Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

wollte nur ein wenig ruhen. Da legte er sich schlafen, und deckte ein Tuch über sein Gesicht.

Darauf gieng der Engel in die Kammer, wo die Königin mit ihrem Sohne saß, den sie gewöhnlich Schmerzenreich nannte, und sprach zu ihr 'geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein Gemahl ist gekommen.' Da gieng sie hin wo er lag, und das Tuch fiel ihm vom Angesicht. Da sprach sie 'Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf, und decke ihm sein Gesicht wieder zu.' Das Kind hob es auf, und deckte es wieder über sein Gesicht. Das hörte der König im Schlummer, und ließ das Tuch noch einmal gerne fallen. Da ward das Knäbchen ungeduldig, und sagte 'liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das Gesicht zudecken, ich habe ja keinen Vater auf der Welt? Jch habe das Beten gelernt, unser Vater, der du bist im Himmel; da hast du gesagt mein Vater wär im Himmel und wäre der liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist mein Vater nicht.' Wie der König das hörte, richtete er sich auf, und fragte wer sie wäre. Da sagte sie 'ich bin deine Frau, und das ist dein Sohn Schmerzenreich.' Und er sah ihre lebendigen Hände, und sprach 'meine Frau hatte silberne Hände.' Sie antwortete 'die natürlichen Hände hat mir der gnädige Gott wieder wachsen lassen;' und der Engel gieng in die Kammer, holte die silbernen Hände, und zeigte sie ihm. Da sah er erst gewiß daß es seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und küßte sie, und war froh, und sagte 'ein schwerer Stein ist von meinem Herzen gefallen.' Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen, und dann giengen sie nach

wollte nur ein wenig ruhen. Da legte er sich schlafen, und deckte ein Tuch über sein Gesicht.

Darauf gieng der Engel in die Kammer, wo die Königin mit ihrem Sohne saß, den sie gewöhnlich Schmerzenreich nannte, und sprach zu ihr ‘geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein Gemahl ist gekommen.’ Da gieng sie hin wo er lag, und das Tuch fiel ihm vom Angesicht. Da sprach sie ‘Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf, und decke ihm sein Gesicht wieder zu.’ Das Kind hob es auf, und deckte es wieder über sein Gesicht. Das hörte der König im Schlummer, und ließ das Tuch noch einmal gerne fallen. Da ward das Knäbchen ungeduldig, und sagte ‘liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das Gesicht zudecken, ich habe ja keinen Vater auf der Welt? Jch habe das Beten gelernt, unser Vater, der du bist im Himmel; da hast du gesagt mein Vater wär im Himmel und wäre der liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist mein Vater nicht.’ Wie der König das hörte, richtete er sich auf, und fragte wer sie wäre. Da sagte sie ‘ich bin deine Frau, und das ist dein Sohn Schmerzenreich.’ Und er sah ihre lebendigen Hände, und sprach ‘meine Frau hatte silberne Hände.’ Sie antwortete ‘die natürlichen Hände hat mir der gnädige Gott wieder wachsen lassen;’ und der Engel gieng in die Kammer, holte die silbernen Hände, und zeigte sie ihm. Da sah er erst gewiß daß es seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und küßte sie, und war froh, und sagte ‘ein schwerer Stein ist von meinem Herzen gefallen.’ Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen, und dann giengen sie nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="195"/>
wollte nur ein wenig ruhen. Da legte er sich schlafen, und deckte ein Tuch über sein Gesicht.</p><lb/>
        <p>Darauf gieng der Engel in die Kammer, wo die Königin mit ihrem Sohne saß, den sie gewöhnlich Schmerzenreich nannte, und sprach zu ihr &#x2018;geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein Gemahl ist gekommen.&#x2019; Da gieng sie hin wo er lag, und das Tuch fiel ihm vom Angesicht. Da sprach sie &#x2018;Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf, und decke ihm sein Gesicht wieder zu.&#x2019; Das Kind hob es auf, und deckte es wieder über sein Gesicht. Das hörte der König im Schlummer, und ließ das Tuch noch einmal gerne fallen. Da ward das Knäbchen ungeduldig, und sagte &#x2018;liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das Gesicht zudecken, ich habe ja keinen Vater auf der Welt? Jch habe das Beten gelernt, unser Vater, der du bist im Himmel; da hast du gesagt mein Vater wär im Himmel und wäre der liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist mein Vater nicht.&#x2019; Wie der König das hörte, richtete er sich auf, und fragte wer sie wäre. Da sagte sie &#x2018;ich bin deine Frau, und das ist dein Sohn Schmerzenreich.&#x2019; Und er sah ihre lebendigen Hände, und sprach &#x2018;meine Frau hatte silberne Hände.&#x2019; Sie antwortete &#x2018;die natürlichen Hände hat mir der gnädige Gott wieder wachsen lassen;&#x2019; und der Engel gieng in die Kammer, holte die silbernen Hände, und zeigte sie ihm. Da sah er erst gewiß daß es seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und küßte sie, und war froh, und sagte &#x2018;ein schwerer Stein ist von meinem Herzen gefallen.&#x2019; Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen, und dann giengen sie nach
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0233] wollte nur ein wenig ruhen. Da legte er sich schlafen, und deckte ein Tuch über sein Gesicht. Darauf gieng der Engel in die Kammer, wo die Königin mit ihrem Sohne saß, den sie gewöhnlich Schmerzenreich nannte, und sprach zu ihr ‘geh heraus mit sammt deinem Kinde, dein Gemahl ist gekommen.’ Da gieng sie hin wo er lag, und das Tuch fiel ihm vom Angesicht. Da sprach sie ‘Schmerzenreich, heb deinem Vater das Tuch auf, und decke ihm sein Gesicht wieder zu.’ Das Kind hob es auf, und deckte es wieder über sein Gesicht. Das hörte der König im Schlummer, und ließ das Tuch noch einmal gerne fallen. Da ward das Knäbchen ungeduldig, und sagte ‘liebe Mutter, wie kann ich meinem Vater das Gesicht zudecken, ich habe ja keinen Vater auf der Welt? Jch habe das Beten gelernt, unser Vater, der du bist im Himmel; da hast du gesagt mein Vater wär im Himmel und wäre der liebe Gott: wie soll ich einen so wilden Mann kennen? der ist mein Vater nicht.’ Wie der König das hörte, richtete er sich auf, und fragte wer sie wäre. Da sagte sie ‘ich bin deine Frau, und das ist dein Sohn Schmerzenreich.’ Und er sah ihre lebendigen Hände, und sprach ‘meine Frau hatte silberne Hände.’ Sie antwortete ‘die natürlichen Hände hat mir der gnädige Gott wieder wachsen lassen;’ und der Engel gieng in die Kammer, holte die silbernen Hände, und zeigte sie ihm. Da sah er erst gewiß daß es seine liebe Frau und sein liebes Kind war, und küßte sie, und war froh, und sagte ‘ein schwerer Stein ist von meinem Herzen gefallen.’ Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen, und dann giengen sie nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/233
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/233>, abgerufen am 21.11.2024.