Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun ging sie in den Garten und der Engel ging mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schöne Birnen, aber sie waren alle gezählt. Da trat sie hinzu und aß eine mit dem Munde vom Baum ab, ihren Hunger zu stillen. Der Gärtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fürchtete er sich und meinte, es wär ein Geist und hatte nicht gerufen, auch nichts gesagt. Als sie aber die Birne gegessen, war sie satt davon und versteckte sich in das Gebüsch. Der König, dem der Garten gehörte, kam am andern Morgen herab, da zählte er und sah, daß eine der Birnen fehlte und fragte den Gärtner, wo sie hin wäre? sie liege nicht unter dem Baum und sey doch weg. Da antwortete der Gärtner: "in dieser Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Hände und aß eine mit dem Munde ab." Der König sprach: "wie ist der Geist über das Wasser hereingekommen, und wo ist er hingegangen?" Der Gärtner antwortete: "es kam einer im schneeweißen Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße vorgezogen und das Wasser gehemmt; und weil das ein Engel muß gewesen seyn, habe ich mich gefürchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Darnach ist der Geist wieder zurückgegangen." Der König sprach: "künftige Nacht will ich bei dir wachen." Als es nun dunkel ward, kam der König in den Garten und hatte einen Priester mitgebracht, der sollte den Geist anreden. Sie setzten sich alle drei unter den Baum und gaben acht. Um Mitternacht kam sie aus dem Gebüsch gekrochen, trat zu dem Baum und aß mit dem Munde wieder eine Birne ab. Neben Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun ging sie in den Garten und der Engel ging mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schoͤne Birnen, aber sie waren alle gezaͤhlt. Da trat sie hinzu und aß eine mit dem Munde vom Baum ab, ihren Hunger zu stillen. Der Gaͤrtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fuͤrchtete er sich und meinte, es waͤr ein Geist und hatte nicht gerufen, auch nichts gesagt. Als sie aber die Birne gegessen, war sie satt davon und versteckte sich in das Gebuͤsch. Der Koͤnig, dem der Garten gehoͤrte, kam am andern Morgen herab, da zaͤhlte er und sah, daß eine der Birnen fehlte und fragte den Gaͤrtner, wo sie hin waͤre? sie liege nicht unter dem Baum und sey doch weg. Da antwortete der Gaͤrtner: „in dieser Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Haͤnde und aß eine mit dem Munde ab.“ Der Koͤnig sprach: „wie ist der Geist uͤber das Wasser hereingekommen, und wo ist er hingegangen?“ Der Gaͤrtner antwortete: „es kam einer im schneeweißen Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße vorgezogen und das Wasser gehemmt; und weil das ein Engel muß gewesen seyn, habe ich mich gefuͤrchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Darnach ist der Geist wieder zuruͤckgegangen.“ Der Koͤnig sprach: „kuͤnftige Nacht will ich bei dir wachen.“ Als es nun dunkel ward, kam der Koͤnig in den Garten und hatte einen Priester mitgebracht, der sollte den Geist anreden. Sie setzten sich alle drei unter den Baum und gaben acht. Um Mitternacht kam sie aus dem Gebuͤsch gekrochen, trat zu dem Baum und aß mit dem Munde wieder eine Birne ab. Neben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="161"/> Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun ging sie in den Garten und der Engel ging mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schoͤne Birnen, aber sie waren alle gezaͤhlt. Da trat sie hinzu und aß eine mit dem Munde vom Baum ab, ihren Hunger zu stillen. Der Gaͤrtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fuͤrchtete er sich und meinte, es waͤr ein Geist und hatte nicht gerufen, auch nichts gesagt. Als sie aber die Birne gegessen, war sie satt davon und versteckte sich in das Gebuͤsch. Der Koͤnig, dem der Garten gehoͤrte, kam am andern Morgen herab, da zaͤhlte er und sah, daß eine der Birnen fehlte und fragte den Gaͤrtner, wo sie hin waͤre? sie liege nicht unter dem Baum und sey doch weg. Da antwortete der Gaͤrtner: „in dieser Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Haͤnde und aß eine mit dem Munde ab.“ Der Koͤnig sprach: „wie ist der Geist uͤber das Wasser hereingekommen, und wo ist er hingegangen?“ Der Gaͤrtner antwortete: „es kam einer im schneeweißen Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße vorgezogen und das Wasser gehemmt; und weil das ein Engel muß gewesen seyn, habe ich mich gefuͤrchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Darnach ist der Geist wieder zuruͤckgegangen.“ Der Koͤnig sprach: „kuͤnftige Nacht will ich bei dir wachen.“</p><lb/> <p>Als es nun dunkel ward, kam der Koͤnig in den Garten und hatte einen Priester mitgebracht, der sollte den Geist anreden. Sie setzten sich alle drei unter den Baum und gaben acht. Um Mitternacht kam sie aus dem Gebuͤsch gekrochen, trat zu dem Baum und aß mit dem Munde wieder eine Birne ab. Neben </p> </div> </body> </text> </TEI> [161/0225]
Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun ging sie in den Garten und der Engel ging mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schoͤne Birnen, aber sie waren alle gezaͤhlt. Da trat sie hinzu und aß eine mit dem Munde vom Baum ab, ihren Hunger zu stillen. Der Gaͤrtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fuͤrchtete er sich und meinte, es waͤr ein Geist und hatte nicht gerufen, auch nichts gesagt. Als sie aber die Birne gegessen, war sie satt davon und versteckte sich in das Gebuͤsch. Der Koͤnig, dem der Garten gehoͤrte, kam am andern Morgen herab, da zaͤhlte er und sah, daß eine der Birnen fehlte und fragte den Gaͤrtner, wo sie hin waͤre? sie liege nicht unter dem Baum und sey doch weg. Da antwortete der Gaͤrtner: „in dieser Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Haͤnde und aß eine mit dem Munde ab.“ Der Koͤnig sprach: „wie ist der Geist uͤber das Wasser hereingekommen, und wo ist er hingegangen?“ Der Gaͤrtner antwortete: „es kam einer im schneeweißen Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße vorgezogen und das Wasser gehemmt; und weil das ein Engel muß gewesen seyn, habe ich mich gefuͤrchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Darnach ist der Geist wieder zuruͤckgegangen.“ Der Koͤnig sprach: „kuͤnftige Nacht will ich bei dir wachen.“
Als es nun dunkel ward, kam der Koͤnig in den Garten und hatte einen Priester mitgebracht, der sollte den Geist anreden. Sie setzten sich alle drei unter den Baum und gaben acht. Um Mitternacht kam sie aus dem Gebuͤsch gekrochen, trat zu dem Baum und aß mit dem Munde wieder eine Birne ab. Neben
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |