Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er 'du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.' Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er 'nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.' Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach 'wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,' und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach 'nun, weißt du was gruseln ist?' 'Nein,' antwortete er, 'woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.' Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde, gieng fort und sprach 'so einer ist mir noch nicht vorgekommen.'

Der Junge gieng auch seines Weges und fieng wieder an vor sich hin zu reden 'ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!' Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und

wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er ‘du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.’ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er ‘nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.’ Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach ‘wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,’ und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach ‘nun, weißt du was gruseln ist?’ ‘Nein,’ antwortete er, ‘woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.’ Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde, gieng fort und sprach ‘so einer ist mir noch nicht vorgekommen.’

Der Junge gieng auch seines Weges und fieng wieder an vor sich hin zu reden ‘ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!’ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="21"/>
wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er &#x2018;du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.&#x2019; Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er &#x2018;nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.&#x2019; Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach &#x2018;wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,&#x2019; und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach &#x2018;nun, weißt du was gruseln ist?&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; antwortete er, &#x2018;woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.&#x2019; Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde, gieng fort und sprach &#x2018;so einer ist mir noch nicht vorgekommen.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Der Junge gieng auch seines Weges und fieng wieder an vor sich hin zu reden &#x2018;ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!&#x2019; Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0103] wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht gieng der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er ‘du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.’ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er ‘nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.’ Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach ‘wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,’ und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach ‘nun, weißt du was gruseln ist?’ ‘Nein,’ antwortete er, ‘woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.’ Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde, gieng fort und sprach ‘so einer ist mir noch nicht vorgekommen.’ Der Junge gieng auch seines Weges und fieng wieder an vor sich hin zu reden ‘ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!’ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/103
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/103>, abgerufen am 22.11.2024.