Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. 'Was ist das?' sprach der Riese, 'hast du nicht Kraft die schwache Gerte zu halten?' 'An der Kraft fehlt es nicht,' antwortete das Schneiderlein, 'meinst du das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn dus vermagst.' Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt. Der Riese sprach 'wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle, und übernachte bei uns. Das Schneiderlein war bereit, und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand, und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um, und dachte 'es ist doch hier viel weitläuftiger als in meiner Werkstatt.' Der Riese wies ihm ein Bett an, und sagte er solle sich hinein legen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, er legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war, und der Riese meinte das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag durch, und meinte er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen giengen die Riesen in den Wald, und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und kecklich daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. ‘Was ist das?’ sprach der Riese, ‘hast du nicht Kraft die schwache Gerte zu halten?’ ‘An der Kraft fehlt es nicht,’ antwortete das Schneiderlein, ‘meinst du das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn dus vermagst.’ Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt. Der Riese sprach ‘wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle, und übernachte bei uns. Das Schneiderlein war bereit, und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand, und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um, und dachte ‘es ist doch hier viel weitläuftiger als in meiner Werkstatt.’ Der Riese wies ihm ein Bett an, und sagte er solle sich hinein legen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, er legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war, und der Riese meinte das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag durch, und meinte er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen giengen die Riesen in den Wald, und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und kecklich daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="130"/> die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. ‘Was ist das?’ sprach der Riese, ‘hast du nicht Kraft die schwache Gerte zu halten?’ ‘An der Kraft fehlt es nicht,’ antwortete das Schneiderlein, ‘meinst du das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn dus vermagst.’ Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.</p><lb/> <p>Der Riese sprach ‘wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle, und übernachte bei uns. Das Schneiderlein war bereit, und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand, und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um, und dachte ‘es ist doch hier viel weitläuftiger als in meiner Werkstatt.’ Der Riese wies ihm ein Bett an, und sagte er solle sich hinein legen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, er legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war, und der Riese meinte das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag durch, und meinte er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen giengen die Riesen in den Wald, und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und kecklich daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten </p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0168]
die Höhe, und der Schneider ward mit in die Luft geschnellt. ‘Was ist das?’ sprach der Riese, ‘hast du nicht Kraft die schwache Gerte zu halten?’ ‘An der Kraft fehlt es nicht,’ antwortete das Schneiderlein, ‘meinst du das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn dus vermagst.’ Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, also daß das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.
Der Riese sprach ‘wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle, und übernachte bei uns. Das Schneiderlein war bereit, und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand, und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um, und dachte ‘es ist doch hier viel weitläuftiger als in meiner Werkstatt.’ Der Riese wies ihm ein Bett an, und sagte er solle sich hinein legen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß, er legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war, und der Riese meinte das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, so stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag durch, und meinte er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. Mit dem frühsten Morgen giengen die Riesen in den Wald, und hatten das Schneiderlein ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und kecklich daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/168>, abgerufen am 16.02.2025. |