Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.es war alles still, aber auf einmal rief eine Stimme: "kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Mörderhaus!" Wie es sich umsah, wars ein Vogel, der da in einem Bauer saß und der noch einmal rief: "kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Mörderhaus." Nun ging die schöne Braut weiter aus einer Stube in die andere und durchs ganze Haus, aber es war alles leer und keine Menschenseele war zu finden. Endlich kam sie auch in den Keller, da saß eine steinalte Frau. "Könnt ihr mir nicht sagen, sprach das Mädchen, ob mein Bräutigam hier wohnt." "Ach! du liebes Kind, antwortete die alte Frau, du bist in eine Mördergrube gekommen; deine Hochzeit soll mit dem Tod seyn, der Räuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen müssen, wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren!" Darauf versteckte sie das Mädchen hinter ein großes Faß und sprach: "reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen: wann die Räuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon längst fortgewollt." Kaum war das geschehen, so kamen die Räuber heim und führten eine andere Jungfrau mit, waren trunken, und hörten nicht ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Gläser, ein Glas weißen Wein, ein Glas rothen und ein Glas gelben, davon zersprang es war alles still, aber auf einmal rief eine Stimme: „kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus!“ Wie es sich umsah, wars ein Vogel, der da in einem Bauer saß und der noch einmal rief: „kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus.“ Nun ging die schoͤne Braut weiter aus einer Stube in die andere und durchs ganze Haus, aber es war alles leer und keine Menschenseele war zu finden. Endlich kam sie auch in den Keller, da saß eine steinalte Frau. „Koͤnnt ihr mir nicht sagen, sprach das Maͤdchen, ob mein Braͤutigam hier wohnt.“ „Ach! du liebes Kind, antwortete die alte Frau, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen; deine Hochzeit soll mit dem Tod seyn, der Raͤuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen muͤssen, wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren!“ Darauf versteckte sie das Maͤdchen hinter ein großes Faß und sprach: „reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen: wann die Raͤuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon laͤngst fortgewollt.“ Kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und fuͤhrten eine andere Jungfrau mit, waren trunken, und hoͤrten nicht ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Glaͤser, ein Glas weißen Wein, ein Glas rothen und ein Glas gelben, davon zersprang <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0271" n="207"/> es war alles still, aber auf einmal rief eine Stimme:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„kehr um, kehr um, du junge Braut,</l><lb/> <l>du bist in einem Moͤrderhaus!“</l><lb/> </lg> <p>Wie es sich umsah, wars ein Vogel, der da in einem Bauer saß und der noch einmal rief:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„kehr um, kehr um, du junge Braut,</l><lb/> <l>du bist in einem Moͤrderhaus.“</l><lb/> </lg> <p>Nun ging die schoͤne Braut weiter aus einer Stube in die andere und durchs ganze Haus, aber es war alles leer und keine Menschenseele war zu finden. Endlich kam sie auch in den Keller, da saß eine steinalte Frau. „Koͤnnt ihr mir nicht sagen, sprach das Maͤdchen, ob mein Braͤutigam hier wohnt.“ „Ach! du liebes Kind, antwortete die alte Frau, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen; deine Hochzeit soll mit dem Tod seyn, der Raͤuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen muͤssen, wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren!“</p><lb/> <p>Darauf versteckte sie das Maͤdchen hinter ein großes Faß und sprach: „reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen: wann die Raͤuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon laͤngst fortgewollt.“ Kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und fuͤhrten eine andere Jungfrau mit, waren trunken, und hoͤrten nicht ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Glaͤser, ein Glas weißen Wein, ein Glas rothen und ein Glas gelben, davon zersprang </p> </div> </body> </text> </TEI> [207/0271]
es war alles still, aber auf einmal rief eine Stimme:
„kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus!“
Wie es sich umsah, wars ein Vogel, der da in einem Bauer saß und der noch einmal rief:
„kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus.“
Nun ging die schoͤne Braut weiter aus einer Stube in die andere und durchs ganze Haus, aber es war alles leer und keine Menschenseele war zu finden. Endlich kam sie auch in den Keller, da saß eine steinalte Frau. „Koͤnnt ihr mir nicht sagen, sprach das Maͤdchen, ob mein Braͤutigam hier wohnt.“ „Ach! du liebes Kind, antwortete die alte Frau, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen; deine Hochzeit soll mit dem Tod seyn, der Raͤuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen muͤssen, wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren!“
Darauf versteckte sie das Maͤdchen hinter ein großes Faß und sprach: „reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen: wann die Raͤuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon laͤngst fortgewollt.“ Kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und fuͤhrten eine andere Jungfrau mit, waren trunken, und hoͤrten nicht ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Glaͤser, ein Glas weißen Wein, ein Glas rothen und ein Glas gelben, davon zersprang
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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