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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Völkern in verschiedenen, nähern und entferntern Graden der Verwandtschaft. Besonders auffallend ist die Uebereinstimmung mit den serbischen Märchen, denn es wird wohl niemand darauf verfallen, daß die Erzählungen in einem einsamen hessischen Dorfe durch Serbier könnten dahin verpflanzt seyn, so wenig als auf das Gegentheil. Endlich finden sich sowohl in einzelnen Zügen und Wendungen als im Zusammenhang des Ganzen Uebereinstimmungen mit morgenländischen, persischen und indischen Märchen. Die Verwandtschaft also, welche in der Sprache aller dieser Völker durchbricht und welche noch neuerdings Rask scharfsinnig bewiesen hat, offenbart sich gerade so in ihrer überlieferten Poesie, welche ja auch nur eine höhere und freiere Sprache des Menschen

Nicht anders als dort deutet dieses Verhältniß auf eine, den Trennungen der Völker vorangegangene gemeinsame Zeit; sucht man aber nach diesem Ursprunge hin, so weicht er immer wieder in die Ferne zurück und bleibt wie etwas Unerforschliches und darum Geheimnißreiches in der Dunkelheit zurück.

Was den Jnhalt selbst betrifft, so zeigt er bei näherer Betrachtung nicht ein bloßes Gewebe phantastischer Willkür, welche nach der Lust oder dem Bedürfniß des Augenblicks die Fäden bunt in einander schlägt, sondern es läßt sich darin ein Grund, eine Bedeutung, ein Kern gar wohl erkennen. Es sind hier Gedanken über das Göttliche und Geistige im Leben aufbewahrt: alter Glaube und Glaubenslehre in das epische Element, das sich mit der Geschichte eines Volkes entwickelt, getaucht und leiblich gestaltet. Doch Absicht und

Voͤlkern in verschiedenen, naͤhern und entferntern Graden der Verwandtschaft. Besonders auffallend ist die Uebereinstimmung mit den serbischen Maͤrchen, denn es wird wohl niemand darauf verfallen, daß die Erzaͤhlungen in einem einsamen hessischen Dorfe durch Serbier koͤnnten dahin verpflanzt seyn, so wenig als auf das Gegentheil. Endlich finden sich sowohl in einzelnen Zuͤgen und Wendungen als im Zusammenhang des Ganzen Uebereinstimmungen mit morgenlaͤndischen, persischen und indischen Maͤrchen. Die Verwandtschaft also, welche in der Sprache aller dieser Voͤlker durchbricht und welche noch neuerdings Rask scharfsinnig bewiesen hat, offenbart sich gerade so in ihrer uͤberlieferten Poesie, welche ja auch nur eine hoͤhere und freiere Sprache des Menschen

Nicht anders als dort deutet dieses Verhaͤltniß auf eine, den Trennungen der Voͤlker vorangegangene gemeinsame Zeit; sucht man aber nach diesem Ursprunge hin, so weicht er immer wieder in die Ferne zuruͤck und bleibt wie etwas Unerforschliches und darum Geheimnißreiches in der Dunkelheit zuruͤck.

Was den Jnhalt selbst betrifft, so zeigt er bei naͤherer Betrachtung nicht ein bloßes Gewebe phantastischer Willkuͤr, welche nach der Lust oder dem Beduͤrfniß des Augenblicks die Faͤden bunt in einander schlaͤgt, sondern es laͤßt sich darin ein Grund, eine Bedeutung, ein Kern gar wohl erkennen. Es sind hier Gedanken uͤber das Goͤttliche und Geistige im Leben aufbewahrt: alter Glaube und Glaubenslehre in das epische Element, das sich mit der Geschichte eines Volkes entwickelt, getaucht und leiblich gestaltet. Doch Absicht und

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[XXVII/0035] Voͤlkern in verschiedenen, naͤhern und entferntern Graden der Verwandtschaft. Besonders auffallend ist die Uebereinstimmung mit den serbischen Maͤrchen, denn es wird wohl niemand darauf verfallen, daß die Erzaͤhlungen in einem einsamen hessischen Dorfe durch Serbier koͤnnten dahin verpflanzt seyn, so wenig als auf das Gegentheil. Endlich finden sich sowohl in einzelnen Zuͤgen und Wendungen als im Zusammenhang des Ganzen Uebereinstimmungen mit morgenlaͤndischen, persischen und indischen Maͤrchen. Die Verwandtschaft also, welche in der Sprache aller dieser Voͤlker durchbricht und welche noch neuerdings Rask scharfsinnig bewiesen hat, offenbart sich gerade so in ihrer uͤberlieferten Poesie, welche ja auch nur eine hoͤhere und freiere Sprache des Menschen Nicht anders als dort deutet dieses Verhaͤltniß auf eine, den Trennungen der Voͤlker vorangegangene gemeinsame Zeit; sucht man aber nach diesem Ursprunge hin, so weicht er immer wieder in die Ferne zuruͤck und bleibt wie etwas Unerforschliches und darum Geheimnißreiches in der Dunkelheit zuruͤck. Was den Jnhalt selbst betrifft, so zeigt er bei naͤherer Betrachtung nicht ein bloßes Gewebe phantastischer Willkuͤr, welche nach der Lust oder dem Beduͤrfniß des Augenblicks die Faͤden bunt in einander schlaͤgt, sondern es laͤßt sich darin ein Grund, eine Bedeutung, ein Kern gar wohl erkennen. Es sind hier Gedanken uͤber das Goͤttliche und Geistige im Leben aufbewahrt: alter Glaube und Glaubenslehre in das epische Element, das sich mit der Geschichte eines Volkes entwickelt, getaucht und leiblich gestaltet. Doch Absicht und

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. XXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/35>, abgerufen am 21.11.2024.