Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.den tiefsten Kerker sollte geworfen werden. Darauf sprach der Jäger weiter: "Herr Vater, wollt ihr auch das Mädchen sehen, das mich so zärtlich aufgezogen hat, das mich ums Leben bringen sollte, aber es nicht that?" Antwortete der König: "ja, ich will sie gern sehen." Sprach der Sohn: "gnädigster Herr Vater, ich will sie euch zeigen in Gestalt einer schönen Blume." Und griff in die Tasche und holte die Nelke und stellte sie auf die königliche Tafel und sie war so schön, als der König nie eine gesehen hatte. Darauf sprach der Sohn: "nun will ich sie auch in ihrer wahren Gestalt zeigen" und wünschte sie zu einer Jungfrau; da stand sie da und war so schön, daß kein Mahler sie schöner mahlen konnte. Der König aber schickte zwei Kammerfrauen und zwei Diener hinab in den Thurm, die sollten die Frau Königin holen und an die königliche Tafel bringen. Wie sie sie aber dahin brachten, aß sie nichts mehr und sagte: "der gnädige, barmherzige Gott, der mich im Thurm erhalten hat, wird mich bald erlösen." Da lebte sie noch drei Tage und starb dann selig; und als sie begraben ward, da folgten ihr die zwei weißen Tauben nach, die ihr das Essen in den Thurm gebracht hatten und Engel vom Himmel waren, und setzten sich auf ihr Grab. Der alte König ließ den Koch in vier Stücke zerreißen; aber darnach lebte er nicht lange mehr vor Gram. Der Sohn aber heirathete die schöne Jungfrau, die er als Blume in der Tasche mitgebracht hatte, und ob sie noch leben, das steht bei Gott. den tiefsten Kerker sollte geworfen werden. Darauf sprach der Jaͤger weiter: „Herr Vater, wollt ihr auch das Maͤdchen sehen, das mich so zaͤrtlich aufgezogen hat, das mich ums Leben bringen sollte, aber es nicht that?“ Antwortete der Koͤnig: „ja, ich will sie gern sehen.“ Sprach der Sohn: „gnaͤdigster Herr Vater, ich will sie euch zeigen in Gestalt einer schoͤnen Blume.“ Und griff in die Tasche und holte die Nelke und stellte sie auf die koͤnigliche Tafel und sie war so schoͤn, als der Koͤnig nie eine gesehen hatte. Darauf sprach der Sohn: „nun will ich sie auch in ihrer wahren Gestalt zeigen“ und wuͤnschte sie zu einer Jungfrau; da stand sie da und war so schoͤn, daß kein Mahler sie schoͤner mahlen konnte. Der Koͤnig aber schickte zwei Kammerfrauen und zwei Diener hinab in den Thurm, die sollten die Frau Koͤnigin holen und an die koͤnigliche Tafel bringen. Wie sie sie aber dahin brachten, aß sie nichts mehr und sagte: „der gnaͤdige, barmherzige Gott, der mich im Thurm erhalten hat, wird mich bald erloͤsen.“ Da lebte sie noch drei Tage und starb dann selig; und als sie begraben ward, da folgten ihr die zwei weißen Tauben nach, die ihr das Essen in den Thurm gebracht hatten und Engel vom Himmel waren, und setzten sich auf ihr Grab. Der alte Koͤnig ließ den Koch in vier Stuͤcke zerreißen; aber darnach lebte er nicht lange mehr vor Gram. Der Sohn aber heirathete die schoͤne Jungfrau, die er als Blume in der Tasche mitgebracht hatte, und ob sie noch leben, das steht bei Gott. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0461" n="397"/> den tiefsten Kerker sollte geworfen werden. Darauf sprach der Jaͤger weiter: „Herr Vater, wollt ihr auch das Maͤdchen sehen, das mich so zaͤrtlich aufgezogen hat, das mich ums Leben bringen sollte, aber es nicht that?“ Antwortete der Koͤnig: „ja, ich will sie gern sehen.“ Sprach der Sohn: „gnaͤdigster Herr Vater, ich will sie euch zeigen in Gestalt einer schoͤnen Blume.“ Und griff in die Tasche und holte die Nelke und stellte sie auf die koͤnigliche Tafel und sie war so schoͤn, als der Koͤnig nie eine gesehen hatte. Darauf sprach der Sohn: „nun will ich sie auch in ihrer wahren Gestalt zeigen“ und wuͤnschte sie zu einer Jungfrau; da stand sie da und war so schoͤn, daß kein Mahler sie schoͤner mahlen konnte.</p><lb/> <p>Der Koͤnig aber schickte zwei Kammerfrauen und zwei Diener hinab in den Thurm, die sollten die Frau Koͤnigin holen und an die koͤnigliche Tafel bringen. Wie sie sie aber dahin brachten, aß sie nichts mehr und sagte: „der gnaͤdige, barmherzige Gott, der mich im Thurm erhalten hat, wird mich bald erloͤsen.“ Da lebte sie noch drei Tage und starb dann selig; und als sie begraben ward, da folgten ihr die zwei weißen Tauben nach, die ihr das Essen in den Thurm gebracht hatten und Engel vom Himmel waren, und setzten sich auf ihr Grab. Der alte Koͤnig ließ den Koch in vier Stuͤcke zerreißen; aber darnach lebte er nicht lange mehr vor Gram. Der Sohn aber heirathete die schoͤne Jungfrau, die er als Blume in der Tasche mitgebracht hatte, und ob sie noch leben, das steht bei Gott.</p> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [397/0461]
den tiefsten Kerker sollte geworfen werden. Darauf sprach der Jaͤger weiter: „Herr Vater, wollt ihr auch das Maͤdchen sehen, das mich so zaͤrtlich aufgezogen hat, das mich ums Leben bringen sollte, aber es nicht that?“ Antwortete der Koͤnig: „ja, ich will sie gern sehen.“ Sprach der Sohn: „gnaͤdigster Herr Vater, ich will sie euch zeigen in Gestalt einer schoͤnen Blume.“ Und griff in die Tasche und holte die Nelke und stellte sie auf die koͤnigliche Tafel und sie war so schoͤn, als der Koͤnig nie eine gesehen hatte. Darauf sprach der Sohn: „nun will ich sie auch in ihrer wahren Gestalt zeigen“ und wuͤnschte sie zu einer Jungfrau; da stand sie da und war so schoͤn, daß kein Mahler sie schoͤner mahlen konnte.
Der Koͤnig aber schickte zwei Kammerfrauen und zwei Diener hinab in den Thurm, die sollten die Frau Koͤnigin holen und an die koͤnigliche Tafel bringen. Wie sie sie aber dahin brachten, aß sie nichts mehr und sagte: „der gnaͤdige, barmherzige Gott, der mich im Thurm erhalten hat, wird mich bald erloͤsen.“ Da lebte sie noch drei Tage und starb dann selig; und als sie begraben ward, da folgten ihr die zwei weißen Tauben nach, die ihr das Essen in den Thurm gebracht hatten und Engel vom Himmel waren, und setzten sich auf ihr Grab. Der alte Koͤnig ließ den Koch in vier Stuͤcke zerreißen; aber darnach lebte er nicht lange mehr vor Gram. Der Sohn aber heirathete die schoͤne Jungfrau, die er als Blume in der Tasche mitgebracht hatte, und ob sie noch leben, das steht bei Gott.
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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