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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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ihn bei der Hand und führte ihn hinauf, denn es war die Kammerjungfer. Als die Königstochter die Waare sah, war sie ganz vergnügt und sprach: "es ist so schön gearbeitet, daß ich dir alles abkaufen will." Aber der getreue Johannes sprach: "ich bin nur der Diener von einem reichen Kaufmann, was ich hier habe, ist nichts gegen das was mein Herr auf seinem Schiff stehen hat, das ist das künstlichste und köstlichste, was je in Gold ist gebildet worden. Sie wollte alles heraufgebracht haben, aber er sprach: "dazu gehören viele Tage, so groß ist die Menge, und so viel Säle um es aufzustellen, als ein großes Haus nicht hat." Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr angeregt, so daß sie endlich sagte: "führe mich hin zu dem Schiff, ich will selbst hingehen und deines Herrn Schätze betrachten."

Da führte sie der getreue Johannes freudig zu dem Schiffe hin und der König, als er sie erblickte, meinte nicht anders, als das Herz wollte ihm zerspringen, und nur mit großer Mühe konnte er sich zurückhalten. Nun stieg sie in das Schiff und der König führte sie hinein, der getreue Johannes aber blieb zurück bei dem Steuermann und hieß das Schiff abstoßen: "spannt alle Segel auf, daß es fortfliegt, wie der Vogel in der Luft." Der König aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schüsseln, Becher, Näpfe, die Vögel, das Gewild und die wunderbaren Thiere, so gingen viele Stunden herum, sie sah alles mit großer Freude und merkte nicht, daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim, aber als sie an des Schiffes Rand

ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn hinauf, denn es war die Kammerjungfer. Als die Koͤnigstochter die Waare sah, war sie ganz vergnuͤgt und sprach: „es ist so schoͤn gearbeitet, daß ich dir alles abkaufen will.“ Aber der getreue Johannes sprach: „ich bin nur der Diener von einem reichen Kaufmann, was ich hier habe, ist nichts gegen das was mein Herr auf seinem Schiff stehen hat, das ist das kuͤnstlichste und koͤstlichste, was je in Gold ist gebildet worden. Sie wollte alles heraufgebracht haben, aber er sprach: „dazu gehoͤren viele Tage, so groß ist die Menge, und so viel Saͤle um es aufzustellen, als ein großes Haus nicht hat.“ Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr angeregt, so daß sie endlich sagte: „fuͤhre mich hin zu dem Schiff, ich will selbst hingehen und deines Herrn Schaͤtze betrachten.“

Da fuͤhrte sie der getreue Johannes freudig zu dem Schiffe hin und der Koͤnig, als er sie erblickte, meinte nicht anders, als das Herz wollte ihm zerspringen, und nur mit großer Muͤhe konnte er sich zuruͤckhalten. Nun stieg sie in das Schiff und der Koͤnig fuͤhrte sie hinein, der getreue Johannes aber blieb zuruͤck bei dem Steuermann und hieß das Schiff abstoßen: „spannt alle Segel auf, daß es fortfliegt, wie der Vogel in der Luft.“ Der Koͤnig aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe, die Voͤgel, das Gewild und die wunderbaren Thiere, so gingen viele Stunden herum, sie sah alles mit großer Freude und merkte nicht, daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim, aber als sie an des Schiffes Rand

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[33/0097] ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn hinauf, denn es war die Kammerjungfer. Als die Koͤnigstochter die Waare sah, war sie ganz vergnuͤgt und sprach: „es ist so schoͤn gearbeitet, daß ich dir alles abkaufen will.“ Aber der getreue Johannes sprach: „ich bin nur der Diener von einem reichen Kaufmann, was ich hier habe, ist nichts gegen das was mein Herr auf seinem Schiff stehen hat, das ist das kuͤnstlichste und koͤstlichste, was je in Gold ist gebildet worden. Sie wollte alles heraufgebracht haben, aber er sprach: „dazu gehoͤren viele Tage, so groß ist die Menge, und so viel Saͤle um es aufzustellen, als ein großes Haus nicht hat.“ Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr angeregt, so daß sie endlich sagte: „fuͤhre mich hin zu dem Schiff, ich will selbst hingehen und deines Herrn Schaͤtze betrachten.“ Da fuͤhrte sie der getreue Johannes freudig zu dem Schiffe hin und der Koͤnig, als er sie erblickte, meinte nicht anders, als das Herz wollte ihm zerspringen, und nur mit großer Muͤhe konnte er sich zuruͤckhalten. Nun stieg sie in das Schiff und der Koͤnig fuͤhrte sie hinein, der getreue Johannes aber blieb zuruͤck bei dem Steuermann und hieß das Schiff abstoßen: „spannt alle Segel auf, daß es fortfliegt, wie der Vogel in der Luft.“ Der Koͤnig aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schuͤsseln, Becher, Naͤpfe, die Voͤgel, das Gewild und die wunderbaren Thiere, so gingen viele Stunden herum, sie sah alles mit großer Freude und merkte nicht, daß das Schiff dahin fuhr. Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim, aber als sie an des Schiffes Rand

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/97>, abgerufen am 27.07.2024.