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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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sprach: "Tischchen deck dich!" Da wars alsbald mit Speisen besetzt, die der Wirth gar nicht hätte herbeischaffen können und wovon der Geruch den Gästen gar lieblich in die Nase stieg. "Ei, ists so gemeint, sprachen sie, so wollen wir zulangen, rückten heran, zogen ihre Messer und ließen sich's wohlschmecken, denn wenn eine Schüssel abgenommen war, stellte sich eine andere von selbst an den leeren Platz. So waren sie mit dem Gesellen guter Dinge, der Wirth aber stand in einer Ecke und sah zu und wußte nicht was er davon denken sollte, sprach aber für sich: "so einen Koch könnte ich bei der Wirthschaft wohl brauchen." Als es spät ward, legten sich die Gäste nach einander schlafen, und der junge Gesell war auch zu Bett gegangen und hatte sein Wünschtischchen in eine Ecke gestellt. Um Mitternacht aber machte sich der Wirth auf, denn die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, ging in seine Rumpelkammer, holte ein altes Tischchen, das gerade so aussah, wie das Tischchen deck dich, stellte das in die Ecke und vertauschte es mit dem guten. Am andern Morgen zahlte der Geselle das Schlafgeld, nahm sein Tischchen aus der Ecke mit, dachte gar nicht, daß er ein falsches hätte und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der freute sich von Herzen, als er ihn wiedersah und sprach: "nun mein Sohn, was hast du gelernt?" "Vater, antwortete er, ich bin ein Schreiner geworden." "Was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?" sagte der Alte. "Vater, das beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen da." Der Schneider sah es an und sah, daß es ein altes, schlechtes Tischchen war, aber der Sohn sprach: "Vater,

sprach: „Tischchen deck dich!“ Da wars alsbald mit Speisen besetzt, die der Wirth gar nicht haͤtte herbeischaffen koͤnnen und wovon der Geruch den Gaͤsten gar lieblich in die Nase stieg. „Ei, ists so gemeint, sprachen sie, so wollen wir zulangen, ruͤckten heran, zogen ihre Messer und ließen sich’s wohlschmecken, denn wenn eine Schuͤssel abgenommen war, stellte sich eine andere von selbst an den leeren Platz. So waren sie mit dem Gesellen guter Dinge, der Wirth aber stand in einer Ecke und sah zu und wußte nicht was er davon denken sollte, sprach aber fuͤr sich: „so einen Koch koͤnnte ich bei der Wirthschaft wohl brauchen.“ Als es spaͤt ward, legten sich die Gaͤste nach einander schlafen, und der junge Gesell war auch zu Bett gegangen und hatte sein Wuͤnschtischchen in eine Ecke gestellt. Um Mitternacht aber machte sich der Wirth auf, denn die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, ging in seine Rumpelkammer, holte ein altes Tischchen, das gerade so aussah, wie das Tischchen deck dich, stellte das in die Ecke und vertauschte es mit dem guten. Am andern Morgen zahlte der Geselle das Schlafgeld, nahm sein Tischchen aus der Ecke mit, dachte gar nicht, daß er ein falsches haͤtte und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der freute sich von Herzen, als er ihn wiedersah und sprach: „nun mein Sohn, was hast du gelernt?“ „Vater, antwortete er, ich bin ein Schreiner geworden.“ „Was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?“ sagte der Alte. „Vater, das beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen da.“ Der Schneider sah es an und sah, daß es ein altes, schlechtes Tischchen war, aber der Sohn sprach: „Vater,

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[184/0248] sprach: „Tischchen deck dich!“ Da wars alsbald mit Speisen besetzt, die der Wirth gar nicht haͤtte herbeischaffen koͤnnen und wovon der Geruch den Gaͤsten gar lieblich in die Nase stieg. „Ei, ists so gemeint, sprachen sie, so wollen wir zulangen, ruͤckten heran, zogen ihre Messer und ließen sich’s wohlschmecken, denn wenn eine Schuͤssel abgenommen war, stellte sich eine andere von selbst an den leeren Platz. So waren sie mit dem Gesellen guter Dinge, der Wirth aber stand in einer Ecke und sah zu und wußte nicht was er davon denken sollte, sprach aber fuͤr sich: „so einen Koch koͤnnte ich bei der Wirthschaft wohl brauchen.“ Als es spaͤt ward, legten sich die Gaͤste nach einander schlafen, und der junge Gesell war auch zu Bett gegangen und hatte sein Wuͤnschtischchen in eine Ecke gestellt. Um Mitternacht aber machte sich der Wirth auf, denn die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, ging in seine Rumpelkammer, holte ein altes Tischchen, das gerade so aussah, wie das Tischchen deck dich, stellte das in die Ecke und vertauschte es mit dem guten. Am andern Morgen zahlte der Geselle das Schlafgeld, nahm sein Tischchen aus der Ecke mit, dachte gar nicht, daß er ein falsches haͤtte und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der freute sich von Herzen, als er ihn wiedersah und sprach: „nun mein Sohn, was hast du gelernt?“ „Vater, antwortete er, ich bin ein Schreiner geworden.“ „Was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?“ sagte der Alte. „Vater, das beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen da.“ Der Schneider sah es an und sah, daß es ein altes, schlechtes Tischchen war, aber der Sohn sprach: „Vater,

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/248>, abgerufen am 17.05.2024.