Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

wie ein Schiffchen, und es drang auch kein Tröpfchen Wasser hinein. So schwamm sie bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der glücklicherweise da stand und sie bemerkte, zog sie mit einem Haken heran und meinte große Schätze zu finden, als er sie aber aufmachte, lag ein schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich und sprachen 'Gott hat es uns beschert.' Sie pflegten den Fündling wohl, und er wuchs in allen Tugenden heran.

Es trug sich zu, daß der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte ob der große Junge ihr Sohn wäre. 'Nein,' antworteten sie, 'es ist ein Fündling, er ist vor vierzehn Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.' Da merkte der König daß es niemand anders, als das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach 'ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Frau Königin bringen, ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben?' 'Wie der Herr König gebietet,' antworteten die Leute, und hießen den Jungen sich bereit halten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand 'sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getödtet und begraben werden, und das alles soll geschehen sein ehe ich zurückkomme.'

Der Knabe machte sich mit diesem Briefe auf den Weg, verirrte sich aber und kam Abends in einen großen Wald. Jn der Dunkelheit

wie ein Schiffchen, und es drang auch kein Tröpfchen Wasser hinein. So schwamm sie bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der glücklicherweise da stand und sie bemerkte, zog sie mit einem Haken heran und meinte große Schätze zu finden, als er sie aber aufmachte, lag ein schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich und sprachen ‘Gott hat es uns beschert.’ Sie pflegten den Fündling wohl, und er wuchs in allen Tugenden heran.

Es trug sich zu, daß der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte ob der große Junge ihr Sohn wäre. ‘Nein,’ antworteten sie, ‘es ist ein Fündling, er ist vor vierzehn Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.’ Da merkte der König daß es niemand anders, als das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach ‘ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Frau Königin bringen, ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben?’ ‘Wie der Herr König gebietet,’ antworteten die Leute, und hießen den Jungen sich bereit halten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand ‘sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getödtet und begraben werden, und das alles soll geschehen sein ehe ich zurückkomme.’

Der Knabe machte sich mit diesem Briefe auf den Weg, verirrte sich aber und kam Abends in einen großen Wald. Jn der Dunkelheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="176"/>
wie ein Schiffchen, und es drang auch kein Tröpfchen Wasser hinein. So schwamm sie bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der glücklicherweise da stand und sie bemerkte, zog sie mit einem Haken heran und meinte große Schätze zu finden, als er sie aber aufmachte, lag ein schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich und sprachen &#x2018;Gott hat es uns beschert.&#x2019; Sie pflegten den Fündling wohl, und er wuchs in allen Tugenden heran.</p><lb/>
        <p>Es trug sich zu, daß der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte ob der große Junge ihr Sohn wäre. &#x2018;Nein,&#x2019; antworteten sie, &#x2018;es ist ein Fündling, er ist vor vierzehn Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.&#x2019; Da merkte der König daß es niemand anders, als das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach &#x2018;ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Frau Königin bringen, ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben?&#x2019; &#x2018;Wie der Herr König gebietet,&#x2019; antworteten die Leute, und hießen den Jungen sich bereit halten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand &#x2018;sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getödtet und begraben werden, und das alles soll geschehen sein ehe ich zurückkomme.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Der Knabe machte sich mit diesem Briefe auf den Weg, verirrte sich aber und kam Abends in einen großen Wald. Jn der Dunkelheit
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0258] wie ein Schiffchen, und es drang auch kein Tröpfchen Wasser hinein. So schwamm sie bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der glücklicherweise da stand und sie bemerkte, zog sie mit einem Haken heran und meinte große Schätze zu finden, als er sie aber aufmachte, lag ein schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich und sprachen ‘Gott hat es uns beschert.’ Sie pflegten den Fündling wohl, und er wuchs in allen Tugenden heran. Es trug sich zu, daß der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte ob der große Junge ihr Sohn wäre. ‘Nein,’ antworteten sie, ‘es ist ein Fündling, er ist vor vierzehn Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.’ Da merkte der König daß es niemand anders, als das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach ‘ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Frau Königin bringen, ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben?’ ‘Wie der Herr König gebietet,’ antworteten die Leute, und hießen den Jungen sich bereit halten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand ‘sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getödtet und begraben werden, und das alles soll geschehen sein ehe ich zurückkomme.’ Der Knabe machte sich mit diesem Briefe auf den Weg, verirrte sich aber und kam Abends in einen großen Wald. Jn der Dunkelheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/258
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/258>, abgerufen am 31.10.2024.