Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

Morgen kam der König und wollte sich erkundigen: "wie ist dirs diesmal gegangen?" fragte er. "Jch hab gekegelt, antwortete er, und ein paar Heller verlohren. "Hat dir denn nicht gegruselt?" -- "Ei was, sprach er, lustig hab ich mich gemacht, wenn ich nur wüßte, was das Gruseln wäre!"

Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: "wenn es mir nur gruselte!" Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er: "ha ha! das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist" winkte mit dem Finger und rief: "komm, Vetterchen, komm!" Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein todter Mann darinn; er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. "Wart sprach er, ich will dich ein bischen wärmen" ging ans Feuer wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwärmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu, und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: "siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!" Der Todte aber hub an und rief: "jetzt will ich dich erwürgen." "Was, sagte er, ist das mein Dank? nun sollst du wieder in deinen Sarg," hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen

Morgen kam der Koͤnig und wollte sich erkundigen: „wie ist dirs diesmal gegangen?“ fragte er. „Jch hab gekegelt, antwortete er, und ein paar Heller verlohren. „Hat dir denn nicht gegruselt?“ — „Ei was, sprach er, lustig hab ich mich gemacht, wenn ich nur wuͤßte, was das Gruseln waͤre!“

Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: „wenn es mir nur gruselte!“ Als es spaͤt ward, kamen sechs große Maͤnner und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er: „ha ha! das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist“ winkte mit dem Finger und rief: „komm, Vetterchen, komm!“ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein todter Mann darinn; er fuͤhlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. „Wart sprach er, ich will dich ein bischen waͤrmen“ ging ans Feuer waͤrmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwaͤrmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: wenn zwei zusammen im Bett liegen, so waͤrmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu, und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: „siehst du, Vetterchen, haͤtt ich dich nicht gewaͤrmt!“ Der Todte aber hub an und rief: „jetzt will ich dich erwuͤrgen.“ “Was, sagte er, ist das mein Dank? nun sollst du wieder in deinen Sarg,“ hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="23"/>
Morgen kam der Ko&#x0364;nig und wollte sich erkundigen: &#x201E;wie ist dirs diesmal gegangen?&#x201C; fragte er. &#x201E;Jch hab gekegelt, antwortete er, und ein paar Heller verlohren. &#x201E;Hat dir denn nicht gegruselt?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ei was, sprach er, lustig hab ich mich gemacht, wenn ich nur wu&#x0364;ßte, was das Gruseln wa&#x0364;re!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: &#x201E;wenn es mir nur gruselte!&#x201C; Als es spa&#x0364;t ward, kamen sechs große Ma&#x0364;nner und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er: &#x201E;ha ha! das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist&#x201C; winkte mit dem Finger und rief: &#x201E;komm, Vetterchen, komm!&#x201C; Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein todter Mann darinn; er fu&#x0364;hlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. &#x201E;Wart sprach er, ich will dich ein bischen wa&#x0364;rmen&#x201C; ging ans Feuer wa&#x0364;rmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwa&#x0364;rmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wa&#x0364;rmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu, und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: &#x201E;siehst du, Vetterchen, ha&#x0364;tt ich dich nicht gewa&#x0364;rmt!&#x201C; Der Todte aber hub an und rief: &#x201E;jetzt will ich dich erwu&#x0364;rgen.&#x201C; &#x201C;Was, sagte er, ist das mein Dank? nun sollst du wieder in deinen Sarg,&#x201C; hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0087] Morgen kam der Koͤnig und wollte sich erkundigen: „wie ist dirs diesmal gegangen?“ fragte er. „Jch hab gekegelt, antwortete er, und ein paar Heller verlohren. „Hat dir denn nicht gegruselt?“ — „Ei was, sprach er, lustig hab ich mich gemacht, wenn ich nur wuͤßte, was das Gruseln waͤre!“ Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: „wenn es mir nur gruselte!“ Als es spaͤt ward, kamen sechs große Maͤnner und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er: „ha ha! das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist“ winkte mit dem Finger und rief: „komm, Vetterchen, komm!“ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab, da lag ein todter Mann darinn; er fuͤhlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. „Wart sprach er, ich will dich ein bischen waͤrmen“ ging ans Feuer waͤrmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß und rieb ihm die Arme, um ihn zu erwaͤrmen. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein: wenn zwei zusammen im Bett liegen, so waͤrmen sie sich, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu, und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an, sich zu regen. Da sprach der Junge: „siehst du, Vetterchen, haͤtt ich dich nicht gewaͤrmt!“ Der Todte aber hub an und rief: „jetzt will ich dich erwuͤrgen.“ “Was, sagte er, ist das mein Dank? nun sollst du wieder in deinen Sarg,“ hob ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/87
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/87>, abgerufen am 24.11.2024.