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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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sieben Bergen bei den sieben Zwergen war, sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte, denn so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie lange nachgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin an und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge hinaus zu dem Zwergenhaus, klopfte an die Thüre und rief: "gute Waare feil! feil!" Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: "Guten Tag, liebe Frau, was habt ihr denn zu verkaufen?" "Gute Waare, schöne Waare, antwortete sie, Schnürriemen von allen Farben," dabei holte sie einen buntigen von Seide hervor und zeigte ihn. Die gute Frau kann ich herein lassen, dachte Sneewittchen, die meints redlich: riegelte die Thüre auf und kaufte sich den bunten Schnürriemen. "Wart, Kind, sprach die Alte, wie bist du geschnürt! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren." Sneewittchen dachte an nichts böses, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte mit schnellen Fingern und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem verging und es für todt hinfiel. "Nun ists aus mit deiner Schönheit," sprach das böse Weib und ging fort.

Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen fanden, das sich nicht regte und nicht bewegte, als wär es todt! Sie hoben es in die Höhe, da sahen sie, daß es zu fest geschnürt war und schnitten den Schnürriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu athmen und ward nach und

sieben Bergen bei den sieben Zwergen war, sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte, denn so lange sie nicht die schoͤnste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie lange nachgedacht hatte, faͤrbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Kraͤmerin an und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt ging sie uͤber die sieben Berge hinaus zu dem Zwergenhaus, klopfte an die Thuͤre und rief: „gute Waare feil! feil!“ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: „Guten Tag, liebe Frau, was habt ihr denn zu verkaufen?“ „Gute Waare, schoͤne Waare, antwortete sie, Schnuͤrriemen von allen Farben,“ dabei holte sie einen buntigen von Seide hervor und zeigte ihn. Die gute Frau kann ich herein lassen, dachte Sneewittchen, die meints redlich: riegelte die Thuͤre auf und kaufte sich den bunten Schnuͤrriemen. „Wart, Kind, sprach die Alte, wie bist du geschnuͤrt! komm, ich will dich einmal ordentlich schnuͤren.“ Sneewittchen dachte an nichts boͤses, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnuͤrriemen schnuͤren; aber die Alte schnuͤrte mit schnellen Fingern und schnuͤrte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem verging und es fuͤr todt hinfiel. „Nun ists aus mit deiner Schoͤnheit,“ sprach das boͤse Weib und ging fort.

Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen fanden, das sich nicht regte und nicht bewegte, als waͤr es todt! Sie hoben es in die Hoͤhe, da sahen sie, daß es zu fest geschnuͤrt war und schnitten den Schnuͤrriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu athmen und ward nach und

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[268/0332] sieben Bergen bei den sieben Zwergen war, sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte, denn so lange sie nicht die schoͤnste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie lange nachgedacht hatte, faͤrbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Kraͤmerin an und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt ging sie uͤber die sieben Berge hinaus zu dem Zwergenhaus, klopfte an die Thuͤre und rief: „gute Waare feil! feil!“ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: „Guten Tag, liebe Frau, was habt ihr denn zu verkaufen?“ „Gute Waare, schoͤne Waare, antwortete sie, Schnuͤrriemen von allen Farben,“ dabei holte sie einen buntigen von Seide hervor und zeigte ihn. Die gute Frau kann ich herein lassen, dachte Sneewittchen, die meints redlich: riegelte die Thuͤre auf und kaufte sich den bunten Schnuͤrriemen. „Wart, Kind, sprach die Alte, wie bist du geschnuͤrt! komm, ich will dich einmal ordentlich schnuͤren.“ Sneewittchen dachte an nichts boͤses, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnuͤrriemen schnuͤren; aber die Alte schnuͤrte mit schnellen Fingern und schnuͤrte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem verging und es fuͤr todt hinfiel. „Nun ists aus mit deiner Schoͤnheit,“ sprach das boͤse Weib und ging fort. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen fanden, das sich nicht regte und nicht bewegte, als waͤr es todt! Sie hoben es in die Hoͤhe, da sahen sie, daß es zu fest geschnuͤrt war und schnitten den Schnuͤrriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu athmen und ward nach und

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/332>, abgerufen am 27.07.2024.