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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte daß der Jäger sie betrogen hatte, und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt gieng sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre, und rief 'schöne Waare feil! feil!' Sneewittchen guckte zum Fenster heraus, und rief 'guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?' 'Gute Waare, schöne Waare' antwortete sie, 'Schnürriemen von allen Farben,' dabei holte sie einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. 'Die ehrliche Frau kann ich herein lassen' dachte Sneewittchen, riegelte die Thüre auf, und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. 'Kind,' sprach die Alte, 'wie du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.' Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte geschwind, und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem vergieng, und es für todt hinfiel. 'Nun bist du die schönste gewesen,' sprach sie, und eilte hinaus.

Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es todt. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen daß es zu fest geschnürt

Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte daß der Jäger sie betrogen hatte, und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt gieng sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre, und rief ‘schöne Waare feil! feil!’ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus, und rief ‘guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?’ ‘Gute Waare, schöne Waare’ antwortete sie, ‘Schnürriemen von allen Farben,’ dabei holte sie einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. ‘Die ehrliche Frau kann ich herein lassen’ dachte Sneewittchen, riegelte die Thüre auf, und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. ‘Kind,’ sprach die Alte, ‘wie du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.’ Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte geschwind, und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem vergieng, und es für todt hinfiel. ‘Nun bist du die schönste gewesen,’ sprach sie, und eilte hinaus.

Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es todt. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen daß es zu fest geschnürt

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[313/0351] Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte daß der Jäger sie betrogen hatte, und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz unkenntlich. Jn dieser Gestalt gieng sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre, und rief ‘schöne Waare feil! feil!’ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus, und rief ‘guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?’ ‘Gute Waare, schöne Waare’ antwortete sie, ‘Schnürriemen von allen Farben,’ dabei holte sie einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. ‘Die ehrliche Frau kann ich herein lassen’ dachte Sneewittchen, riegelte die Thüre auf, und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. ‘Kind,’ sprach die Alte, ‘wie du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.’ Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte geschwind, und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem vergieng, und es für todt hinfiel. ‘Nun bist du die schönste gewesen,’ sprach sie, und eilte hinaus. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es todt. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen daß es zu fest geschnürt

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/351>, abgerufen am 22.11.2024.