Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rothem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirth 'was will das sagen? vorm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rothe Scharlach?' Der Wirth antwortete 'vorm Jahr sollte unsers Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getödtet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer, und ist heute mit rothem Scharlach zur Freude ausgehängt.' Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um Mittagszeit zum Wirth 'glaubt er wohl, Herr Wirth, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei ihm essen will?' 'Ja,' sprach der Wirth, 'da wollt ich doch noch hundert Goldstücke dran setzen, daß das nicht wahr ist.' Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit eben so viel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach 'geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt.' Nun war das Häslein das geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. 'Ei,' dachte es, 'wann ich so, allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein.' Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus ohne daß es der Soldat gewahr wurde. nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rothem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirth ‘was will das sagen? vorm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rothe Scharlach?’ Der Wirth antwortete ‘vorm Jahr sollte unsers Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getödtet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer, und ist heute mit rothem Scharlach zur Freude ausgehängt.’ Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um Mittagszeit zum Wirth ‘glaubt er wohl, Herr Wirth, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei ihm essen will?’ ‘Ja,’ sprach der Wirth, ‘da wollt ich doch noch hundert Goldstücke dran setzen, daß das nicht wahr ist.’ Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit eben so viel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach ‘geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt.’ Nun war das Häslein das geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. ‘Ei,’ dachte es, ‘wann ich so, allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein.’ Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus ohne daß es der Soldat gewahr wurde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0455" n="373"/> nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rothem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirth ‘was will das sagen? vorm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rothe Scharlach?’ Der Wirth antwortete ‘vorm Jahr sollte unsers Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getödtet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer, und ist heute mit rothem Scharlach zur Freude ausgehängt.’</p><lb/> <p>Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um Mittagszeit zum Wirth ‘glaubt er wohl, Herr Wirth, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei ihm essen will?’ ‘Ja,’ sprach der Wirth, ‘da wollt ich doch noch hundert Goldstücke dran setzen, daß das nicht wahr ist.’ Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit eben so viel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach ‘geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt.’ Nun war das Häslein das geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. ‘Ei,’ dachte es, ‘wann ich so, allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein.’ Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus ohne daß es der Soldat gewahr wurde. </p> </div> </body> </text> </TEI> [373/0455]
nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rothem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirth ‘was will das sagen? vorm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rothe Scharlach?’ Der Wirth antwortete ‘vorm Jahr sollte unsers Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getödtet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer, und ist heute mit rothem Scharlach zur Freude ausgehängt.’
Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um Mittagszeit zum Wirth ‘glaubt er wohl, Herr Wirth, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei ihm essen will?’ ‘Ja,’ sprach der Wirth, ‘da wollt ich doch noch hundert Goldstücke dran setzen, daß das nicht wahr ist.’ Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit eben so viel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach ‘geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt.’ Nun war das Häslein das geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. ‘Ei,’ dachte es, ‘wann ich so, allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein.’ Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus ohne daß es der Soldat gewahr wurde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |