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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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erweckt hatte. Dann reichte er ihr etwas Wein und Brot, und als sie wieder zu Kräften gekommen war, erhob sie sich, und sie giengen zu der Thüre, und klopften und riefen so laut daß es die Wachen hörten und dem Könige meldeten. Der König kam selbst herab und öffnete die Thüre, da fand er beide frisch und gesund, und freute sich mit ihnen daß nun alle Noth überstanden war. Die drei Schlangenblätter aber nahm der junge König mit, gab sie einem Diener, und sprach 'verwahr sie mir sorgfältig, und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß in welcher Noth sie uns noch helfen können.'

Es war aber in der Frau, nachdem sie wieder ins Leben war erweckt worden, eine Veränderung vorgegangen: es war als ob alle Liebe zu ihrem Manne aus ihrem Herzen gewichen wäre. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, so vergaß sie gänzlich der großen Liebe und Treue, die er ihr bewiesen und womit er sie vom Tode gerettet hatte, und faste eine böse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge König einmal da lag und schlief, rief sie den Schiffer herbei, und faßte den schlafenden am Kopfe, und der Fischer mußte ihn an den Füßen fassen, und so warfen sie ihn hinab ins Meer. Als die Schandthat vollbracht war, sprach sie zu ihm 'nun laß uns heimkehren und sagen er sey unterwegs gestorben. Jch will dich schon bei meinem Vater so herausstreichen und rühmen, daß er mich mit dir vermählt und zum Erben seiner Krone einsetzt.' Aber der treue Diener, der alles mit angesehen hatte, machte unbemerkt ein kleines

erweckt hatte. Dann reichte er ihr etwas Wein und Brot, und als sie wieder zu Kraͤften gekommen war, erhob sie sich, und sie giengen zu der Thuͤre, und klopften und riefen so laut daß es die Wachen hoͤrten und dem Koͤnige meldeten. Der Koͤnig kam selbst herab und oͤffnete die Thuͤre, da fand er beide frisch und gesund, und freute sich mit ihnen daß nun alle Noth uͤberstanden war. Die drei Schlangenblaͤtter aber nahm der junge Koͤnig mit, gab sie einem Diener, und sprach ‘verwahr sie mir sorgfaͤltig, und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß in welcher Noth sie uns noch helfen koͤnnen.’

Es war aber in der Frau, nachdem sie wieder ins Leben war erweckt worden, eine Veraͤnderung vorgegangen: es war als ob alle Liebe zu ihrem Manne aus ihrem Herzen gewichen waͤre. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, so vergaß sie gaͤnzlich der großen Liebe und Treue, die er ihr bewiesen und womit er sie vom Tode gerettet hatte, und faste eine boͤse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge Koͤnig einmal da lag und schlief, rief sie den Schiffer herbei, und faßte den schlafenden am Kopfe, und der Fischer mußte ihn an den Fuͤßen fassen, und so warfen sie ihn hinab ins Meer. Als die Schandthat vollbracht war, sprach sie zu ihm ‘nun laß uns heimkehren und sagen er sey unterwegs gestorben. Jch will dich schon bei meinem Vater so herausstreichen und ruͤhmen, daß er mich mit dir vermaͤhlt und zum Erben seiner Krone einsetzt.’ Aber der treue Diener, der alles mit angesehen hatte, machte unbemerkt ein kleines

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[105/0136] erweckt hatte. Dann reichte er ihr etwas Wein und Brot, und als sie wieder zu Kraͤften gekommen war, erhob sie sich, und sie giengen zu der Thuͤre, und klopften und riefen so laut daß es die Wachen hoͤrten und dem Koͤnige meldeten. Der Koͤnig kam selbst herab und oͤffnete die Thuͤre, da fand er beide frisch und gesund, und freute sich mit ihnen daß nun alle Noth uͤberstanden war. Die drei Schlangenblaͤtter aber nahm der junge Koͤnig mit, gab sie einem Diener, und sprach ‘verwahr sie mir sorgfaͤltig, und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß in welcher Noth sie uns noch helfen koͤnnen.’ Es war aber in der Frau, nachdem sie wieder ins Leben war erweckt worden, eine Veraͤnderung vorgegangen: es war als ob alle Liebe zu ihrem Manne aus ihrem Herzen gewichen waͤre. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, so vergaß sie gaͤnzlich der großen Liebe und Treue, die er ihr bewiesen und womit er sie vom Tode gerettet hatte, und faste eine boͤse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge Koͤnig einmal da lag und schlief, rief sie den Schiffer herbei, und faßte den schlafenden am Kopfe, und der Fischer mußte ihn an den Fuͤßen fassen, und so warfen sie ihn hinab ins Meer. Als die Schandthat vollbracht war, sprach sie zu ihm ‘nun laß uns heimkehren und sagen er sey unterwegs gestorben. Jch will dich schon bei meinem Vater so herausstreichen und ruͤhmen, daß er mich mit dir vermaͤhlt und zum Erben seiner Krone einsetzt.’ Aber der treue Diener, der alles mit angesehen hatte, machte unbemerkt ein kleines

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/136>, abgerufen am 28.11.2024.