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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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sprang er in den Wald hin ein, und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen, sie lagen unter einem Baume, und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine, und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, bis er endlich aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach 'ei, was schlägst du mich.' 'Du träumst,' sagte der andere, 'ich schlage dich nicht.' Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. 'Was soll das?' rief dieser jetzt, 'warum wirfst du mich?' 'Jch werfe dich nicht, du mußt träumen,' antwortete der erste. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus, und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. 'Das ist zu arg!' schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf, und fiel über seinen Gesellen her; dieser zahlte ihn mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen und auf einander los schlugen, und ließen nicht eher ab als bis sie beide todt auf der Erde lagen. Nun sprang das Schneiderlein herab. 'Ein Glück nur,' sprach es, 'daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätt ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!' Es zog sein

sprang er in den Wald hin ein, und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen, sie lagen unter einem Baume, und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine, und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, bis er endlich aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach ‘ei, was schlägst du mich.’ ‘Du träumst,’ sagte der andere, ‘ich schlage dich nicht.’ Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. ‘Was soll das?’ rief dieser jetzt, ‘warum wirfst du mich?’ ‘Jch werfe dich nicht, du mußt träumen,’ antwortete der erste. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus, und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. ‘Das ist zu arg!’ schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf, und fiel über seinen Gesellen her; dieser zahlte ihn mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen und auf einander los schlugen, und ließen nicht eher ab als bis sie beide todt auf der Erde lagen. Nun sprang das Schneiderlein herab. ‘Ein Glück nur,’ sprach es, ‘daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätt ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!’ Es zog sein

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[133/0171] sprang er in den Wald hin ein, und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen, sie lagen unter einem Baume, und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine, und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, bis er endlich aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach ‘ei, was schlägst du mich.’ ‘Du träumst,’ sagte der andere, ‘ich schlage dich nicht.’ Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. ‘Was soll das?’ rief dieser jetzt, ‘warum wirfst du mich?’ ‘Jch werfe dich nicht, du mußt träumen,’ antwortete der erste. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus, und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. ‘Das ist zu arg!’ schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf, und fiel über seinen Gesellen her; dieser zahlte ihn mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen und auf einander los schlugen, und ließen nicht eher ab als bis sie beide todt auf der Erde lagen. Nun sprang das Schneiderlein herab. ‘Ein Glück nur,’ sprach es, ‘daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätt ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!’ Es zog sein

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/171>, abgerufen am 18.05.2024.