Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria, und sprach 'willst du nun die Wahrheit sagen, und gestehen daß du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen, und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.' Da war der Königin verliehen zu antworten, sie aber sprach 'nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,' und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus dem Arme, und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin, und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der König aber hatte sie zu lieb als daß ers glauben wollte. Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn, da trat in der Nacht auch wieder die Jungfrau Maria vor sie, und sprach 'willst du nun gestehen daß du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben, und deinen Mund lösen: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir.' Da sprach die Königin wiederum 'nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,' und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sei, sagten sie laut die Königin hätte es gefressen, und des Königs Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria, und sprach ‘willst du nun die Wahrheit sagen, und gestehen daß du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen, und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.’ Da war der Königin verliehen zu antworten, sie aber sprach ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus dem Arme, und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin, und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der König aber hatte sie zu lieb als daß ers glauben wollte. Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn, da trat in der Nacht auch wieder die Jungfrau Maria vor sie, und sprach ‘willst du nun gestehen daß du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben, und deinen Mund lösen: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir.’ Da sprach die Königin wiederum ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sei, sagten sie laut die Königin hätte es gefressen, und des Königs <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0052" n="14"/> <p> Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria, und sprach ‘willst du nun die Wahrheit sagen, und gestehen daß du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen, und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.’ Da war der Königin verliehen zu antworten, sie aber sprach ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus dem Arme, und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin, und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der König aber hatte sie zu lieb als daß ers glauben wollte.</p><lb/> <p>Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn, da trat in der Nacht auch wieder die Jungfrau Maria vor sie, und sprach ‘willst du nun gestehen daß du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben, und deinen Mund lösen: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir.’ Da sprach die Königin wiederum ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sei, sagten sie laut die Königin hätte es gefressen, und des Königs </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0052]
Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria, und sprach ‘willst du nun die Wahrheit sagen, und gestehen daß du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen, und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.’ Da war der Königin verliehen zu antworten, sie aber sprach ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus dem Arme, und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin, und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der König aber hatte sie zu lieb als daß ers glauben wollte.
Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn, da trat in der Nacht auch wieder die Jungfrau Maria vor sie, und sprach ‘willst du nun gestehen daß du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben, und deinen Mund lösen: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir.’ Da sprach die Königin wiederum ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,’ und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sei, sagten sie laut die Königin hätte es gefressen, und des Königs
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-01T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |