Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.dieser Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreiße, welchem sie angehören, und wo sie ohne Überdruß immer wieder begehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall, daß man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes Ausmahlen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller Völker genährten Bildung nicht allzuschwer fällt, dafür gibt: aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges Stilles und Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie anrührte, auch die Speisen in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht sättigen und tränken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eignen, ganz der Zeit angehörenden Dichtungen, denn wer hätte Lust der Poesie Gränzen abzustecken? Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen, dabei denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und wünschen daß denen, welche diese Brosamen der Poesie Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich verborgen bleiben möge. Cassel am 3ten Julius 1819. Durch eine Anzahl neuer, dem zweiten Theile zugefügter Märchen, unter welchen einige in schweizerischer Mundart sich auszeichnen, dieser Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreiße, welchem sie angehören, und wo sie ohne Überdruß immer wieder begehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall, daß man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes Ausmahlen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller Völker genährten Bildung nicht allzuschwer fällt, dafür gibt: aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges Stilles und Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie anrührte, auch die Speisen in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht sättigen und tränken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eignen, ganz der Zeit angehörenden Dichtungen, denn wer hätte Lust der Poesie Gränzen abzustecken? Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen, dabei denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und wünschen daß denen, welche diese Brosamen der Poesie Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich verborgen bleiben möge. Cassel am 3ten Julius 1819. Durch eine Anzahl neuer, dem zweiten Theile zugefügter Märchen, unter welchen einige in schweizerischer Mundart sich auszeichnen, <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0024" n="XVIII"/> dieser Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreiße, welchem sie angehören, und wo sie ohne Überdruß immer wieder begehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall, daß man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes Ausmahlen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller Völker genährten Bildung nicht allzuschwer fällt, dafür gibt: aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges Stilles und Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie anrührte, auch die Speisen in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht sättigen und tränken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eignen, ganz der Zeit angehörenden Dichtungen, denn wer hätte Lust der Poesie Gränzen abzustecken?</p><lb/> <p>Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen, dabei denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und wünschen daß denen, welche diese Brosamen der Poesie Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich verborgen bleiben möge.</p><lb/> <p>Cassel am 3ten Julius 1819.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Durch eine Anzahl neuer, dem zweiten Theile zugefügter Märchen, unter welchen einige in schweizerischer Mundart sich auszeichnen, </p> </div> </front> </text> </TEI> [XVIII/0024]
dieser Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreiße, welchem sie angehören, und wo sie ohne Überdruß immer wieder begehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall, daß man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes Ausmahlen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller Völker genährten Bildung nicht allzuschwer fällt, dafür gibt: aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges Stilles und Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie anrührte, auch die Speisen in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht sättigen und tränken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eignen, ganz der Zeit angehörenden Dichtungen, denn wer hätte Lust der Poesie Gränzen abzustecken?
Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen, dabei denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und wünschen daß denen, welche diese Brosamen der Poesie Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich verborgen bleiben möge.
Cassel am 3ten Julius 1819.
Durch eine Anzahl neuer, dem zweiten Theile zugefügter Märchen, unter welchen einige in schweizerischer Mundart sich auszeichnen,
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