Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
9.
Die zwölf Brüder.

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander, und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau 'wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird, und das Königreich ihm allein zufällt.' Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Todtenkißchen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel, und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen.

Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag, und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach 'liebe Mutter, warum bist du so traurig?' 'Liebstes Kind,' antwortete sie, 'ich darf dirs nicht sagen.' Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie gieng und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Todtenladen zeigte, und sprach 'mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getödtet und darin

9.
Die zwölf Brüder.

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander, und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau ‘wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird, und das Königreich ihm allein zufällt.’ Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Todtenkißchen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel, und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen.

Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag, und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach ‘liebe Mutter, warum bist du so traurig?’ ‘Liebstes Kind,’ antwortete sie, ‘ich darf dirs nicht sagen.’ Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie gieng und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Todtenladen zeigte, und sprach ‘mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getödtet und darin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0093" n="55"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">9.<lb/>
Die zwölf Brüder.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander, und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau &#x2018;wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird, und das Königreich ihm allein zufällt.&#x2019; Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Todtenkißchen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel, und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen.</p><lb/>
        <p>Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag, und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach &#x2018;liebe Mutter, warum bist du so traurig?&#x2019; &#x2018;Liebstes Kind,&#x2019; antwortete sie, &#x2018;ich darf dirs nicht sagen.&#x2019; Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie gieng und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Todtenladen zeigte, und sprach &#x2018;mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getödtet und darin
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0093] 9. Die zwölf Brüder. Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander, und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau ‘wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird, und das Königreich ihm allein zufällt.’ Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Todtenkißchen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel, und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen. Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag, und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach ‘liebe Mutter, warum bist du so traurig?’ ‘Liebstes Kind,’ antwortete sie, ‘ich darf dirs nicht sagen.’ Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie gieng und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Todtenladen zeigte, und sprach ‘mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getödtet und darin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/93
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/93>, abgerufen am 21.11.2024.