Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.Als nun der Tag kam, wo die Hochzeit sollte gehalten werden, erschien der Bräutigam, der Müller aber ließ alle seine Verwandte und Bekannte einladen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jedem aufgegeben, etwas zu erzählen. Da sprach der Bräutigam zur Braut: "nun, mein Herz, weißt du nichts? erzähl uns auch etwas." Sie antwortete: "so will ich einen Traum erzählen. Jch ging durch einen Wald und kam an ein Haus, da war keine Menschenseele darin, aber ein Vogel im Bauer rief zweimal: "kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Mörderhaus!" mein Schatz, das träumte mir nur. -- Da ging ich durch alle Stuben, die waren alle leer, bis ich in den Keller kam, wo eine steinalte Frau saß. Jch sprach: "wohnt mein Bräutigam hier?" Sie aber antwortete: "ach! du liebes Kind, du bist in eine Mördergrube gekommen, der Bräutigam will dich zerhacken und tödten, und will dich dann kochen und essen." -- mein Schatz, das träumte mir nur. -- Aber sie versteckte mich hinter ein großes Faß und kaum war das geschehen, so kamen die Räuber heim und schleppten eine Jungfrau mit sich, der gaben sie dreierlei Wein zu trinken: weißen, rothen und gelben, davon zersprang ihr das Herz. -- Mein Schatz, das träumte mir nur. -- Darauf zogen sie ihr die feinen Kleider ab, und zerhackten auf einem Tisch ihren schönen Leib in Stücke, und bestreuten sie mit Salz -- mein Schatz, das träumte mir nur. -- Und einer von den Räubern sah, daß an dem Goldfinger noch ein Ring steckte, und weil Als nun der Tag kam, wo die Hochzeit sollte gehalten werden, erschien der Braͤutigam, der Muͤller aber ließ alle seine Verwandte und Bekannte einladen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jedem aufgegeben, etwas zu erzaͤhlen. Da sprach der Braͤutigam zur Braut: „nun, mein Herz, weißt du nichts? erzaͤhl uns auch etwas.“ Sie antwortete: „so will ich einen Traum erzaͤhlen. Jch ging durch einen Wald und kam an ein Haus, da war keine Menschenseele darin, aber ein Vogel im Bauer rief zweimal: „kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus!“ mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Da ging ich durch alle Stuben, die waren alle leer, bis ich in den Keller kam, wo eine steinalte Frau saß. Jch sprach: „wohnt mein Braͤutigam hier?“ Sie aber antwortete: „ach! du liebes Kind, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen, der Braͤutigam will dich zerhacken und toͤdten, und will dich dann kochen und essen.“ — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Aber sie versteckte mich hinter ein großes Faß und kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und schleppten eine Jungfrau mit sich, der gaben sie dreierlei Wein zu trinken: weißen, rothen und gelben, davon zersprang ihr das Herz. — Mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Darauf zogen sie ihr die feinen Kleider ab, und zerhackten auf einem Tisch ihren schoͤnen Leib in Stuͤcke, und bestreuten sie mit Salz — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Und einer von den Raͤubern sah, daß an dem Goldfinger noch ein Ring steckte, und weil <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0273" n="209"/> <p> Als nun der Tag kam, wo die Hochzeit sollte gehalten werden, erschien der Braͤutigam, der Muͤller aber ließ alle seine Verwandte und Bekannte einladen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jedem aufgegeben, etwas zu erzaͤhlen. Da sprach der Braͤutigam zur Braut: „nun, mein Herz, weißt du nichts? erzaͤhl uns auch etwas.“ Sie antwortete: „so will ich einen Traum erzaͤhlen. Jch ging durch einen Wald und kam an ein Haus, da war keine Menschenseele darin, aber ein Vogel im Bauer rief zweimal:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„kehr um, kehr um, du junge Braut,</l><lb/> <l>du bist in einem Moͤrderhaus!“</l><lb/> </lg> <p>mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Da ging ich durch alle Stuben, die waren alle leer, bis ich in den Keller kam, wo eine steinalte Frau saß. Jch sprach: „wohnt mein Braͤutigam hier?“ Sie aber antwortete: „ach! du liebes Kind, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen, der Braͤutigam will dich zerhacken und toͤdten, und will dich dann kochen und essen.“ — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Aber sie versteckte mich hinter ein großes Faß und kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und schleppten eine Jungfrau mit sich, der gaben sie dreierlei Wein zu trinken: weißen, rothen und gelben, davon zersprang ihr das Herz. — Mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Darauf zogen sie ihr die feinen Kleider ab, und zerhackten auf einem Tisch ihren schoͤnen Leib in Stuͤcke, und bestreuten sie mit Salz — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Und einer von den Raͤubern sah, daß an dem Goldfinger noch ein Ring steckte, und weil </p> </div> </body> </text> </TEI> [209/0273]
Als nun der Tag kam, wo die Hochzeit sollte gehalten werden, erschien der Braͤutigam, der Muͤller aber ließ alle seine Verwandte und Bekannte einladen. Wie sie bei Tische saßen, ward einem jedem aufgegeben, etwas zu erzaͤhlen. Da sprach der Braͤutigam zur Braut: „nun, mein Herz, weißt du nichts? erzaͤhl uns auch etwas.“ Sie antwortete: „so will ich einen Traum erzaͤhlen. Jch ging durch einen Wald und kam an ein Haus, da war keine Menschenseele darin, aber ein Vogel im Bauer rief zweimal:
„kehr um, kehr um, du junge Braut,
du bist in einem Moͤrderhaus!“
mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Da ging ich durch alle Stuben, die waren alle leer, bis ich in den Keller kam, wo eine steinalte Frau saß. Jch sprach: „wohnt mein Braͤutigam hier?“ Sie aber antwortete: „ach! du liebes Kind, du bist in eine Moͤrdergrube gekommen, der Braͤutigam will dich zerhacken und toͤdten, und will dich dann kochen und essen.“ — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Aber sie versteckte mich hinter ein großes Faß und kaum war das geschehen, so kamen die Raͤuber heim und schleppten eine Jungfrau mit sich, der gaben sie dreierlei Wein zu trinken: weißen, rothen und gelben, davon zersprang ihr das Herz. — Mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Darauf zogen sie ihr die feinen Kleider ab, und zerhackten auf einem Tisch ihren schoͤnen Leib in Stuͤcke, und bestreuten sie mit Salz — mein Schatz, das traͤumte mir nur. — Und einer von den Raͤubern sah, daß an dem Goldfinger noch ein Ring steckte, und weil
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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