoͤch-
lein heraus, da verwunderte ſie ſich, daß er gar
nicht zunehmen wolle.

Nach vier Wochen ſagte ſie eines Abends
zu Gretel: „ſey flink, geh und trag Waſſer
herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett genug
ſeyn oder nicht, morgen will ich es ſchlachten
und ſieden, ich will derweile den Teig anma-
chen, daß wir auch dazu backen koͤnnen. Da
ging Gretel mit traurigem Herzen und trug
das Waſſer, worin Haͤnſel ſollte geſotten wer-
den. Fruͤh Morgens mußte Gretel aufſtehen,
Feuer anmachen und den Keſſel mit Waſſer
aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, bis es ſiedet, ſag-
te die Hexe, ich will Feuer in den Backofen
machen und das Brod hineinſchieben;“ Gretel
ſtand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤ-
nen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden
Thiere im Walde gefreſſen, ſo waͤren wir zu-
ſammen geſtorben und muͤßten nun nicht das

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[56/0090] fett machen, und wann er fett iſt, dann will ich ihn eſſen, jetzt ſollſt du ihn fuͤttern. Gre- tel erſchrack und weinte, mußte aber thun, was die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage dem Haͤnſel das beſte Eſſen gekocht, daß er fett werden ſollte, Gretel aber bekam nichts, als die Krebsſchalen, und alle Tage kam die Alte und ſagte: „Haͤnſel, ſtreck deine Finger heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug biſt.“ Haͤnſel ſtreckte ihr aber immer ein Knoͤch- lein heraus, da verwunderte ſie ſich, daß er gar nicht zunehmen wolle. Nach vier Wochen ſagte ſie eines Abends zu Gretel: „ſey flink, geh und trag Waſſer herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett genug ſeyn oder nicht, morgen will ich es ſchlachten und ſieden, ich will derweile den Teig anma- chen, daß wir auch dazu backen koͤnnen. Da ging Gretel mit traurigem Herzen und trug das Waſſer, worin Haͤnſel ſollte geſotten wer- den. Fruͤh Morgens mußte Gretel aufſtehen, Feuer anmachen und den Keſſel mit Waſſer aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, bis es ſiedet, ſag- te die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinſchieben;“ Gretel ſtand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤ- nen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefreſſen, ſo waͤren wir zu- ſammen geſtorben und muͤßten nun nicht das

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/90>, abgerufen am 24.11.2024.