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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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Wie einsam stand unsere Sammlung, als sie zuerst hervor trat, und welche reiche Saat ist seitdem aufgegangen. Man lächelte damals nachsichtig über die Behauptung daß hier Gedanken und Anschauungen erhalten seien, deren Anfänge in die Dunkelheit des Alterthums zurück giengen: jetzt findet sie kaum noch Widerspruch. Man sucht nach diesen Märchen mit Anerkennung ihres wissenschaftlichen Werths und mit Scheu an ihrem Jnhalt zu ändern, während man sie früher für nichts als gehaltlose Spiele der Phantasie hielt, die sich jede Behandlung müßten gefallen lassen.

Das neu zu Tag geförderte verdient nähere Betrachtung, ich will dabei an dem äußersten Rand des Horizonts beginnen. Ein malayisches Märchen erscheint ebenso anmuthig in der Darstellung als eigenthümlich in der Auffassung. Zwar eine Brautwerbung ist ein so gewöhnliches Ereignis, daß die Sagen aller Völker davon berichten, aber daß der Werbende vor einer der gestellten Bedingungen zurückweicht, macht einen Gegensatz zu der Bereitwilligkeit, womit er sonst der gefährlichsten sich unterzieht. Ein König will dem Rath der Großen seines Reichs folgen und nach dem Tod seiner Gemahlin sich wieder vermählen, aber er besteht darauf keine andere zu nehmen, als die Fürstin von Ledang, die in weiter Ferne auf einem schwer zugänglichen Berg wohnt. Boten gehen ab, doch nur einer wagt sich auf den schwierigen Pfad: ihm droht erst Frost und Kälte, dann gelangt er in einen Wundergarten, wo die Vögel in fremdartigen Tönen sich hören lassen, die Citronen rauschen, die Weinbeeren kichern, die Pomeranzen lächeln, die Rosen singen. Die Fürstin erscheint in der Gestalt einer buckelichen Alten und erklärt ihren Willen sich nur dann mit dem König zu vermählen, wenn er eine goldne und eine silberne Straße von Malacca nach Ledang bauen lasse, wenn er ihr das Herz einer Mücke und einer Motte, drei ellenbreit, darreiche, ferner ein Faß

Wie einsam stand unsere Sammlung, als sie zuerst hervor trat, und welche reiche Saat ist seitdem aufgegangen. Man lächelte damals nachsichtig über die Behauptung daß hier Gedanken und Anschauungen erhalten seien, deren Anfänge in die Dunkelheit des Alterthums zurück giengen: jetzt findet sie kaum noch Widerspruch. Man sucht nach diesen Märchen mit Anerkennung ihres wissenschaftlichen Werths und mit Scheu an ihrem Jnhalt zu ändern, während man sie früher für nichts als gehaltlose Spiele der Phantasie hielt, die sich jede Behandlung müßten gefallen lassen.

Das neu zu Tag geförderte verdient nähere Betrachtung, ich will dabei an dem äußersten Rand des Horizonts beginnen. Ein malayisches Märchen erscheint ebenso anmuthig in der Darstellung als eigenthümlich in der Auffassung. Zwar eine Brautwerbung ist ein so gewöhnliches Ereignis, daß die Sagen aller Völker davon berichten, aber daß der Werbende vor einer der gestellten Bedingungen zurückweicht, macht einen Gegensatz zu der Bereitwilligkeit, womit er sonst der gefährlichsten sich unterzieht. Ein König will dem Rath der Großen seines Reichs folgen und nach dem Tod seiner Gemahlin sich wieder vermählen, aber er besteht darauf keine andere zu nehmen, als die Fürstin von Ledang, die in weiter Ferne auf einem schwer zugänglichen Berg wohnt. Boten gehen ab, doch nur einer wagt sich auf den schwierigen Pfad: ihm droht erst Frost und Kälte, dann gelangt er in einen Wundergarten, wo die Vögel in fremdartigen Tönen sich hören lassen, die Citronen rauschen, die Weinbeeren kichern, die Pomeranzen lächeln, die Rosen singen. Die Fürstin erscheint in der Gestalt einer buckelichen Alten und erklärt ihren Willen sich nur dann mit dem König zu vermählen, wenn er eine goldne und eine silberne Straße von Malacca nach Ledang bauen lasse, wenn er ihr das Herz einer Mücke und einer Motte, drei ellenbreit, darreiche, ferner ein Faß

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[XXVIII/0034] Wie einsam stand unsere Sammlung, als sie zuerst hervor trat, und welche reiche Saat ist seitdem aufgegangen. Man lächelte damals nachsichtig über die Behauptung daß hier Gedanken und Anschauungen erhalten seien, deren Anfänge in die Dunkelheit des Alterthums zurück giengen: jetzt findet sie kaum noch Widerspruch. Man sucht nach diesen Märchen mit Anerkennung ihres wissenschaftlichen Werths und mit Scheu an ihrem Jnhalt zu ändern, während man sie früher für nichts als gehaltlose Spiele der Phantasie hielt, die sich jede Behandlung müßten gefallen lassen. Das neu zu Tag geförderte verdient nähere Betrachtung, ich will dabei an dem äußersten Rand des Horizonts beginnen. Ein malayisches Märchen erscheint ebenso anmuthig in der Darstellung als eigenthümlich in der Auffassung. Zwar eine Brautwerbung ist ein so gewöhnliches Ereignis, daß die Sagen aller Völker davon berichten, aber daß der Werbende vor einer der gestellten Bedingungen zurückweicht, macht einen Gegensatz zu der Bereitwilligkeit, womit er sonst der gefährlichsten sich unterzieht. Ein König will dem Rath der Großen seines Reichs folgen und nach dem Tod seiner Gemahlin sich wieder vermählen, aber er besteht darauf keine andere zu nehmen, als die Fürstin von Ledang, die in weiter Ferne auf einem schwer zugänglichen Berg wohnt. Boten gehen ab, doch nur einer wagt sich auf den schwierigen Pfad: ihm droht erst Frost und Kälte, dann gelangt er in einen Wundergarten, wo die Vögel in fremdartigen Tönen sich hören lassen, die Citronen rauschen, die Weinbeeren kichern, die Pomeranzen lächeln, die Rosen singen. Die Fürstin erscheint in der Gestalt einer buckelichen Alten und erklärt ihren Willen sich nur dann mit dem König zu vermählen, wenn er eine goldne und eine silberne Straße von Malacca nach Ledang bauen lasse, wenn er ihr das Herz einer Mücke und einer Motte, drei ellenbreit, darreiche, ferner ein Faß

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. XXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/34>, abgerufen am 21.11.2024.